Heinrich Zschokke

Ausgewählte Werke von Heinrich Zschokke


Скачать книгу

Holzvorrat an der Neige. Du weißt es ja selbst. Und in der Kasse haben wir – sieh' nur her!» Sie klimperte ihm mit einigen Geldstücken im leeren Beutel dicht vor den Ohren.

      Da ward an die Tür gepocht. Sarah's alte Magd trat herein, brachte einen versiegelten Zettel und die dringende Bitte der Tante, daß sich der Herr Doktor unfehlbar nach dem Essen mit dem Glockenschlag ein Uhr bei ihr einfinden möge. Sie liege im Bette, doch scheine sie etwas besser zu sein als gestern.

      «Gut. Ich komme!» sagte Falk, nahm den Zettel und entließ die Magd. Er wog den Zettel in der Hand, schüttelte lächelnd den Kopf und sagte: «Fühle doch Suschen, das ist ja schwer wie Blei!» Er öffnete. In eine Spielkarte eingeklemmt, blitzten ihm zehn neue, schön geränderte Dukaten entgegen. Er betrachtete die Adresse. Sie war an den Doktor Falk und an keinen andern Menschen auf Erden. Solche unerhörte Freigebigkeit der Jungfrau Sarah erregte die gerechte Verwunderung des Ehepaars. «Das ist das blaueste von allen blauen Wundern der Tante!» rief Falk: «Nun, Herz, mein Herz, seit wann hatten wir solchen Schatz im Hause? Siehe, die Vorsehung wacht für uns und unsere Kinder. Wir sind für den Winter geborgen. Alle Not hat ein Ende. Warum weinst du doch?»

      «Ach!» schluchzte Suschen, und fiel ihrem Manne um den Hals: «vor Freuden wein ich. Aber,» setzte sie leise hinzu, «ich habe auch die ganze Nacht gebetet, denn schlafen konnt ich doch nicht viel.»

      Da schlug Falk beide Arme um die Geliebte und sagte nichts; und weinte heimlich. Denn seine Rührungen zeigte er ihr nicht gern.

      Das blaueste von allen.

       Inhaltsverzeichnis

      Mit dem Glockenschlag ein Uhr stand er vor dem Bette der Tante. Er nahm mit innerer Bewegung, voller Dankbarkeit ihre Hand – er hatte es Suschen gelobt –, küßte diese wohltätige Hand und sagte: «Beste Tante, Ihr Geschenk hat mich und Suschen sehr glücklich gemacht.»

      «Lieber Vetter,» sagte die Kranke holdselig, denn ein Kuß auf die Hand war ihr lange nicht widerfahren, «ich bin schon seit Jahr und Tag ihre Schuldnerin.»

      «Und verzeihen Sie meine gestrige Unart!» fuhr der Doktor fort.

      Die Tante bedeckte sich schamhaft das Gesicht mit Hand und Schnupftuch. Nach einer Weile sagte sie, ohne ihn anzusehen: «Vetter, ich setze mein ganzes Vertrauen in Sie – mein Leben hängt von Ihnen ab. Können Sie schweigen? Wollen Sie?»

      Falk versprach alles. Sie beruhigte sich damit noch nicht. Sie gelobte ihm ihr ganzes Vermögen, wenn er reinen Mund hielte. Er tat den feierlichsten Schwur.

      «Ich weiß, ihr beiden jungen Leute seid oft in Not und Mangel. Ich will mich zu Euch in die Kost geben, denn meine alte Magd, die mir so lange treu gedient» – hier fing sie laut an zu schluchzen –, «muß ich doch abschaffen. So lange Sie aber mein Geheimnis verschweigen, geb' ich Ihnen jährlich tausend Gulden Kostgeld, und sollt' ich einst sterben, mein ganzes Vermögen.»

      Der Doktor fiel auf die Kniee und schwor.

      «Aber Sie müssen außer der Stadt wohnen; denn in der Stadt bleib ich nicht. Ich trete Ihnen erb- und eigentümlich mein großes Haus vor dem Tore nebst Garten und Gütern ab. – Sie wissen mein Haus neben dem großen Gasthof zur Schlacht von Abukir, das ich vor einem halben Jahre von meiner Mutter Bruder, dem Akzisedirektor, erbte.»

      Der Doktor schwor mit einer hochaufgestreckten Hand: er wolle, trotz Winterfrost und Schnee, folgenden Tages hinausziehen.

      «Ich will, so lange Sie schweigen, Vetter, Ihnen mein Kostgeld halbjährlich vorausbezahlen; und für die ersten Einrichtungen für Sie und mich liegen im Wandschränkchen dort hinter der Tür vier Rollen mit Neuentalern.»

      Der Doktor streckte beide Hände und alle fünf Finger in die Luft und schwor Verschwiegenheit bis ins Grab, dachte aber bei sich: die glaubt gewiß, der jüngste Tag oder das tausendjährige Reich sei vor der Tür, daß sie sich so schnell bekehrt. Nach allem diesem aber kam Sarah nie zum Bekennen des großen Geheimnisses. Und so oft sie versuchte anzufangen, starb ihr das Wort auf den Lippen, indem sie das Gesicht verbarg und schluchzte. – Dies Anfangen und Abbrechen und Jammern währte ziemlich lange. Der Doktor stand auf, setzte sich vor das Bett, wischte mit dem Rockärmel seine Knie, nahm eine Prise und dachte: wenn man einen Brunnen endlich trocken pumpen kann, werden doch die Tränendrüsen einer beklemmten Jungfrau auch am Wasser versiegen.

      Es wird immer blauer.

       Inhaltsverzeichnis

      Er hatte recht. Als sie nicht mehr weinen konnte, hielt sie es für christliche Fassung des Gemüts, und sagte mit zitternder Stimme: «Vetter, als Sie gestern mit dem entsetzlichen Ausdruck von mir weggingen . . .»

      Der Doktor wollte wieder auf die Knie fallen und abbitten: «Verzeihen Sie mir doch den Ausdruck, goldene Tante, es war von mir . . .»

      «Nein, Vetter – Sie mochten wohl recht haben.»

      «Es war Dummheit von mir, Tante.»

      «Nein, Vetter, ich vermute, Sie haben recht.»

      «Das ist ja unmöglich, goldene Tante.»

      «Ach, nur allzugewiß, Vetter!»

      «Aber es ist nicht möglich, Tante. Und wenn auch – wenn selbst – nein, Tante, Sie sind gewiß . . .»

      «Vetter, Sie haben recht. Ich hätte in meinem Alter wohl vernünftiger sein sollen, meinen Sie. Und Sie haben recht. Nun aber wissen Sie alles. Das Unglück ist geschehen. Ich war verheiratet – aber heimlich, ganz heimlich – aber ehrlich, aber in der Ordnung. Wer wird mir's nun glauben? Nun ist er in Tirol an einer Stückkugel gestorben. Hier sind Briefe und Zeugnisse. Er ist tot und . . .»

      «Wer denn, Tante?» rief Falk voller Erstaunen.

      «Ach, der Trompeter vom französischen Husarenregiment, Gott hab ihn selig, der vorigen Sommer bis in den Herbst bei mir im Quartier lag. Es war kein gemeiner Trompeter, sondern Regimentstrompeter; sein Vater und Großvater hatten Jahre lang mit großem Beifall die Pauken gerührt. – Aber, gerechter Himmel, Husarenfrau mocht' ich nicht heißen. Und ehe er sich vom Regiment losmachen konnte, mußte er mit dem Regimente fort. Nun sitze ich da als eine junge Husarenwitwe. Keine Seele weiß es; keine Seele glaubt es. Ich sterbe, wenn man's erfährt. Die Stadt würde blaues Wunder schreien! Am Trompeter wäre mir wenig gelegen, aber mein guter Name!»

      Der Doktor schüttelte den Kopf. Er konnte sich von der Verwunderung kaum erholen. Den Trompeter hatte er zwar oft im Zimmer der Jungfrau Waldhorn gesehen, aber – Falk, der Goethe's Idee von der chemischen Wahlverwandtschaft der Menschen immer einen närrischen Einfall geheißen – er hätte sich nie so starke Wahlverwandtschaft zwischen Trompeter und Waldhorn träumen lassen. – Auch jetzt noch hielt er wenigstens die Besorgnisse der Jungfrau – denn so wollte die Witwe heißen – für grundlos; allein sie gab ihm auf seine Fragen über ihr Befinden so sonderbare Antworten, daß er selbst zu glauben anfing. Nun freilich konnte er sich die verschwenderische Freigebigkeit der hochbeängstigten Dame erklären, die lieber das Leben verloren, als es ertragen hätte, daß die ganze Stadt erführe, wie der erste Tugendspiegel aller Jungfrauen so blind überlaufen sei. Er gab sein Ehrenwort, zu schweigen und sie vor aller Welt zu verbergen, bis sie sich wieder mit Sicherheit sehen lassen könne. Bis dahin sollte sie für krank gelten – unter diesem Vorwand und besserer Pflege willen beim Doktor wohnen; allen Umgang abbrechen.

      Die Schenkung des Landhauses beim Wirtshaus zur Schlacht von Abukir ward notarialisch und gerichtlich ausgefertigt; das Landhaus mitten im Winter bezogen. Die jungfräuliche Matrone ward darauf unsichtbar. Sie ließ sich von Suschen allein bedienen, und diese hatte sie selbst in das Geheimnis eingeweiht.

      Gute Folgen.