Heinrich Zschokke

Ausgewählte Werke von Heinrich Zschokke


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prallte zurück und stand wie versteinert. Seine geheimste Angelegenheit einem Unbekannten verraten zu haben, vermehrte seine Bestürzung und Verlegenheit. Ehe er sich noch aus dieser sammeln konnte, hatte Philipp schon die Tür in der Hand, und weg war er.

      11.

       Inhaltsverzeichnis

      Sobald sich Philipp im Freien befand, nahm er blitzschnell Hut und Seidenmantel ab, wickelte jenen in diesen, und so, beides unter dem Arm, sprang er die Gasse entlang, der Gregorienkirche zu.

      Da stand Röschen schon in einem Winkel neben der hohen Kirchenpforte und harrte sein. »Ach, Philipp, lieber Philipp!« sagte sie zu ihm, sobald sie ihn erkannte, und drückte seine Hand: »Welche Freude hast du mir doch gemacht! O wie glücklich sind wir! Sieh, ich habe keine Ruhe mehr bei meinen Freundinnen gehabt. Gottlob, daß du da bist. Schon seit beinahe einer Viertelstunde stehe ich hier und friere. Aber ich denke vor Freuden gar nicht an die Kälte, die ich leide.«

      »– Und ich, liebes Röschen, danke Gott auch, daß ich wieder bei dir bin. Hole der Geier all den Schnickschnack der großen Herren. Nun, ich erzähle dir schon ein andermal von den tollen Auftritten die ich gehabt habe. Sage mir, Herzenskind, wie geht es dir auch? Hast du mich noch ein wenig lieb?«

      »Ei, du bist nun ein großer Herr geworden, Philipp, und da ist's wohl an mir zu fragen, ob du mich noch ein wenig lieb hast?

      »– Wetter, woher weißt du denn schon, daß ich ein großer Herr war?«

      »Du hast es mir ja selber gesagt. Philipp, Philipp, wenn du nur nicht stolz wirst, nun du so entsetzlich reich bist. Ich bin ein armes Mädchen, und nun freilich zu schlecht für dich. Aber, Philipp, ich habe schon bei mir gedacht, wenn du mich verlassen könntest, sieh', ich wollte lieber, du wärest ein Gärtner geblieben. Ich würde mich zu Tode grämen, wenn du mich verlassen könntest.«

      »– Röschen, sage mir, was schwatzest du auch da? Ich bin eine halbe Stunde Prinz gewesen, und es war doch nur Spaß – aber in meinem Leben mache ich solchen Spaß nicht wieder. Nun bin ich wieder Nachtwächter, und so arm wie vorher. Ich habe da wohl noch fünftausend Gulden bei mir, die ich von einem Mameluken bekommen – die könnten uns beiden aus der Not helfen – aber leider, sie gehören mir nicht«.

      »Du sprichst wunderlich, Philipp!« sagte Röschen, und gab ihm die schwere Geldbörse, die sie vom Prinzen erhalten hatte: »Da, nimm dein Geld wieder. Es wird mir doch im Strickbeutel fast zu schwer.«

      »– Was soll ich mit dem vielen Gelde? Woher hast du das, Röschen?«

      »Du hast es ja in der Lotterie gewonnen, Philipp.«

      »– Was? Hab' ich gewonnen? Und man hat mir doch auf dem Rathause gesagt, meine Nummern wären nicht herausgekommen! Sieh, ich habe gesetzt, und gehofft, es könnte eine Terne für uns zur Aussteuer geben. Aber der Gärtner Rothmann sagte mir, als ich den Nachmittag zu spät auf das Rathaus kam: »Armer Philipp, keine Nummer!« – Juchhe, also doch gewonnen! Jetzt kauf' ich den größten Garten, und du bist meine Frau. Wieviel ist's denn geworden?«

      »Philipp, hast du dir ein Räuschchen in der Neujahrsnacht getrunken? Du mußt besser wissen, wieviel es ist. Ich habe bei meinen Freundinnen nur unter dem Tische heimlich in die Börse hineingeschielt, und bin recht erschrocken, als ich ein Goldstück neben dem andren blitzen sah. Da dachte ich: nun wundert's mich nicht, daß der Philipp so unbändig war. Ja, recht unbändig bist du gewesen. Aber es war dir ja nicht zu verargen. Ich möchte dir selber um den Hals fallen und mich recht satt weinen vor Freuden.«

      »– Röschen, wenn du fallen willst, ich mag es wohl leiden. Aber hier ist ein Mißverständnis. Wer hat dir das Geld gebracht und gesagt, es sei mein Lotterielos? Ich habe ja das Los noch zu Hause im Kasten, und kein Mensch hat es mir abgefordert.«

      »Philipp, treib' keine Possen. Du hast's mir vor einer halben Stunde selber gesagt und mir selber das Geld gegeben.«

      »– Röschen, besinne dich. Diesen Morgen sah ich dich beim Weggehen aus der Messe, da wir miteinander unser Zusammenfinden für diese Nacht verabredeten. Seitdem sahen wir ja einander nicht. »Außer vor einer halben Stunde, da ich dich blasen hörte und ich dich zu Steinmanns ins Haus hereinrief. Aber was trägst du denn unter dein Arm für ein Bündelchen? Warum gehst du bei der kalten Nacht ohne Hut? – Philipp, Philipp! nimm dich wohl in acht. Das viele Geld könnte dich leichtsinnig machen. Du hast gewiß in einem Wirtshause gesessen und hast dir mehr zugute getan, als du solltest. Gelt, was hast du da für ein Bündelchen? Mein Himmel, das sind ja wohl Frauenzimmerkleider von Seiden? Philipp, Philipp, wo bist du gewesen?«

      »– Gewiß vor einer halben Stunde nicht bei dir. Du willst dich, glaub' ich, über mich lustig machen? Antworte mir, woher hast du das Geld?«

      »Antworte mir erst, Philip, woher hast du diese Frauenzimmerkleider? Wo bist du gewesen?«

      Da beide ungeduldig waren, Antwort zu hören und keine Antwort gaben, fingen sie an, aneinander etwas mißtrauisch zu werden und zu zänkeln.

      12.

       Inhaltsverzeichnis

      Wie es gewöhnlich in solchen Rechtshändeln geht, wo ein liebendes Pärchen miteinander streitet, ging es auch hier. Sobald Röschen das weiße Schnupftuch hervornahm und ihre Augen trocknete und das Köpfchen wegwandte, und ein Seufzer um den andern aus der Tiefe der Brust hervorzitterte, hatte sie offenbares Recht und er offenbares Unrecht. Und er gestand sein Unrecht, indem er sie tröstete und bekannte: er sei auf einem Maskenball gewesen, und was er unter dem Arm trage, sei kein weibliches Gewand, sondern ein Seidenmantel nebst Larve und Federhut.

      Nach diesem reumütigen Geständnis aber begann erst das strengste Verhör über ihn. Ein Maskenball, das weiß jedes Mädchen in einer großen Stadt, ist für unverwahrte Herzen ein gefährlicher Irrgarten und Kampfplatz. Man stürzt sich in ein Meer anmutiger Gefahren und geht manchmal darin unter, wenn man kein guter Schwimmer ist. Röschen hielt ihren Freund Philipp aber gerade nicht für den besten Schwimmer; es ist schwer zu sagen, warum? Also mußte er zuerst erklären, ob er getanzt habe. Auf das Verneinen hin fragte sie, ob er keine Abenteuer und Händel mit weiblichen Masken gehabt habe? Das ließ sich nicht verneinen. Er bekannte allerlei; doch setzte er jedesmal hinzu, die Frauenzimmer wären insgesamt von vornehmer Abkunft gewesen und hätten ihn für einen anderen gehalten. Röschen wollte zwar ein wenig zweifeln; doch unterdrückte sie den Argwohn. Als er aber auf ihre Frage: für wen man ihn gehalten habe und von wem er seine Maske geliehen? immer den Prinzen Julian nannte, schüttelte sie doch das ungläubige Köpfchen; und noch unwahrscheinlicher war ihr sein Geschichtchen, daß der Prinz Nachtwächterdienste getan, während Philipp auf dem Balle gewesen. Er aber vernichtete alle ihre Zweifel mit der Versicherung, der Prinz – denn dafür halte er seinen Substituten – werde, laut Abrede, in wenigen Augenblicken bei der Gregorienkirche erscheinen und die schöne Maske für den Nachtwächtermantel eintauschen.

      Nun ging dem erschrockenen Röschen über ihr Abenteuer im dunklen Hausgang ein Licht auf. War es ihr doch damals schon aufgefallen, daß der vermeinte Philipp so etwas Fremdartiges in seinem Wesen gehabt hatte. Da nun die Reihe an sie kam, alles haarklein zu beichten, wie sie zu dem Gelde für das Lotterielos gelangt wäre, stotterte sie lange und suchte nach Worten herum, daß dem Philipp ganz bange ward.

      Sie erzählte endlich alles, was vorgefallen war; aber wie es zum Kuß und Gegenkuß kam, stockte sie wieder mit der Sprache. Doch mußte es heraus.

      »Es ist nicht wahr!« rief Philipp: »Ich habe dir keinen Kuß gegeben und von dir keinen empfangen.« »So hat es dir doch gegolten« sagte Röschen leise und schmeichelnd. Philipp rieb sich die blonden Haare auf dem Wirbel herum, damit sie nicht zu Berge stehen sollten.

      »Höre, Philipp, bist du es nicht gewesen,« sagte Röschen, ängstlich, »so glaube ich dir alles Unglaubliche,