Heinrich Zschokke

Ausgewählte Werke von Heinrich Zschokke


Скачать книгу

gebt mir nicht hier im Hause; ich kann die drei Schleicher nicht vor den Augen leiden. Ich kann alles vergeben, aber vergessen nicht. Speiset ihr drüben im Wirtshaus zur Schlacht von Abukir mit einander; nur hier nicht.»

      Die Schlacht von Abukir.

       Inhaltsverzeichnis

      Dem Doktor wäre die Versöhnung seiner Vettern ganz recht und lieb gewesen, doch traute er nur halb. Aber Suschen hatte darum gebeten. Und wenn Suschen sich aufs Bitten legte, dann legte man sich ganz vergebens aufs Abschlagen, besonders Doktor Falk. Er stand zwar nicht unter dem Pantoffel seiner Frau; aber gewiß doch unter ihrer weichen Hand.

      Sehr gelegen zu dem Versöhnungsmahl kam ihm die Anwesenheit zweier großen Gelehrten in der Stadt; beide hatten ihm einst als akademische Lehrer auf der Universität Artigkeit erwiesen. Jetzt konnte er abzahlen, und die Gegenwart dieser beiden großen Männer flößte den drei feindlichen Verwandten wenigstens so viel Achtung ein, daß sie sich in deren Gegenwart nicht mit neuen Vorwürfen reizen konnten. Man tadle doch nicht, was wir im gemeinen Leben Anständigkeit nennen. Sie ist oft das Gängelband, in welchem die kindliche Tugend auf schwachen Füßen laufen lernt. Der eine von den großen Männern, der berühmte Edukationsrat Hahnenkamm, war eigentlich mehr lang als groß, fast riesenhaft, Schattenähnlich, auseinandergezerrt, mager. Der andere große Mann war der Hofrat Pilz, ein kleines, bleiches Männlein, durch seine Schriften hinlänglich der Welt und der Nachwelt bekannt, wenn er nicht etwa vergessen ist. Der Wirt zur Schlacht bei Abukir mußte ein glänzendes Nachtessen rüsten, – der Doktor lud auf ein einfaches sokratisches Mahl ein. So ein sokratisches Mahl bei einem Doktor, reich wie der Mann im Evangelium, wird nicht leicht ausgeschlagen. Man fand sich ein. Zange und die beiden großen Männer erschienen die ersten. Die Unterhaltung war sehr gewürzt durch den attischen Witz der Fremden, die, in literarischen Klatschereien wohl bewandert, von allen durch Schriften bekannten Männern etwas Lächerliches aufzutischen wußten. Als aber der Professor Waldhorn kam, ward dem Advokaten das Lachen teuer. Dieser verzog das breite fleischige Gesicht, als hätt er die Kolik; und jener ging um den Rabulisten in so weitem Bogen herum, als fürchtete er sich, seinen neuen, perlfarbenen Rock mit den weißatlassenen Unterkleidern schon durch den Hauch des Advokaten zu besudeln. Da nun aber gar klein, schwarz, rund und gesund der Pastor Primarius hereinschritt, war's, als führe ein böser Geist in die Versammlung. Die Einheimischen sprachen nur mit dem Fremden; sich selbst mieden sie zu sehen, und geschah es, so war's mit Basiliskenaugen.

      Man setzte sich um die Tafelrunde. Der Doktor trieb mit seinem Witz verschwenderischen Aufwand, Heiterkeit in die Unterhaltung zu bringen. Die beiden großen Männer waren unerschöpflich in skandalösen Gelehrtengeschichten. Alles schien auf dem besten Wege zu sein. Der gute Falk bereitete sich schon zu einer rührenden Versöhnungsszene beim Champagner vor.

      Der Philosoph Waldhorn ließ sich das süße Amt nicht nehmen, bei Tisch zu «Servieren», wie er's hieß. Er gab die Suppe auf, es war Kirschsuppe nach einer ganz neuen Vorschrift! Ein Meisterstück des Abukirerkochs; eine Wollust der Gaumseligen. Die Reihe kam, daß er auch dem Advokaten Zange geben sollte. Das fiel dem Professor schwer aufs Herz – dem Menschen könnt er unmöglich geben. Er zuckte.

      Herr Zange sah mit verbissenem Grimm alles, was in dem Innern des Philosophen vorging. Und als der Professor noch finster und mit verachtendem Blicke zu ihm hinübersah, als wollt er fragen: «muß ich gegen dich Elenden die Formen des Anstandes beobachten?» konnte sich der wütende Advokat kaum mäßigen. Er streckte – niemand sah es – schnell ein verzerrtes Gesicht dem Philosophen höhnend entgegen. Da lief dem Professor der Weltweisheit die Galle über. Er gab eben so schnell – niemand sah es – mit dem großen silbernen, von purperfarbener Kirschsuppe geröteten Suppenlöffel dem Advokaten einen derben Hieb aufs verzerrte Maul. Rasend fuhr der Advokat auf, streckte den langen Arm über den Tisch und griff, statt des Philosophen – dieser war rasch unter den Tisch gebückt – den Kopf des Primarius. Erschrocken ließ der Primarius seine ehrwürdige Perücke in den Geierkrallen des Advokaten und duckte sich neben den Philosophen unter das Tischblatt. Hier setzten beide das Treffen gegen den juristischen Goliath fort, jeder faßte eines von Zange's Beinen. – Jeder zerrte wütend daran; so mußte der Riese stürzen. Mit ihm aber fuhr das sokratische Gastmahl schallend auf den Erdboden. Da erhoben die Waldhorne unter dem Tisch ein fürchterliches Geheul. Dem bei diesen Schlaghändeln ganz unschuldigen Edukationsrat Hahnenkamm war durch wunderbaren Aufschwung eines Tischflügels die rote Kirschsuppe dick ums Gesicht geflogen. Hofrath Pilz saß starr und steif; er erblickte einen ganzen Haufen kleiner gebratener Vögel auf seinem Schöße versammelt.

      Das alles begab sich aber in so fast zeitloser Geschwindigkeit, daß keiner wußte, wie? warum? woher? was weiter?

      «Hol' der Teufel die Fakultäten!» rief der Doktor und flüchtete aus dem Erdbeben zum Fenster: «Ich dacht es ja wohl.»

      Beim traurigen Schimmer des gläsernen Kronleuchters sah man nichts mehr über dem Tisch, als die in der Luft plädierenden Beine des Advokaten. Der Philosoph Waldhorn zog unter dem Tisch auf allen Vieren langsam hervor; ein gebratenes Milchschwein lag auf seinem Rücken, wie der Affe auf dem Bären. Der Primarius kroch ebenfalls hervor; aber, ins Tischtuch verwickelt, folgte ihm dieses mit den Trümmern des sokratischen Gastmahls, wie ein feierlicher Leichenzug, durchs ganze Zimmer. Der kleine Hofrat Pilz setzte indessen bedächtlich alle seine kleinen Vögel vom Schoße auf die Erde. Die wehmütigste Erscheinung blieb aber die lange Gestalt des mit Kirschsuppe geblendeten Edukationsrates. Er hatte zur Verteidigung, mit vieler Geistesgegenwart, eine Kalbskeule ergriffen. So zog er majestätisch, wie ein blutiges Gespenst, schweigend und tappend im Saale herum; denn er konnte durch die purpurne Finsternis der Suppe nicht erkennen, woher jählings die Schlaghändel entstanden. Darum, als der Wirt von Abukir eben mit einer prächtigen Pastete ins Zimmer trat um dem Edukationsrat zu nahn, schlug dieser in gerechter Furcht mit der Keule herkulisch Wirt und Pastete auseinander, ohne Erbarmen; denn wer konnte dem blinden Ödipus sagen, wer ihm Freund oder Feind sei? Der Primarius ließ seine Perücke, der Professor sein Spanferkel im Stich. Beide flohen aus der Schlacht. Ihnen nach Zange, der Rotbart; voll Wut und Scham. Der Doktor brachte die beiden berühmten Fremdlinge in kläglicher Gestalt zu seiner Frau, und erzählte die unselige Begebenheit. «Gerechter Himmel!» schrie die Tante, «Leute in Ämtern und Würden! Das ist ja ein blaues Wunder!»

      «Mit Erlaubnis,» versetzte der lange Edukationsrat, als er das Gesicht wieder bekam, «es scheint ein kirschrotes gewesen zu sein, wenn ich nicht irre.»

      Das Goldmacherdorf

       Inhaltsverzeichnis

       1. Wie Oswald aus dem Kriege kommt und was die Leute sagen.

       2. Was Oswald im Dorfe sieht.

       3. Was der verständige Müller erzählt.

       4. Wie der Oswald erschrecklich thut, und es ihm nicht hilft.

       5. Wie Oswald von seinen Feinden verfolgt wird, und was er dagegen thut.

       6. Der neuerwählte Schulmeister.

       7. Wie Oswald Schule hält.

       8. Was ferner in der Schule vorgeht.