Anne Altenried

Wilderer und Jäger Staffel 1


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zu seinem Mostkrug und nahm einen Schluck. Darauf schickte er einen Blick zum Jäger hinüber und reichte ihm den Krug. »Trink, Ebenhecht! Dir sieht man an, dass du am Verdursten bist.«

      Dankbar machte der Waidmann von dem Angebot Gebrauch. Severin stellte den Krug zurück auf den Tisch. »Ich war ein paarmal auf der unerlaubten Pirsch, Vater«, sagte er. Seine Stimme klang heiser. »Mit deinem Gewehr hab ich gewildert.«

      »Bub?«, rief die Bäuerin entsetzt. »Wie kannst du uns das antun?«

      »Das ist längst vorbei, Mutter«, beruhigte er die erregte Frau. »Der Jäger weiß alles.«

      Ebenhecht nickte. »Das stimmt.«

      Halb verdutzt, halb empört blies der Gendarm die Backen auf. »Warum hast du mir das verheimlicht, Ebenhecht?«

      Um die Mundwinkel des Waidmannes zuckte es. »Hätt ich einen Verführten ans Messer liefern sollen, während die Hauptschuldigen frei herumgelaufen sind? Freimütig hat er mir gestanden, was er getan hat.«

      Die Hofbediensteten Vinzenz und Anna saßen immer noch mit offenen Mündern am Tisch und lauschten wissbegierig auf jedes Wort. Der Bauer wies sie an, sich schleunigst an die Arbeit zu machen. Mit enttäuschten Gesichtern verließen sie die Stube.

      Inspektor Wenzel warf noch einen bedauernden Blick auf das inzwischen kalt gewordene Essen und erhob sich. »Jetzt möchte ich endlich erfahren, wieso das Mangoldgewehr neben dem toten Bergführer Neudecker gelegen hat«, erklärte er.

      Severin hüstelte. »Der Ludl und ich, wir hatten auf dem Berg ein Versteck für unsere Kracher. Mitten im Farnkraut. Längst hätt ich das Büchsl holen sollen. Doch ich hab Angst gehabt, der Ebenhecht könnt mich dabei ertappen und glauben, ich wär rückfällig geworden. So hab ich’s halt allweil aufgeschoben. Das war ein Fehler. Jetzt ist das Büchsl dem Mordschützen in die Händ gefallen.«

      »Bis jetzt wissen wir noch nicht, mit welchem von den beiden Gewehren der Bergführer erschossen worden ist.«

      »Darüber kann’s wohl keinen Zweifel geben«, antwortete der Bauernsohn. »Der Ludl hat seinen eigenen Schießprügel bei sich gehabt und das Reh niedergestreckt. Und dann ist einer gekommen, der den Ludl ins Visier genommen hat.« Er hob die Schusswaffe, die er immer noch festhielt, hoch. »Mit unserer Kugelspritze. Anders kann’s gar net gewesen sein.«

      »Dann müsste der Mordschütze ebenfalls das Versteck gekannt haben«, gab der Inspektor zu bedenken. »Halten Sie das für möglich, Mangold?«

      Severin zuckte mit den Schultern. »Der Ludl war mit einem Haufen Leutl bekannt«, sagte er. »Wen er ins Vertrauen gezogen hat, ist sein Geheimnis, das er nimmer preisgeben kann.«

      Gendarm Vogelrieder runzelte die Stirn und trat einen Schritt vor. »Es gibt auch Leutl«, bemerkte er streng, »die mit dem Ludl net auf gutem Fuß gestanden sind. Zumindest in der letzten Zeit.« Sein dienstlicher Blick traf den Mangoldsohn. »Zum Beispiel du, Severin. Hast erst neulich einen heftigen Streit mit ihm gehabt im Wirtsgarten vom ›Federerbräu‹. Das halbe Dorf hat darüber geredet.«

      Der Angesprochene lächelte. »Das ist net gelogen, Vogelrieder«, sagte er. »Aber net ich hab den Streit vom Zaun gebrochen. Ist dir das net zu Ohren gekommen?«

      Ebenhecht lüftete das Hütl, fuhr sich mit gespreizten Fingern durch die feuchten grau melierten Haare und grollte: »Für solche Unterhaltungen ist bestimmt auch noch später Zeit. Der Tote liegt droben und muss heruntergeholt werden.«

      »Sie haben recht, Herr Jäger«, sagte Inspektor Wenzel. »Führen Sie bitte den Gendarm und meine zwei Kollegen hinauf zum Tatort. Auch das tote Wild ist von Wichtigkeit.« Er wandte sich an die Beamten aus der Kreisstadt. »Sollte es sich bei dem Toten und dem Reh um Durchschüsse handeln, so ist das Gelände sorgfältigst abzusuchen. Wir brauchen unbedingt die todbringenden Geschosse für die Untersuchungen der Waffenexperten.«

      Kreidebleich stand die Bäuerin auf und wankte auf den Sohn zu. Dieser legte gerade noch rechtzeitig die Arme um sie, sonst wäre sie zu Boden gesunken. Er führte sie zur Ofenbank und setzte sich neben sie. Liebevoll drückte er sie an sich und streichelte ihre Wange.

      »Du bist ein guter Bub und hast mit dem Mord nix zu tun, gelt?«, hauchte sie kraftlos.

      Der Gendarm rückte seine Mütze zurecht. »Ich muss dich freilich fragen, Severin, wo du dich zu der Zeit aufgehalten hast, als die Schüsse gefallen sind«, stieß er forsch hervor.

      »Ich hab an der hinteren Bachlwiese Pfosten für einen neuen Zaun geschlagen«, gab der Jungbauer in ruhigem Ton Bescheid.

      »Hm!« Vogelrieder rieb seine Nase und vergewisserte sich aus den Augenwinkeln, dass der Inspektor auch jeder seiner scharfsinnigen Fragen die gebührende Aufmerksamkeit schenkte. »Ist jemand an der Bachlwiese vorbeigegangen, als du Pfosten eingeschlagen hast, Severin?«

      Der Mangoldsohn machte ein nachdenkliches Gesicht. »Nein«, sagte er dann. »Ich kann mich net erinnern.«

      Die etwas vorstehenden Augen des Dorfpolizisten leuchteten auf. »Aha!«, sagte er nur.

      Severin nagte an seiner Unterlippe. »Halt!«, rief er. »Die Kräuterbabett ist vorbeigegangen. Wir haben ein paar Wörtl geschwatzt.«

      Vogelrieder grinste hämisch. »Die Kräuterbabett ist vor ein paar Jahren entmündigt worden. Sie ist net ganz richtig im Köpfl. Von ihrer Aussag brauchst dir nix zu erhoffen, Mangold.«

      Die Bäuerin begann zu schluchzen. Der Bauer aber war mit zwei schnellen Schritten bei dem Uniformierten. Er packte diesen bei den Armen und schüttelte ihn ziemlich heftig. »Du willst dir wohl einen Orden verdienen, Gendarm, gelt?«, schnaubte Vogelrieder und riss den Mund weit auf. Doch eine energische Handbewegung des Inspektors erstickte den Laut der Entrüstung, den er ausstoßen wollte. »Meine Herren, machen Sie sich auf den Weg zum Tatort. Ist hier irgendwo eine Bahre aufzutreiben?«

      »Wir kommen am Doktorhaus vorbei«, sagte der Jäger. »Dort kriegen wir, was wir brauchen.«

      »Gut. Ich verständige inzwischen die Kriminalaußenstelle von dem tragischen Vorfall und fordere noch weitere Beamte an. Nach meiner Meinung steht die Tat auf dem Stieglerhorn in unmittelbarem Zusammenhang mit den Anschlägen auf dem Mangoldhof.«

      *

      Wochenlang gab es im Schönauertal nur ein Gesprächsthema: Den rätselhaften Tod des über die Grenzen des Tales hinaus bekannten Bergführers Ludl Neudecker. Er wurde von nicht wenigen weiblichen Wesen betrauert, an die er zu seinen Lebzeiten Zärtlichkeiten verschwendet hatte.

      Je länger die Kriminalbeamten dem unbekannten Mordschützen ohne Erfolg nachspürten, desto üppiger schossen Gerüchte ins Kraut. Wilde Verdächtigungen schwirrten durch das Dorf. Hinter vorgehaltener Hand wurden Namen genannt, deren Trägern man ohne Weiteres eine solche Tat zutraute. Und jeder der Flüsterer war davon überzeugt, dass nur der von ihm Erwähnte der Schütze sein konnte. Immer öfter fiel der Name Mangold-Severin. Eifrig zählten die Amateurdetektive sämtliche Punkte auf, die für Severins Schuld sprachen.

      Dem Jungbauern blieb nicht verborgen, wie sich das Misstrauen gegen ihn immer mehr verstärkte. Zuerst belustigt, dann mit wachsendem Unbehagen bemerkte er, dass ihm die Leute aus dem Weg gingen, die früher immer ein launiges Wort für ihn parat gehabt hatten. Sogar die Magd Anna schaute ihn manchmal mit seltsam prüfenden Augen an.

      Das ging so lange, bis er sie an einem sonnigen Vormittag anschrie: »Was schaust mich an, als hätt ich ein Kainsmal auf der Stirn? Wenn du mich für einen Mörder hältst, so scher dich vom Hof. Keiner zwingt dich, mit mir unter einem Dach zu hausen.«

      Der Vinzenz sprang hinzu und legte dem Erregten die schwielige Hand auf die Schultern. »Tu dich net giften wegen ihr, Severin«, empfahl er. »Sie ist eine dumme Dirn, die auf das Geschwätz im Dorf hört. Man muss es ihr ausreden, dann wird sie wieder vernünftig.«

      Die Magd begann laut zu weinen und schlug die Hände vor das tränenüberschwemmte Gesicht. Severin und der Knecht hatten große Mühe, die Verstörte wieder zu besänftigen. Wortreich beteuerte sie, dass ihr nicht einmal