Heinrich Zschokke

Ausgewählte Werke von Heinrich Zschokke


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und klagte es.

      Der Pfarrer sprach: »Ich bin Pfarrer, und habe hier nicht zu befehlen, und kann mich in eure Händel nicht mischen. Alles Unglück dieses Dorfes kommt daher, daß die Leute im Schlamm und Unflath der Sünden untergehen. Sie fragen dem Worte Gottes nichts nach, und verkürzen aller Orten das Einkommen meiner Pfründe. Es wird aber ein schweres Zorngericht des Herrn über sie kommen, und die Langmuth des Himmels nicht länger ihren Sünden nachschauen.«

      Oswald sagte: »Herr Pfarrer, mit Erlaubniß, Ihr könnet doch, wenn ihr wollet, Vieles zur Rettung der Gemeinde thun. Denn das Herz dieser Menschen ist verwildert, weil ihr Verstand verfinstert ist. Wenn Ihr Euch der Schule annehmen und die Jugend in guten Sitten und im christlichen Lebenswandel unterrichten wolltet, daß sie die Tugend lieben und das Laster scheuen lernte: es würden die guten Früchte der Besserung nicht ausbleiben.«

      Der Pfarrer antwortete: »Dafür ist der Schulmeister und nicht der Pfarrer. Ich habe bei der Menge meiner wichtigen Amtsgeschäfte keine Zeit dazu übrig. Die Gemeinde selbst ist Schuld, daß sie keinen rechten Schulmeister haben kann, weil sie ihn schlecht besoldet.«

      Oswald sagte: »Wohlehrwürdiger Herr Pfarrer, ein guter Hirt, der seine Heerde wohl weidet, bekümmert sich auch um jedes Einzelne in derselben. Die Leute sind unwissend, und verderbe oft bloß aus Unverstand, weil sie nicht wissen, wie sich helfen und ihre Sachen einrichten? Wenn Ihr nun bald zu dieser, bald zu jener Haushaltung in müßigen Stunden ginget, und sähet die Unvernunft der armen Leute, die oft nur zu Grunde gehen, weil sie sich nicht recht zu rathen wissen; – sähet, wie sich die armen Menschen nach und nach an ihr Verderben gewöhnen, bis sie von Haus und Hof getrieben werden; – sähet, wie die Kinder, erbärmlich verwahrloset, unmöglich besser werden können, weil sie nur das Schlechteste auf der Welt hören und sehen; – o, Herr Pfarrer, wenn Ihr nun einmal . . .«

      Der Pfarrer unterbrach den Oswald in seiner Rede und schrie: »Was ficht Euch an? Wollet Ihr dem Pfarrer gute Lehren geben und Unterricht, was er als Pfarrer zu thun habe? Hebet Euch weg von mir mit Euern Versuchungen. Ich bin ein geistlicher Hirt, der für die armen Seelen sorgt, und bete täglich für sie. Aber Ihr wollet mich, glaube ich, zum Säutreiber machen.«

      Als der Herr Pfarrer so zornig sprach, ging Oswald von dannen und sein Herz war sehr betrübt. Aber er konnte doch nicht ruhen, und dachte: es muß und soll geholfen werden, und Gott wird mir beistehen.

      Und er legte Feierkleider an, nahm den Stab, und wanderte in die Hauptstadt des Landes. Da ging er umher zu den obersten Staatsbeamten, von Haus zu Haus, sein schweres Anliegen vorzubringen. Aber der eine von den Herren hatte ein großes Gastmahl und konnte ihn nicht hören; der andere war spazieren gefahren und konnte ihn nicht hören; der dritte saß eben beim Spieltisch mit den Karten in der Hand und konnte ihn nicht hören; der vierte zählte die eingegangenen Zinsen und konnte ihn nicht hören; der fünfte führte ein junges Frauenzimmer zum Tanzhaus und konnte ihn nicht hören. Endlich kam er zu dem letzten, der hörte ihn an. Es war ein steinalter Mann mit einer weißen Haarbeutelperrücke. Vor diesem schüttete Oswald sein Herz aus, sprach vom Elend seines Dorfes, von der Schlechtigkeit der Vorgesetzten, von der Gleichgültigkeit des Pfarrers, von der Unwissenheit des Schulmeisters.

      Darauf antwortete der alte Herr in der Haarbeutelperrücke ganz freundlich und sprach zu ihm: »Du Flegel, der du geistliche und weltliche Obrigkeit verlästerst, packe dich und raisonnire nicht weiter, oder ich lasse dich ins Zuchthaus bringen. Euer Herr Pfarrer ist ein vortrefflicher Mann, denn er ist mein eigener Vetter.«

      Mit diesem Bescheid verließ Oswald die Hauptstadt. Als er wieder außer dem Stadtthor in die freie Luft kam, brach ihm das Herz, und er weinte laut.

      6.

       Der neuerwählte Schulmeister.

       Inhaltsverzeichnis

      Als er am Nachmittag in das Dorf zurückkam, ließ er keinen Menschen wissen, warum er in die Hauptstadt des Landes gereiset, und wie es ihm da ergangen sei. Vielmehr stellte er sich wohlvergnügt und redete Jedermann freundlich an, selbst seinen ärgsten Feind, den Löwenwirth Brenzel, welcher im Dorfe der reichste Mann, und im Gemeinderath der Vornehmste war. Der stand breitbeinig vor der Hausthür, die Kappe schief auf dem Ohr, die Hände über den Bauch gefaltet, und schaute gar gebieterisch rechts und links.

      »Guten Abend, Herr Brenzel!« rief ihm Oswald zu: »Habt Ihr schon Feierabend?«

      Brenzel nickte vornehm mit dem Kopfe und sprach, ohne den Oswald anzusehen: »Ich verdiene meinen Taglohn, wenn ich mit der Hundspeitsche daheim bleibe und die Bettler von meinem Hause treibe.«

      Wie Oswald diese unchristliche Rede von einem Vorsteher der Gemeinde hörte, welcher ein Vater der Armen, der Wittwen und Waisen sein sollte lief es ihm heiß und kalt über die Haut, und er verdoppelte seine Schritte, um davon zu kommen. Desto mehr erquickte ihn, da er an der Mühle vorüberging und er Elsbeth sah, die schöne Tochter des Müllers Siegfried. Sie saß auf der Bank vor dem Hause im spielenden Schatten eines jungen Kirschbaumes und nähte neue Hemden. Und sie ward feuerroth, wie sie den Oswald erblickte, reichte ihm die Hand zitternd, lächelte ihn holdselig an, und ihre Augen glänzten von Thränen.

      »Warum weinest du Elsbeth?« fragte Oswald erschrocken.

      Elsbeth wischte sich schnell die Augen, lächelte noch freundlicher und sagte, indem sie den Kopf schüttelte: »Heute sag' ich dir's nicht, lieber Oswald, du sollst es schon einmal erfahren.« – Sie schien ihm schöner und zärtlicher, als er sie je gesehen. Aber wie viel er auch fragen mochte, er erfuhr nicht, warum sie geweint habe.

      Darauf fragte ihn Elsbeth: »Du aber bist in der Hauptstadt gewesen. Gelt, da hast du dir ein paar lustige Tage gemacht, wohl gar mit den schönen Stadtjungfern getanzt? Wie? – Oswald, du seufzest? Ei, ei, Oswald, das will mir nicht gefallen. Nun hast du Heimweh zur Stadt, und in unserm armen Dörflein ist es dir nicht mehr schön genug.«

      So sprach sie, und er schlug traurig die Augen nieder, ohne zu antworten. Da trat sie näher, nahm seine Hand in die ihrige, und sagte wieder, mit einer zitternden Stimme, die man kaum hörte: »Oswald, lieber Oswald, was fehlt dir! Sage mir auch ehrlich: was quält dich?«

      »Kind!« rief Oswald und schlug die Augen gen Himmel auf: »Gott weiß es, ich könnte glücklich sein, und ich bin es, und in der Welt nirgends mehr, als bei dir, denn du bist herzgut. Aber mich jammern die Menschen, denn ich kenne ihrer so viele, und die meisten sind herzschlecht. Sieh' nur an das Elend der Leute in unserm armen Goldenthal. Es würde doch so wenig kosten, sie wieder zu erretten. Aber man macht die armen Leute, Gott erbarm's, zum Vieh, und den hartherzigen Reichen ist das eben recht. Die Ortsvorsteher haben ihre Stellen nur, um ihren Hochmuth zu kitzeln, und gewaltig zu sein, und sich allerlei Vortheil zu machen. Sie betrügen die Waisen, und plündern die Wittwen, und haben kein Gefühl und kein Gewissen. So wird es im Dorfe immer schlechter, die Noth der meisten Haushaltungen immer größer, und Keiner hilft. Wir haben eine Regierung – Gott sei's geklagt! Die Herren wollen nur regieren, um zu stolziren und sich Vortheile zu machen; aber des Volkes Noth aus dem Grunde zu heilen, das hält Keiner für seine Pflicht und Schuldigkeit. Es ist bei Allen nur auf Großthuerei, Lustbarkeit und Geld abgesehen. Da wollen sie nur ihre Familien bereichern, ihren Söhnen und Vettern aufhelfen; da wäscht eine Hand die andere, da hackt ein Rabe dem andern die Augen nicht aus, und das Land wird immer elender; und das kümmert die Herren nicht. Sie lassen sich noch dazu für ihre Weisheit und große Gnade loben, so niederträchtig und schamlos sind sie.«

      Elsbeth sagte: »Ach, Oswald, herzlieber Oswald, warum grämt dich doch das? Es ist ein gerechter Gott im Himmel, der wird die richten, die ihre Pflichten verachten. Du bist ja unschuldig an dem Elende des Volkes. Warum grämst du dich doch?«

      Oswald sagte: »Kann mir denn wohl sein in der Hölle, wo ich die Abscheulichkeit der Teufel und die Pein der armen Seelen sehen soll? So kann mir auch nicht wohl sein auf Erden, wo ich die Schändlichkeit der Herren in den Städten, und die Schändlichkeit unserer groben, stolzen Dorfkönige sehe, die das arme Volk noch tiefer in den Koth und Staub niedertreten, statt es hervorzuziehen,