Фридрих Вильгельм Ницше

Gesammelte Werke


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Cha­os.

      16.

      Das ana­xa­go­ri­sche Cha­os ist kei­ne so­fort ein­leuch­ten­de Con­cep­ti­on: um sie zu fas­sen, muß man die Vor­stel­lung ver­stan­den ha­ben, die un­ser Phi­lo­soph von dem so­ge­nann­ten »Wer­den« sich ge­bil­det hat. Denn an sich er­gä­be der Zu­stand al­ler ver­schie­den­ar­ti­gen Ele­men­tar-Exis­ten­zen vor al­ler Be­we­gung noch kei­nes­falls nothwen­dig eine ab­so­lu­te Mi­schung al­ler »Sa­men der Din­ge«, wie der Aus­druck des Ana­xa­go­ras lau­tet, eine Mi­schung, die er sich als ein selbst bis zu den kleins­ten Thei­len voll­stän­di­ges Durchein­an­der ima­gi­nir­te, nach­dem alle jene Ele­men­tar-Exis­ten­zen wie in ei­nem Mör­ser zer­sto­ßen und zu Stau­ba­to­men auf­ge­löst wa­ren, so daß sie nun in je­nem Cha­os wie in ei­nem Misch­krug durch­ein­an­der ge­rührt wer­den konn­ten. Man könn­te sa­gen, daß die­se Cha­os-Con­cep­ti­on nichts No­thwen­di­ges habe; man brau­che viel­mehr nur eine be­lie­bi­ge zu­fäl­li­ge Lage al­ler je­ner Exis­ten­zen, aber nicht ein un­end­li­ches Zert­heilt­sein der­sel­ben an­zu­neh­men; ein re­gel­lo­ses Ne­ben­ein­an­der ge­nügt be­reits, es be­dür­fe kei­nes Durchein­an­ders, ge­schwei­ge denn ei­nes so to­ta­len Durchein­an­ders. Wie kam also Ana­xa­go­ras auf die­se schwe­re und com­pli­cir­te Vor­stel­lung? Wie ge­sagt, durch sei­ne Auf­fas­sung des em­pi­risch ge­ge­be­nen Wer­dens. Aus sei­ner Er­fah­rung schöpf­te er zu­erst einen höchst auf­fal­len­den Satz über das Wer­den, und die­ser Satz er­zwang sich, als sei­ne Con­se­quenz, jene Leh­re vom Cha­os.

      Die Beo­b­ach­tung der Vor­gän­ge der Ent­ste­hung in der Na­tur, nicht eine Rück­sicht auf ein frü­he­res Sys­tem, gab Ana­xa­go­ras die Leh­re ein, daß Al­les aus Al­lem ent­ste­he: dies war die Über­zeu­gung des Na­tur­for­schers, ge­grün­det auf eine man­nig­fa­che, im Grun­de na­tür­lich gren­zen­los dürf­ti­ge In­duk­ti­on. Er be­wies dies so: wenn selbst das Ge­gent­heil aus dem Ge­gent­heil, das Schwar­ze zum Bei­spiel aus dem Wei­ßen, ent­ste­hen kön­ne, so sei Al­les mög­lich: je­nes ge­sch­ehe aber bei der Auf­lö­sung des wei­ßen Schnees in schwar­zes Was­ser. Die Er­näh­rung des Kör­pers er­klär­te er sich da­durch, daß in den Nah­rungs­mit­teln un­sicht­bar klei­ne Be­standt­hei­le von Fleisch oder Blut oder Kno­chen sein müß­ten, die sich, bei der Er­näh­rung, aus­schie­den und mit dem Gleich­ar­ti­gen im Kör­per ver­ei­nig­ten. Wenn aber Al­les aus Al­lem wer­den kann. Fes­tes aus dem Flüs­si­gen, Har­tes aus dem Wei­chen, Schwar­zes aus dem Wei­ßen, Flei­schi­ges aus Brod, so muß auch Al­les in Al­lem ent­hal­ten sein. Die Na­men der Din­ge drücken dann nur das Über­ge­wicht der einen Sub­stanz über die an­de­ren, in klei­ne­ren, oft nicht wahr­nehm­ba­ren Mas­sen vor­kom­men­den Sub­stan­zen aus. Im Gold, das heißt in Dem, was man a po­tio­re mit dem Na­men »Gold« be­zeich­net, muß auch Sil­ber, Schnee, Brod und Fleisch ent­hal­ten sein, aber in ganz ge­rin­gen Be­stand­tei­len; nach dem Über­wie­gen­den, nach der Gold­sub­stanz, ist das Gan­ze ge­nannt.

      Wie ist es aber mög­lich, daß eine Sub­stanz über­wiegt und in grö­ße­rer Mas­se, als die an­de­ren be­sit­zen, ein Ding er­füllt? Die Er­fah­rung zeigt, daß nur durch die Be­we­gung die­ses Über­ge­wicht all­mäh­lich er­zeugt wird, daß das Über­ge­wicht das Re­sul­tat ei­nes Pro­ces­ses ist, den wir ge­mein­hin Wer­den nen­nen; daß da­ge­gen Al­les in Al­lem ist, ist nicht das Re­sul­tat ei­nes Pro­ces­ses, son­dern im Ge­gent­heil die Voraus­set­zung al­les Wer­dens und al­les Be­wegt­seins und so­mit vor al­lem Wer­den. Mit an­de­ren Wor­ten: die Em­pi­rie lehrt, daß fort­wäh­rend das Glei­che zum Glei­chen, zum Bei­spiel durch Er­näh­rung, hin­zu­ge­führt wird, also war es ur­sprüng­lich nicht bei ein­an­der und zu­sam­men­ge­ballt, son­dern ge­trennt. Viel­mehr wird, in den vor den Au­gen lie­gen­den em­pi­ri­schen Vor­gän­gen, das Glei­che im­mer aus dem Un­glei­chen her­aus­ge­zo­gen und fort­be­wegt (zum Bei­spiel bei der Er­näh­rung die Fleischt­heil­chen aus dem Bro­de u. s. w.), so­mit ist das Durchein­an­der der ver­schie­de­nen Sub­stan­zen die äl­te­re Form der Con­sti­tu­ti­on der Din­ge und der Zeit nach vor al­lem Wer­den und Be­we­gen. Wenn also al­les so­ge­nann­te Wer­den ein Aus­schei­den ist und eine Mi­schung vor­aus­setzt, so fragt es sich nun, wel­chen Grad die­se Mi­schung, die­ses Durchein­an­der ur­sprüng­lich ge­habt ha­ben muß. Ob­gleich der Pro­ceß eine Be­we­gung des Gleich­ar­ti­gen zum Gleich­ar­ti­gen, das Wer­den schon eine un­ge­heu­re Zeit an­dau­ernd, er­kennt man trotz­dem, wie auch jetzt noch in al­len Din­gen Res­te und Sa­men­kör­ner al­ler an­de­ren Din­ge ein­ge­schlos­sen sind, die auf ihre Aus­schei­dung war­ten, und wie nur hier und da ein Über­ge­wicht zu Stan­de ge­bracht ist; die Ur­mi­schung muß eine voll­stän­di­ge, das heißt bis in’s Unend­lich-Klei­ne ge­hen­de ge­we­sen sein, da die Ent­mi­schung einen un­end­li­chen Zeit­raum ver­braucht. Da­bei wird streng an dem Ge­dan­ken fest­ge­hal­ten, daß Al­les, was ein we­sen­haf­tes Sein be­sitzt, in’s Unend­li­che theil­bar ist, ohne sein Spe­ci­fi­cum ein­zu­bü­ßen.

      Nach die­sen Voraus­set­zun­gen stellt sich Ana­xa­go­ras die Ur­exis­tenz der Welt vor, etwa gleich ei­ner stau­bar­ti­gen Mas­se von un­end­lich klei­nen er­füll­ten Punk­ten, von de­nen je­der spe­ci­fisch ein­fach ist und nur eine Qua­li­tät be­sitzt, doch so, daß jede spe­ci­fi­sche Qua­li­tät in un­end­lich vie­len ein­zel­nen Punk­ten re­prä­sen­tirt wird. Sol­che Punk­te hat Ari­sto­te­les Ho­moio­me­ri­en ge­nannt, in Rück­sicht dar­auf, daß sie die un­ter sich gleich­ar­ti­gen Thei­le ei­nes mit sei­nen Thei­len gleich­ar­ti­gen Gan­zen sind. Man wür­de aber sehr ir­ren, je­nes ur­sprüng­li­che Durchein­an­der al­ler sol­cher Punk­te, sol­cher »Sa­men­kör­ner der Din­ge« dem einen Ur­stof­fe des Ana­xi­man­der gleich­zu­set­zen: denn Letz­te­rer, das »Un­be­stimm­te« ge­nannt, ist eine durch­aus ein­heit­li­che und ei­gen­ar­ti­ge Mas­se. Ers­te­res ein Ag­gre­gat von Stof­fen. Zwar kann man von die­sem Ag­gre­gat von Stof­fen das­sel­be aus­sa­gen, wie von dem Un­be­stimm­ten des Ana­xi­man­der: wie dies Ari­sto­te­les thut; es konn­te we­der weiß noch grau, noch schwarz, noch sonst­wie ge­färbt sein, es war ge­schmack­los, ge­ruch­los und als Gan­zes über­haupt we­der quan­ti­ta­tiv, noch qua­li­ta­tiv be­stimmt: so­weit reicht die Gleich­heit des ana­xi­man­dri­schen Un­be­stimm­ten und der ana­xa­go­ri­schen Ur­mi­schung. Ab­ge­se­hen aber von die­ser ne­ga­ti­ven Gleich­heit un­ter­schei­den sie sich po­si­tiv da­durch, daß die Letz­te­re zu­sam­men­ge­setzt, das Ers­te­re eine Ein­heit ist. Ana­xa­go­ras hat­te we­nigs­tens durch die An­nah­me sei­nes Cha­os so viel vor Ana­xi­man­der vor­aus, daß er nicht nö­thig hat­te, das Vie­le aus dem Ei­nen, das Wei­den­de aus dem Sei­en­den ab­zu­lei­ten.

      Frei­lich muß­te er bei sei­ner All­mi­schung der Sa­men eine Aus­nah­me zu­las­sen: der Nous war da­mals nicht und ist über­haupt auch jetzt kei­nem Din­ge bei­ge­mischt. Denn wenn er nur ei­nem Sei­en­den bei­ge­mischt wäre, so müß­te er dann, in un­end­li­chen Zert­hei­lun­gen, in al­len Din­gen woh­nen. Die­se Aus­nah­me ist lo­gisch höchst be­denk­lich, zu­mal bei der frü­her ge­schil­der­ten ma­te­ri­el­len Na­tur des Nous, sie hat et­was My­tho­lo­gi­sches und scheint will­kür­lich, war aber, nach den ana­xa­go­ri­schen Prä­mis­sen, eine stren­ge No­thwen­dig­keit. Der Geist, üb­ri­gens theil­bar in’s Unend­li­che wie je­der and­re Stoff, nur nicht durch and­re Stof­fe, son­dern durch sich selbst, wenn er sich theilt, sich thei­lend