Heinrich Zschokke

Ausgewählte Werke von Heinrich Zschokke


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Sie fährt ab. Es kann nicht fehlen. Wenn sie nur nicht schon von Sinnen ist, daß sie kein Testament mehr machen kann. Wer weiß, hat der Philosoph sich nicht schon seine Braten und Pasteten bei ihr bezahlt gemacht, oder der Pastor Primarius ihre Seele weggeschnappt. Nun die gönn ich ihm wohl, läßt er mir nur das Geld.»

      Er trat atemlos zur Tante ins Zimmer. Die Magd war eben beschäftigt, der Kranken ein Riechfläschchen unter die Nase zu halten. Wirklich sah die arme Sarah einer Sterbenden ziemlich ähnlich, denn sie hatte sich nur kaum von einer Anwandlung von Ohnmacht erholt, von der sie nach der Flucht des Doktors überfallen war. Herr Zange legte sogleich die Falten seines Gesichts zum Ausdruck des tiefsten Schmerzes zusammen, und seine Atemlosigkeit kam ihm dabei gut zustatten. Er schien vor Schrecken und Wehmut nicht reden zu können. Aber sein Herz hüpfte vor Freuden, denn er fand ja die Tante noch aufrecht genug zum Testament, und bei dem allem zum seligen Ende ziemlich fertig. «Jetzt,» dachte er, «jetzt oder nie muß das Eisen geschmiedet werden. Wollen sehen, ob wir nicht den Professor mit seinen Braten und den Pastor mit seinem Himmelreich durch einen erlaubten Pfiff aus dem Sattel heben können.»

      Sobald Sarah fähig war, wieder in Unterhaltung zu treten, fing er diese mit einer Schilderung seines Schmerzes an, die Tante – die liebe Herzenstante, – den Engel von Tante so schwach zu sehen. Nach diesem riet er ihr, statt des Doktors Falk einen andern Arzt zu nehmen.

      «Warum das?» fragte Sarah.

      «Sehen Sie, er ist ein armer Teufel – hofft vielleicht zu erben und gibt sich zur Rettung Ihres teuern Lebens nicht alle Mühe, die wohl nötig wäre. Menschen sind schwach. Besser ein neutraler Mann, als einer, der Partei nimmt. Und das begreifen Sie: ein Doktor, der zugleich Erbe ist, der ist Richter in eigener Sache.»

      Die Tante schüttelte den Kopf.

      «Ich will eigentlich nichts gegen ihn sagen!» fuhr Herr Zange fort, den das Kopfschütteln hoch erfreute, weil er daraus schloß, der Doktor sei nicht Richter in eigener Sache, weil er nicht zu erben bestimmt sei: «Gar nichts, liebste, himmlische Tante! Er ist sonst ein ganz guter Kauz. Aber die andern da haben mich argwöhnisch gemacht, der Pastor und der Professor . . . pfui, es sind Unmenschen, sich auf jemandes Absterben zu freuen, um des bißchen Geldes willen.»

      «Auf mein Absterben?« fragte die Tante mit dem vielkläglichen Blick einer Weltverlassenen.

      «Ich hab's schon längst bemerkt; es hat mich schon längst geärgert; doch wollt ich der guten Tante keinen Verdruß machen!» fuhr der Advokat eifriger fort, als er seine Sache auf gutem Wege sah.

      «Aber ist's auch wahr?» fragte die Tante, welche neben ihrer ungeheuern Leichtgläubigkeit für alle üble Nachreden, doch zuweilen Zweifel in diejenigen setzte, die ihre Person selbst betrafen.

      «Wahr? Und wenn ich ein Lügner wäre vom Morgen bis zum Abend: gegen Sie, Tante, hab ich nie zu lügen ein Herz gehabt, am wenigsten in diesen Augenblicken. Eigentlich sind es aber nur alberne Reden von den beiden Vettern.»

      «Alberne Reden? Was? Albern heißt das bloß?»

      «Nun ja. Zum Beispiel, der Primarius sagte noch neulich: die Leichenpredigt hab ich schon seit zehn Jahren auf die Tante fertig; aber Tante habe ein zähes Leben, und die Predigt werde ihm von den Würmern verzehrt.»

      «Ei, gerechter Himmel, das hätt ich dem Pastor nie zugetraut. Aber das weiß ich, ein Erzheuchler ist er doch neben seiner Kopfhängerei.»

      Darauf sagte der Professor: «Es kömmt auf die Hinterlassenschaft an. Ist sie danach, so geb ich am Begräbnistage einen Leichenschmaus von den leckersten Schüsseln, und lasse ein Dutzend Zapfen vom schönsten Champagner springen.»

      «Ei, da muß ich mein blaues Wunder hören!» schrie Sarah: «Wartet nur mit euern Zapfen und Predigten! Ich bin noch lange nicht zum Sterben. Ihr sollt euch die Augen wischen.»

      Die letzten Worte erschreckten den hoffnungsvollen Herrn Zange eben so sehr, als ihn die ersten entzückten. Er tastete zwar auf ihr seliges Ende lange herum; sehr behutsam, sehr zart; aber vergebens. Sie versicherte gar nicht behutsam, gar nicht zart, daß sie noch einige Dutzend Jährchen in diesem irdischen Jammertal Lust habe, ihr Kreuz zu tragen. Von Testamentmachen dürfte gar keine Rede sein. Der Advokat, untröstlich und verzweiflungsvoll, lief endlich davon.

      Bald nach ihm kam der Pastor Primarius Waldhorn, von Schweiß triefend, atemlos. Die Tante, vor Ärger in einem wahren Fieber, hatte sich zu Bett begeben. Als sie den Primarius sah, wandte sie das Gesicht weg und mochte ihm, eingedenk seiner Leichenrede, nur nicht den Gruß erwidern. Der Geistliche wurde dadurch noch mehr überzeugt, die Tante sei den letzten Zügen nahe, und fing ohne weitere Umstände ein kräftiges Gebet an, das endlich ganz unvermerkt in die Nutzanwendung überging: Mensch, bestelle dein Haus, denn du mußt sterben! – Unter Hausbestellung verstand er aber – ein Testament.

      «Es ist noch nicht so weit!» schrie ihn Sarah mit jener hellgellenden Stimme an, die der Familie Waldhorn erb- und eigen ist.

      «Aber der Herr Vetter Zange hat mich's doch erst versichert, da er mir bei der heiligen Geistkirche begegnete!» erwiderte der Primarius mit Entsetzen, denn solchen gesunden Waldhornklang von einer Kranken hatte er gar nicht mehr erwartet.

      «Was versichert?»rief Sarah unwillig.

      «Wie ich sage,» versetzte der Primarius: «hat er Sie denn nicht wegen des Testamentes bedroht?»

      «Er? Mich bedroht?»

      «Nun, Tante, lassen Sie sich auch von diesem Weltkinde gar nicht schrecken, das nur nach eitlem Mammon gelüstet. Er schwor zwar, daß, wenn Sie ihm nicht den größten Teil Ihres Vermögens vermachen würden, er Ihr Testament umstoßen wolle; und namentlich bedrohte er mich mit einem Prozeß von zwanzig Jahren und hieß mich einen Erbschleicher. Aber der Herr wolle ihm die Sünde nicht behalten; er weiß nicht, was er redet. Aber umstoßen will er Ihr Testament.»

      «Umstoßen? Der?»

      «Allerdings. Ich machte ihm zwar Vorstellungen in christlicher Liebe. Allein er sagte: Er betrachte Ihr Hab und Gut schon als sein Eigentum, das er durch die Prozesse redlich gewonnen, die er zu Ihrem Besten geführt. Ohne seinen Beistand hätten Sie, trotz allem Wucher, heut keinen Gulden mehr, und säßen im Armenhaus! Sagte er mir. Ich schlug an mein Herz und seufzte zum Himmel: Der Menschen Dichten und Trachten ist sündlich von Jugend auf!»

      «Und Ihre Leichenpredigt dazu, Vetter!» schrie die Tante erbost, und gab ihm das Zeichen, sie zu verlassen.

      Kaum war er fort, meldete sich der Professor der Philosophie. Nach den ersten philosophischen Leidbezeugungen sprach er von Seelengröße; dann von einen Krankensüppchen, das er in seiner Küche nach einem ganz neuen Rezept für sie bereiten lasse, und damit wollte er den Übergang auf seine Liebe machen, die er ihr tätiger, als irgend einer, bis zum Tode bewiesen habe. – – Allein die Tante, welche vor Gift und Galle kaum reden konnte, unterbrach ihn kreischend: «Herr Vetter, sparen Sie ihre Krankensuppen nur zum Leichenschmause nach meinem Tode auf.» Er wollte sein Erstaunen bezeugen (wiewohl ihm doch das rote Gesicht noch röter ward vor Scham und Wut, daß man seinen Scherz verraten hatte). Doch alles umsonst. Sarah wies ihm endlich ziemlich unphilosophisch die Tür.

      Abermals ein blaues Wunder.

       Inhaltsverzeichnis

      So hatten es alle vier Fakultäten mit der Jungfrau im Grund und Boden verdorben. Die Neffen waren in Verzweiflung, mit Ausnahme des Doktor Falk. Er lachte dazu. Sein Suschen aber keineswegs. Suschen machte ihrem Manne noch am andern Tage viele Vorwürfe, wiewohl sie anfangs über seinen unbesonnenen Einfall selbst hatte lachen müssen. Er nahm sie in den Arm und küßte ihr den Mund zu und sagte:«Du hast recht. Ich hätte der tugendbelobten Jungfrau nicht so Arges sagen sollen; aber wahrhaftig, ich wußte gestern nicht, wo mir der Kopf stand, als ich dich verließ.»

      «Ich würde nichts dagegen haben, lieb Männchen, wenn ich nicht überzeugt wäre, die Tante werde lebenslänglich unversöhnlich sein. Denn so etwas verzeiht