Heinrich Zschokke

Ausgewählte Werke von Heinrich Zschokke


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»Hört, Leute, ich bin diesen Augenblick nur sehr zufällig zu diesem Nachtwächter gekommen; ihr habt mit mir nichts zu schaffen. Ich bin vom Hofe. Untersteht ihr euch, mich zu zwingen, mit euch zu gehen, werdet ihr euren Irrtum bereuen und morgen bei Wasser und Brot im Turme sitzen.«

      »Laßt den Herrn um Gottes willen gehen, Leute!« rief Philipp: »Verlasset euch auf mein Wort, er ist ein großer Herr, der euch euren Dienst garstig versalzen kann. Es ist ...«

      »Schweig! rief Julian: »Es soll niemand aus deinem Munde erfahren, wer ich bin, wenn du allenfalls erraten hattest, wer ich sei. Hörst du, niemand! Niemand, sage ich dir, es komme, wie es wolle. Hörst du?«

      »Wir tun unsre Schuldigkeit!« entgegnete ein Polizeidiener: »und dafür setzt uns keiner in den Turm. Das könnte aber am Ende dem Herrn in der Maske selbst widerfahren. Wir kennen dergleichen Sprachen schon und fürchten solche Drohungen nicht. Vorwärts, marsch!«

      »Leute, nehmt Vernunft an!« rief Philipp: »Es ist ein sehr angesehener Herr am Hofe.«

      »Und wenn's der König selber wäre, müßte er mit uns, das ist unsre Pflicht; er ist verdächtig!« gab einer zur Antwort.

      »Ei ja!« rief ein anderer, »große Herren am Hofe haben wohl mit Nachtwächtern und euresgleichen heimliche Dinge abzutun und, wie vorhin einander in die Ohren zu zischeln.«

      Während man noch des Prinzen wegen hin und her stritt, kam ein Wagen, achtspännig, mit brennenden Fackeln voran, dahergefahren, an der Kirche vorbei. »Halt!« rief eine Stimme im Wagen, als dieser eben an dem Haufen der Polizeidiener war, welche den Prinzen umringt hielten.

      Der Wagen stand. Der Kutschenschlag öffnete sich. Ein Herr sprang heraus im Ueberrock, mit einem glänzenden Stern darauf, und ging zu der Menschengruppe. Er stieß die Polizeibeamten zurück, betrachtete den Prinzen von oben bis unten und sagte: »Richtig! Erkannte ich doch gleich den Vogel an seinen Federn von weitem. Maske, wer sind Sie?«

      Julian wußte nicht, wohin sich in seiner Verlegenheit drehen und wenden, denn er erkannte den Herzog Hermann. »Antworten Sie mir!« rief der Herzog mit donnernder Stimme. Julian schüttelte den Kopf und winkte dem Herzog, sich fortzubegeben. Dieser aber ward noch erpichter, zu wissen, mit wem er es auf dem Balle zu tun gehabt habe. Er fragte die Polizeibeamten. Diese standen mit entblößten Häuptern um den Herzog und sagten: sie hätten Befehl, den Nachtwächter unmittelbar zum Polizeiminister zu führen; der Wächter habe gottlose Verse gesungen, wie sie mit ihren eigenen Ohren gehört, sei ihnen aber durch Kreuz- und Quergassen gesprungen; hier nun, bei der Kirche, hätten sie ihn in vertraulichem Gespräche mit der Maske ertappt, die ihnen beinahe verdächtiger schiene als der Nachtwächter. Die Maske habe sich für einen Herrn vom Hofe ausgeben wollen, allein das sei offenbare Windbeutelei. Sie hätten daher für Schuldigkeit gehalten, die Maske zu arretieren.

      »Der Mensch ist nicht vom Hofe!« erwiderte der Herzog: »darauf könnt ihr sicher gehen; ich gebe euch mein Wort. Er hat sich unerlaubterweise auf dem Balle eingeschlichen und jeden glauben gemacht, er sei Prinz Julian. Er hat sich mir endlich entlarven müssen, da er auch mich betrogen und mir entwischte. Es ist ein unbekannter Mensch, ein Abenteurer. Ich habe es dem Oberhofmeister gemeldet. Ihr Leute, führt ihn sofort zum königlichen Palast, ihr habt einen guten Fang getan.«

      Mit diesen Worten drehte sich der Herzog um, stieg in den Wagen, rief noch einmal zurück: »Laßt ihn nicht entkommen!« und fuhr davon.

      Der Prinz sah sich verloren. Den Polizeidienern sein Gesicht zu zeigen, hielt er für unschicklich: durch diese wären seine Geniestreiche allzu stadtkundig geworden. Minder Gefahr lief er, wenn er vor dem Oberhofmeister oder dem Polizeiminister die Larve abzog. Also rief er entschlossen: »Meinethalben! Kommt!«

      Sie gingen. Röschen sah ihnen weinend nach.

      14.

       Inhaltsverzeichnis

      Philipp hatte beinahe an Hexerei glauben mögen, oder daß er träume. Denn so verworren und bunt es in dieser Nacht zuging, war's ihm in seinem Leben noch nicht gegangen. Er hatte sich eigentlich keine Vorwürfe zu machen, als daß er mit dem Prinzen die Kleider getauscht, und dann, wider seinen Willen, dessen Rolle auf dem Balle gespielt habe. Da aber der Prinz vermutlich die Nachtwächterrolle ebenfalls nicht in der Regel gespielt haben mochte – denn warum mußte er sich als Nachtwächter verhaften lassen? – hoffte er, bei diesem Gnade zu finden.

      Beim Palaste schlug dem armen Philipp das Herz stärker. Man nahm ihm Mantel, Horn und Stange ab. Der Prinz sprach mit einem vornehmen Herrn einige Worte. Sogleich wurden die Polizeidiener weggeschickt; der Prinz ging die Stiegen hinauf, und Philipp mußte folgen.

      »Fürchte dich nicht!« sagte Julian und verließ ihn. Philipp wurde in ein kleines Vorzimmer geführt wo er lange allein blieb.

      Endlich kam ein königlicher Kammerdiener und sagte: »Kommt mit mir. Der König will Euch sehen.«

      Philipp war fast außer sich vor Schrecken. Seine Knie wurden schwach. Er ward in ein schönes Zimmer geführt. Da saß der alte König lachend an einem kleinen Tische. Neben ihm stand der Prinz Julian ohne Larve. Sonst war niemand im Zimmer.

      Der König betrachtete den jungen Menschen eine Zeitlang, und, wie es schien, mit Wohlgefallen.

      »Erzähle mir alles genau,« sagte der König zu ihm, »was du in dieser Nacht getan hast.«

      Philipp gewann durch die leutselige Anrede, des ehrwürdigen Monarchen wieder Mut und beichtete haarklein, was er getan und erlebt hatte, von Anfang bis zu Ende. Doch war er klug und bescheiden genug, das zu verschweigen, was er in seiner Prinzenrolle von den Höflingen gehört hatte, und wodurch Julian hatte in Verlegenheit gesetzt werden können. – Der König lachte bei der Erzählung einige Male laut auf; dann tat er noch einige Fragen über Philipps Herkunft und Beschäftigung, nahm ein paar Goldstücke vom Tische, gab sie ihm und sagte: »Nun geh' du, mein Sohn, und warte deines Berufes. Es soll dir nichts Leides geschehen. Aber entdecke keinem Menschen, was du in dieser Nacht getrieben und erfahren hast. Das befehle ich dir. Nun geh'!«

      Philipp fiel dem König zu Füßen und küßte dessen Hand, indem er einige Worte des Dankes stammelte. Als er wieder aufstand, um fortzugehen, sagte Prinz Julian: »Ich bitte untertänigst, daß Ihre Majestät dem jungen Menschen erlauben wolle, draußen zu warten. Ich habe ihm für das Ungemach, das ich ihm diese Nacht verursachte, noch eine kleine Schuld abzutragen«

      Der König nickte lächelnd mit dem Kopfe, und Philipp entfernte sich.

      »Prinz!« sagte der König und warnte drohend Mit dem aufgehobenen Finger: »Ein Glück für Sie, daß Sie mir die Wahrheit sagten! Ich will auch diesmal noch Ihren wilden, albernen Possen Verzeihung widerfahren lassen. Sie hatten Strafe verdient. Noch einmal solch' einen Pagenstreich, und ich werde unerbittlich sein. Nichts wird Sie dann entschuldigen. Die Geschichte mit Herzog Hermann muß ich noch näher kennen. Gut, wenn er fortgeht; ich mag ihn nicht. Von dem, was Sie, über den Polizei- und Finanzminister sagten, erwarte ich ebenfalls Beweise. Gehen Sie jetzt und geben Sie dem jungen Gärtner ein Trinkgeld. Er hat in Ihrer Maske vernünftiger gehandelt, als Sie in der seinigen.«

      Der Prinz verließ den König. Er legte in einem Nebenzimmer den Ballanzug ab, den Ueberrock an, ließ Philipp rufen und befahl ihm, mit ihm in seinen Palast zu gehen. Hier mußte Philipp alles, was er als Stellvertreter Julians auf dem Balle vernommen und gesprochen, Wort für Wort erzählen. Philipp gehorchte. Julian klopfte ihm auf die Schulter und sagte: »Höre, Philipp, du bist ein gescheiter Kerl. Dich kann ich gebrauchen. Ich bin zufrieden mit dir. Was du in meinem Namen dem Kammerherrn Pilzow, der Gräfin Bonau, dem Marschall und seiner Frau, dem Oberst Kalt, dem Finanzminister und den übrigen gesagt, finde ich ganz vernünftig, und ich will es ansehen und halten, als hatte ich es selbst gesagt. Dagegen mußt du zu den Versen stehen, die ich in deinem Namen als Nachtwächter gesungen habe. Du wirst zur Strafe deines Nachtwächterdienstes entsetzt werden; das laß dir gefallen. Dafür mache ich dich zum Schloßgärtner bei mir. Ich übergebe dir meine Gärten von