Heinrich Zschokke

Ausgewählte Werke von Heinrich Zschokke


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heißt doch,» sagte sie oft in heitern Stunden zu Suschen, denn immer konnte sie doch nicht verzweifeln; auch tat Suschen alles, was sie der Tante in den Augen las, so daß diese sich in ihrem ganzen Leben nicht so wohl verpflegt und behaglich gefühlt hatte wie im Schoß dieser glücklichen Familie: «Das heißt doch wahrlich, sein blaues Wunder erleben, wenn einen zuletzt noch solches Schicksal trifft. Hätte ich das je denken sollen! Ach, siehe wohl zu, daß du sicher stehest, auf daß du nicht fallest. Ich war aber in allzugroßer, geistlicher Sicherheit! Da ward ich gestraft. O der Trompeter! der Trompeter!»

      Die Begebenheit hatte inzwischen auf Jungfrau Sarah einen sehr wohltätigen Einfluß. Aus bloßer Furcht, sich von den neugierigen Augen ihrer ehemaligen Gesellschafterinnen und Kaffeeschwestern verraten zu sehen, entwöhnte sie sich von dem Umgang derselben, und gewann reinern Vergnügungen im Kreise der Falkschen Familie Geschmack ab. – Zwar hörte sie noch gar zu gern Stadtneuigkeiten, aber – sie gedachte ihrer Schwäche – und verdammte nicht mehr so lieblos wie sonst; höchstens seufzte sie wie eine Gebeugte, welche, ihr eigenes Gericht scheuend, nie wieder richten wollte. Sie ward so nachgiebig, bescheiden, ja demütig, wie man nie von ihr hätte erwarten können. Die Verpflanzung unter andere Menschen, Verhältnisse und Gegenstände, der heroische Entschluß, wodurch sie einen Teil ihrer Güter weggegeben hatte, die Versicherung des Doktors, sie habe Vermögen genug, um zu leben, er wolle es ihr verbürgen – das alles verwandelte sie so sonderbar, als lebe sie in einer andern Welt. Sie gab sogar ihr Wucherhandwerk auf, das sie ohnedem bei ihrer Entfernung von der Welt nicht mehr treiben konnte.

      Unterdessen spieen die drei Fakultäten Feuer und Flamme. Der Advokat Zange und das philologische und theologische Waldhorn machten entsetzlichen Lärm gegeneinander. Denn Jungfrau Sarah hatte ein für allemal einem jeden den fernern Zutritt verboten und jedem dabei gesagt, was der Advokat ausgeplaudert, sowie dem Advokaten, was der Primarius von ihm verraten habe. Die beiden Waldhorne versöhnten sich zwar dem Scheine nach, aber nur um desto stärker durch ihre Vereinigung gegen den Rabulisten zu sein, der ihnen auf alle Bewegungen lauerte, um Stoff zu einem Prozeß zu finden. Der Philosoph schrieb ein vortreffliches Werk gegen die menschlichen Leidenschaften, und der Primarius hielt alle Sonntage die rührendsten Predigten gegen Undank, Verleumdung, Neid, Klatschsucht und Bosheit. Beide stifteten damit viel Gutes, nur ihre eigene Galle wuchs immer dabei.

      Der fromme Betrug.

       Inhaltsverzeichnis

      Inzwischen war nach der langen Winterzeit der Frühling gekommen. Die warmen Sommertage nahten. Doktor Falk hatte schon früh gemerkt, daß sich seine Tante in der Tat Sorgen ohne Not gemacht. Er hatte ihr dies gemeldet und zugleich offenbart, daß ihre Kränklichkeit eine der weiblichen Schwachheiten sei. Umsonst, die Jungfrau ließ sich ihre Einbildung schlechterdings nicht ausreden. Suschen und Falk mußten schweigen und der Tante den lächerlichen Glauben lassen, weil sie drohte, Argwohn gegen des Doktors Freundschaft zu fassen. – Sie hütete meistens das Bett.

      «Sie macht mir bange!» sagte Suschen zu ihrem Manne: «Sie kömmt mir zuweilen wie eine Verwirrte vor.»

      «Das ist sie auch im vollen Sinne des Worts!» sagte der Doktor: «Es ist bei ihr Hypochondrie, fixe Idee! Mit meinen Arzneien treib' ich ihre Einbildungen nicht weg. Was ist zu tun, vielleicht heil ich ihr eine Phantasie mit der andern. Ich gebe seiner Zeit unser Kind ihr für das ihrige.»

      «Aber wird sie das glauben?»

      «Will sie es nicht glauben, so läßt sie es.»

      Nach einigen Wochen erschien Suschen nicht mehr bei der Sarah – so war's von den Eheleuten besprochen. – Der Doktor zeigte ihr an, Suschen habe Unglück gehabt.

      «Das Kind tot?» fragte Sarah.

      «Allerdings!» erwiderte der Doktor.

      «Ach . . .» seufzte sie.

      «Bleiben Sie ohne Sorge, Tante.»

      Eines Morgens, vor Tagesanbruch, ward die Tante auf sonderbare Art geweckt. Ihr Gesicht ward mit Wasser besprengt; unter der Nase ihr ein stark riechendes Fläschchen ums andere gehalten, daß sie fast den Odem verlor.

      Sie schlug die Augen auf und sah den Doktor mit ihrer Nase beschäftigt. «Gerechter Himmel, ich sterbe; ich komme um! Was machen Sie mir denn in die Nase, Vetter!»

      «Still, Tante! Sprechen Sie kein Wort!» sagte der Doktor mit bedeutungsvollem Blick: «Geben Sie mir nur zu verstehen, ob Sie sich besser befinden.»

      «Ganz leidlich, Vetter.»

      «Sie lagen vier Stunden lang in Ohnmacht, Tante; mir war für Ihr Leben bange, jetzt ist's gut. Sie sind gerettet. Ein allerliebstes Kind . . .»

      «Was?» rief Sarah, indem sie sich fast die Nase zerrieb.

      «Ein artiger Knabe. Wollen Sie den Buben sehen? Wenn Sie sich ruhig verhalten, ohne ein Glied zu rühren; so . . .»

      «Aber, Vetter . . .»

      «Ich sage den Leuten, es sei das Kind meiner Frau, dafür gilt es jetzt im Hause.»

      «Ach, Vetter, Ihre Klugheit, Ihre Hilfe, Ihr Rat . . . Sie sind ein Engel.»

      Falk ging. Die Tante zitterte an allen Gliedern vor Schreck und Freude. Sie sah sich um; auf den Tischen standen brennende Kerzen und Arzneigläser dutzendweise. – Eine Frau brachte das Kind, es schlummerte sanft. Sarah sprach kein Wort, betrachtete es lange, fing bitterlich an zu weinen, küßte das junge Wesen unzählige Male und sagte zum Doktor, als es wieder weggetragen war: «Es ist der französische Regimentstrompeter, Gott hab' ihn selig, wie er leibt und lebt! Ja, gewiß, wie er leibt und lebt!»

      Wirkungen.

       Inhaltsverzeichnis

      Nach einigen Wochen, die sehr pünktlich bei guten Kraftbrühen verlebt wurden, trippelte Jungfrau Sarah wieder wohlgemut, stärker und frischer als jemals, im Hause herum. Sie wiegte das Knäbchen und trug es mit Zärtlichkeit umher, und hegte und pflegte es mit wahrer Affenliebe. Sie war glücklich von ihrer närrischen Einbildung durch eine noch weit närrischere geheilt. Dankbar dafür war der erste Gang, welchen sie aus dem Hause tat, zur Kirche, und von der Kirche hin, dem Doktor Falk ihr gesamtes Vermögen gerichtlich verschreiben zu lassen, mit der Bedingung, daß er sie lebenslänglich dafür verpflege, und ihr zum eigenen Gebrauch eine ansehnliche jährliche Summe Taschengeld gebe. Dem Doktor aber machte sie noch den geheimen Artikel zur Pflicht, daß dem Regimentstrompeterlein dermaleinst die Hälfte des gesamten Vermögens zufallen müsse. So ward Doktor Falk plötzlich durch die blauen Wunder der Jungfrau Sarah Waldhorn zum reichen Mann. Der Sieg der medizinischen Fakultät war unwiderruflich entschieden; desto ärger wüteten von nun an die theologische, philosophische und juristische gegen einander. Sie konnten nicht verzeihen, daß sie sich gegenseitig um die Universalerbschaft geprellt hatten. Dem Doktor Falk verzieh man leichter. Er war an allem unschuldig. Man knüpfte sogar wieder Freundschaft mit ihm an, denn er war einer der reichsten Männer in der Stadt; und einen reichen Mann, oder vielmehr sein Geld, kann der Philosoph und Jurist wie der Theologe allezeit gebrauchen.

      Die erbitterten Leutchen trieben ihren gegenseitigen Haß endlich so weit, daß sie ihren Kindern verboten, miteinander zu spielen; daß, wenn zwei einander von fern auf der Straße sahen, beide umkehrten, um sich nicht zu begegnen; wenn zwei einander nicht ausweichen konnten, sie links und rechts vorbei defilierten, ohne sich zu begrüßen. Ihre Todfeindschaft, die oft in die lächerlichsten Ausschweifungen entartete, ward zuletzt Gespräch und Ärgernis der ganzen Stadt.

      «Aber,» sagte Suschen zu ihrem Manne, «es ist doch recht betrübt, Verwandte in solchem Hader zu sehen. Wie wär's, Männchen, wenn du sie wieder versöhntest? Vielleicht wenn du sie einmal zu einem freundlichen Essen zusammenbätest. Beim Glase Wein wärmen die Männer wohl alte Freundschaft wieder auf. Versuch's doch. Es wäre ein schönes Werk getan.»

      «Alles