Heinrich Zschokke

Ausgewählte Werke von Heinrich Zschokke


Скачать книгу

Herren,« sagte der Feldmarschall zu den ihn begleitenden Offizieren, »da der Kerl schlechterdings nicht eingestehen will, daß er den Vers gesungen habe, so besinnen Sie sich auf das Pasquill, ehe Sie es vergessen. Schreiben Sie es auf. Morgen wollen wir ihn schon zum Geständnis bringen. Jetzt will ich keine Zeit verlieren und auf den Ball. Wer weiß es noch?«

      Die Offiziere besannen sich. Einer half dem andern nach. Der Wachthabende schrieb, und da kam folgendes heraus:

      Der Federbusch auf leerem Kopf,

       Im Nacken einen steifen Zopf,

       Den Bauch zurück, die Brust heraus,

       Das macht des Heeres Stärke aus.

       Man wird bei Tanz und Geigenschall,

       Bei Kuß und Spiele Feldmarschall.

      »Willst du leugnen, Schurke?« fuhr der Feldmarschall den erschrockenen Nachtwächter mit erneuter Wut an: »Willst du leugnen, daß du das gesungen hast, als ich aus der Tür meines Hauses trat?«

      »Mag es gesungen haben, wer will, ich weiß nichts davon!« antwortete der Nachtwächter.

      »Warum liefest du denn davon, als du mich vortreten sahst?« fragte der Marschall weiter.

      »Ich bin nicht gelaufen.«

      »Was?« riefen die beiden Offiziere, »du nicht gelaufen? Warst du nicht außer Atem, als wir dich am Markt hier endlich einholten?«

      »Ja, ich war vor Schrecken außer mir, daß mich die Herren so gewalttätig überfielen. Es liegt mir noch jetzt in allen Gliedern.«

      »Schließen Sie den hartnäckigen Hund krumm!« rief der Marschall dem Wachthabenden zu. »Er hat bis morgen Zeit genug, sich zu besinnen.« Mit diesen Worten eilte der Marschall hinweg.

      Der Lärm auf den Gassen und die Spottgedichte der Nachtwächter hatten die ganze Polizei in Bewegung gesetzt. Noch in derselben Viertelstunde wurden zwei andere Nachtwächter, freilich nicht die rechten, ergriffen und zur Hauptwache geführt. Der eine sollte auf den Minister der auswärtigen Angelegenheiten ein schmähliches Lied gesungen haben, des Inhalts: der Minister wäre nirgends auswärtiger als im seinem Departement. Der andere war beschuldigt, vor dem bischöflichen Palaste gesungen zu haben: es fehle den Kirchenlichtern nicht an Talg, aber sie verbreiteten im Lande mehr Qualm und Rauch als Helligkeit.

      Der Prinz, welcher durch seinen Mutwillen allen Nachtwächtern der Residenz so schlimmes Spiel machte, entschlüpfte überall glücklich und ward eben darum von Gasse zu Gasse kecker. Die Sache machte Geräusch. Man hatte sogar dem Polizeiminister, der beim König am Spieltische saß, von der poetischen Insurrektion der ehemals so friedlichen Nachtwächter rapportiert und zum Beweis einen der Spottverse schriftlich überbracht. Der König hörte den Vers an, der gegen die schlechte Polizei selbst gerichtet war, die ihre Spürnase in alle Familiengeheimnisse der Stadt stecke, und doch im eigenen Hause nichts rieche, daher ihr wohl eine Prise zu gönnen sei. Der König lachte laut auf und befahl, ihm einen der nachtwächterlichen Poeten einzufangen und herzubringen. Er stand vom Spieltische auf, denn er sah, der Polizeiminister hatte die gute Laune verloren.

      10.

       Inhaltsverzeichnis

      Im Tanzsaale neben dem Spielzimmer hatte Philipp, der gefürstete Nachtwächter, soeben von seiner Sackuhr vernommen, daß es Zeit sei, sich zum Finde-mich bei der Gregorienkirche einzustellen. Er selbst war froh, seinen Purpurtalar und Federhut an den Substituten zurückzugeben, denn ihm ward unter der vornehmen Maske nicht gar wohl zumute.

      Wie er eben die Tür suchte, um sich davonzuschleichen, kam ihm der Neger nachgetreten und zischelte ihm zu: »Königliche Hoheit, Herzog Hermann sucht sie allenthalben!« – Philipp schüttelte ärgerlich den Kopf und ging hinaus; ihm nach der Neger. Wie sie beide in das Vorzimmer traten, flüsterte der Neger: »Bei Gott, da kommt der Herzog!« und mit den Worten machte sich der Schwarze wieder eilfertig in den Saal zurück.

      Eine hohe, lange Maske trat mit schnellen Schritten gegen Philipp aus und rief: »Halten Sie einen Augenblick; ich habe mit Ihnen ein Wörtchen abzutun. Ich suche Sie schon lange.«

      »Nur geschwind,« entgegnete Philipp, »denn ich habe keine Zeit zu verlieren.«

      »Ich wollte, ich müßte keine mit Ihnen verlieren. Ich habe Sie lange genug gesucht. Sie sind mir Genugtuung schuldig. Sie haben mir blutige Beleidigung zugefügt.«

      »Daß ich nicht wüßte.«

      »Sie kennen mich nicht?« rief der Herzog und zog die Larve ab: »Nun wissen Sie, wer ich bin, und Ihr böses Gewissen muß Ihnen das übrige sagen. Ich fordere Genugtuung. Sie und der verfluchte Salmoni haben mich betrogen.«

      »Davon weiß ich nichts!« antwortete Philipp.

      »Sie haben die schändliche Geschichte im Keller des Bäckermädchens angestellt. Auf Ihr Anstiften hat sich der Oberst Kalt an meiner Person vergriffen.«

      »Kein wahres Wort.« »Wie, kein wahres Wort? Sie leugnen? – Die Marschallin Blankenschwerd hat mir erst vor wenigen Minuten alles entdeckt. Sie war Augenzeugin bei der Geisterkomödie, die Sie mit mir spielten.«

      »Sie hat Ihrer Durchlaucht ein Märchen aufgebunden. Ich habe an Ihren Händeln keinen Teil gehabt. Wenn Sie Geisterkomödien mit sich spielen ließen, war es Ihre Schuld.«

      »Ich frage Sie, ob Sie mir Genugtuung geben wollen? Wo nicht, so mache ich Lärm. Folgen Sie mir auf der Stelle zum König. Entweder Sie schlagen sich mit mir, oder – zum König«

      »Ihre Durchlaucht ...«. stotterte Philipp verlegen: »Ich habe weder Lust, mich mit Ihnen zu schlagen, noch zum König zu gehen.«

      Das war Philipps voller Ernst, denn er fürchtete, die Larve abziehen zu müssen und in empfindliche Strafe wegen der Rolle zu fallen, die er wider seine Absicht hatte spielen müssen. Er machte daher gegen den Herzog allerlei Ausflüchte und sah nur immer nach der Tür, um irgend einmal den Augenblick erwischen und davonspringen zu können. Der Herzog hingegen bemerkte die Aengstlichkeit des vermeintlichen Prinzen und ward dadurch mutiger. Er nahm zuletzt den armen Philipp beim Arm und wollte ihn zum Saal führen.

      »Was wollen Sie von mir?« rief Philipp in Verzweiflung und schleuderte den Herzog zurück.

      »Zum König!« antwortete der Herzog wütend. »Er soll hören, wie schändlich man an seinem Hofe einem fürstlichen Gast begegnet.«

      »Gut!« sagte Philipp, der sich nicht mehr zu helfen wußte, als wenn er den Charakter des Prinzen wieder annähme, »so kommen Sie – ich bin bereit. Zum Glück habe ich den Zettel bei mir, auf welchem Sie dem Bäckermädchen eigenhändig die Versicherung ausstellten ...«

      »Possen! Larifari!« erwiderte der Herzog. »Das war einer von den Späßen, den man wohl mit einem dummen Bürgermädchen treibt. Zeigen Sie ihn nur dem König. Ich werde mich darüber ausweisen.«

      Indessen schien es doch dem Herzog mit den Ausweisen nicht gar Ernst zu sein. Er drang gar nicht weiter darauf, Philipp zum König zu führen, und das war dem Philipp schon recht – desto ungestümer bestand der Herzog darauf, daß sie beide in den Wagen sitzen und, der Himmel weiß wohin, fahren wollten, um die Ehrensache mit Pistolen und Säbeln abzutun. Das war nun dem bedrängten Philipp gar nicht gelegen. Er stellte dem Herzog alle bösen Folgen dieses Schrittes vor. Jener aber in seinem Grimme ließ sich durch nichts in seinem Verlangen abwendig machen; versicherte, er habe schon Fürsorge für alles getroffen und werde nach Beendigung ihres Geschäfts noch in der Nacht abreisen.

      »Wenn Sie nicht,« fuhr der Herzog fort, »der feigste Mensch in Ihrem Lande sind, so folgen Sie mir zum Wagen, Prinz.«

      »Ich bin kein Prinz!« antwortete Philipp, der sich zum Aeußersten getrieben sah.

      »Sie sind es. Jeder hat Sie hier auf dem Balle erkannt. Ich kenne Sie am Hut. Sie hintergehen mich nicht.

      Philipp