Heinrich Zschokke

Ausgewählte Werke von Heinrich Zschokke


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Gewaltig, abgenommen hat.

       Selbst uns're Mädchen, weiß und braun,

       Sucht man nicht mehr zu Ehefrau'n.

       Die Ware putzt sich, wie sie kann,

       Und bringt sich doch nicht an den Mann.

      »Das ist doch unverschämt!« riefen einige weibliche Stimmen im Haufen, »uns mit Waren zu vergleichen!« Von den anwesenden Männern aber lachten viele aus vollem Halse. »Da capo!« schrien einige lustige Brüder. »Bravo, Nachtwächter!« schrien andere. »Was unterstehst du dich, Kerl, unsere Frauenzimmer auf öffentlicher Straße zu beleidigen?« schnob ein junger Leutnant, der ein hübsches Mädchen am Arm führte, den Nachtwächter an.

      »Herr Leutnant, der Nachtwächter singt leider Gottes die Wahrheit!« entgegnete ihm ein junger Müller. »Und gerade das Weibsbild, das Sie am Arm führen, bestätigt die Wahrheit. He, Jungferchen, kennst du mich? Weißt du, wer ich bin? He? Geziemt sich das für eine verlobte Braut, des Nachts mit anderen Männern herumzuschwärmen? Morgen sag' ich's deiner Mutter. Ich will nichts mehr mit dir zu schaffen haben!«

      Das Mädchen verhüllte sich das Gesicht und zupfte am Arm des Offiziers, um davon zu kommen. Der Leutnant wollte aber, ein Kriegsheld, vor dem Müller nicht so leicht Reißaus nehmen und mit Ehren das Feld behaupten. Er stieß eine Menge Flüche aus, und da dieser kein Wort schuldig blieb, schwang er den Stock. Plötzlich aber erhoben sich zwei dicke spanische Rohre, von bürgerlichen Fäusten geführt, warnend über dem Haupte des Leutnants.

      »Herr!« rief ein breitschulteriger Bierbrauer dem Kriegsmanne zu: »Hier keine Händel wegen des schlechten Mädchens angefangen. Ich kenne den Müller; er ist ein braver Mann. Er hat recht; und der Nachtwächter hat recht, so wahr ich lebe! Ein ehrlicher Bürgersmann und Professionist kann und mag kaum noch ein Mädchen aus unserer Stadt zur Frau nehmen. Die Weibsbilder wollen sich alle über ihren Stand erheben; statt Strümpfe zu stopfen, lesen sie Romane; statt Küche und Keller zu besorgen laufen sie in Komödien und Konzerte. Im Hause bei ihnen ist Unflat, und auf den Gassen gehen sie geputzt einher wie Prinzessinnen. Da bringen sie dem Manne keine Mitgift ins Haus, als ein paar schöne Röcke, Spitzen und Bänder und Liebschaften, Romane und Faulheit. Herr, ich spreche aus Erfahrung. Wären unsere Bürgerstöchter nicht so verderbt, ich wäre langst verheiratet.«

      Alle Umstehenden erhoben ein gellendes Gelächter. Der Leutnant streckte langsam das Gewehr vor den beiden spanischen Rohren und sagte verdrießlich: »Das fehlte auch noch, hier von dem bürgerlichen Pack Bußpredigten zu hören!«

      »Was, bürgerliches Pack?« rief ein Nagelschmied, der das zweite spanische Rohr führte: »Ihr adeligen Müßiggänger, die wir euch mit unsern Steuern und Abgaben füttern müssen, wollt ihr von bürgerlichem Pack sprechen? Eure Liederlichkeit ist an allem Unglück im unseren Haushaltungen schuld. Es blieben nicht halb soviel ehrliche Mädchen sitzen, wenn ihr hättet beten und arbeiten gelernt.«

      Nun sprangen mehrere junge Offiziere dazu; aber auch Meister und Handwerksburschen sammelten sich. Buben machten Schneebälle und ließen davon in den dicksten Haufen fliegen, um auch ihre Freude dabei zu haben. Die erste Kugel traf den vornehmen Leutnant auf die Nase. Dieser hielt es für den Angriff des bürgerlichen Packs und erhob abermals den Stock. Das Treffen begann.

      Der Prinz, welcher nur den Anfang des Wortwechsels gehört hatte, war längst wohlgemut und lachend davongezogen in eine andere Straße, unbekümmert um die Folgen seines Gesanges. Er kam an den Palast des Finanzministers Bodenlos. Mit diesem Herrn stand er nicht im besten Vernehmen, wie das schon Philipp erfahren hatte. Julian sah alle Fenster erleuchtet. Die Gemahlin des Ministers hatte große Gesellschaft. Julian in seiner satirischen Poetenlaune pflanzte sich dem Paläste gegenüber hin und blies kräftig in sein Horn. Einige Herren und Damen öffneten, vielleicht weil sie eben nichts Besseres zu tun hatten, das Fenster, neugierig, den Nachtwächter zu hören.

      »Nachtwächter!« rief einer von den Herren herab, »sing' auch ein hübsches Stück zum Neujahr.« Dieser Zuruf lockte noch mehrere von der Gesellschaft der Frau Ministerin an die Fenster.

      Julian, nachdem er gewohntermaßen die Stunde gerufen, sang mit lauter Stimme gar vernehmlich:

      Ihr, die ihr seufzt in Schuldennot

       Und ohne Witz zum Bankerott,

       Fleht, daß der Herr in dieser Nacht

       Euch zum Finanzminister macht,

       Der ohne Finanzen läßt das Land,

       Weil er sie behält in seiner Hand.

      »Das ist ja zum Ohnmächtigwerden!« rief die Frau Ministerin, die ebenfalls zu einem der Fenster getreten war: »Wer ist denn der niederträchtige Mensch, der sich dergleichen erfrecht?«

      »Frau Exzellenz!« antwortete Julian mit verstellter Stimme, indem er den jüdischen Dialekt annahm, »ich wollte Ihnen doch ein kleines Vergnügen machen. Halten zu Gnaden, ich bin nur der Hofjude Abraham Levi; Frau Exzellenz kennen mich doch schon.«

      »Weh mir!« schrie eine Stimme oben am Fenster. »Ehrvergessener Kerl, wie willst du sein Abraham Levi? Bin ich nicht selber Abraham Levi? Du bist ein Betrüger!«

      »Ruft die Wache!« rief die Frau Ministerin. »Laßt den Menschen arretieren!«

      Bei diesen Worten verließen alle Gäste in großer Behendigkeit die Fenster. Aber auch der Prinz blieb nicht stehen, sondern nahm im Doppelschritt den Weg durch einige kleine Quergassen.

      Ein Schwarm Bedienter, begleitet von einigen Finanzsekretären, stürzte aus dem Palaste hervor und jagte umher, den Lästerer zu suchen. Plötzlich riefen einige laut: »Wir haben ihn!« die andern eilten dem Rufe nach. Wirklich hatten sie den Nachtwächter des Reviers gefunden, der in großer Unschuld auf dem Wege seines Berufs dahintrabte. Er ward umringt, übermannt und, wie sehr er sich auch sträubte, wegen seiner sarkastischen Einfälle auf die Hauptwache geschleppt.

      Der wachthabende Offizier schüttelte verwundert den Kopf und sagte: »Man hat mir schon einen Nachtwächter zugeführt, der durch Verse, die er auf die Mädchen der Residenz abgerufen, eine fatale Schlägerei zwischen Offizieren und Bürgerlichen verursacht hat.«

      Der neueingebrachte Gefangene wollte durchaus nichts gestehen und lärmte gewaltig, daß ein Haufe junger Leute, die wahrscheinlich zuviel getrunken haben mochten, ihn in der Ausübung des ihm anvertrauten Amtes gestört hätten. Einer der Finanzsekretäre sagte ihm aber den ganzen Vers vor, der den gerechten Zorn der Frau Ministerin und aller ihrer Gäste erregt hatte. Sämtliche Soldaten brachen in ein erschütterndes Lachen aus. Der ehrliche Nachtwächter aber schwor mit Tränen, ihm sei so etwas nie in den Sinn gestiegen.

      Während man noch mit diesem Verhör beschäftigt war, der Nachtwächter seine Unschuld beteuerte, die jungen Herren für alle Folgen ihres Betragens verantwortlich machte und die Finanzsekretäre in der Tat schon anfingen, zweifelhaft zu werden, ob sie auch den rechten Mann ergriffen hätten, rief die Schildwache draußen: »Wacht heraus, ins Gewehr!«

      Die Soldaten sprangen davon. Die Finanzsekretäre fuhren fort, den Nachtwächter mit Fragen zu bestürmen. Indem trat der Feldmarschall in die Wachtstube, begleitet vom wachthabenden Hauptmann.

      »Lassen Sie mir den Kerl da krummschließen!« rief der Feldmarschall und zeigte mit der Hand hinter sich. Zwei Offiziere traten herein, die einen entwaffneten Nachtwächter bei den Armen führten.

      »Sind denn die Nachtwächter alle toll geworden?« rief der wachthabende Hauptmann ganz erstaunt aus.

      »Ich will dem Bösewicht morgen seine infamen Verse bezahlen!« schrie der Feldmarschall.

      »Ihre Exzellenz,« versetzte der neugefangene Wächter zitternd und bebend, »ich habe, weiß der Himmel, keine Verse gemacht, in meinem ganzen Leben keinen Vers!«

      »Schweig, Schurke!« brüllte mit entsetzlicher Stimme der Feldmarschall. »Du sollst mir auf die Festung oder an den Galgen, und widersprichst du mit einem Muck noch, so haue ich dich auf der Stelle in Krautstücke!«

      Der wachthabende Hauptmann bemerkte dem Marschall in aller Ehrerbietung: es müsse eine