Фридрих Вильгельм Ницше

Gesammelte Werke


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ma­te­ri­el­le Punk­te an­zu­sto­ßen, fort­zu­be­we­gen, zu schleu­dern, ab­pral­len zu las­sen und so all­mäh­lich einen be­weg­li­chen und um sich grei­fen­den Tu­mult zu er­re­gen, in dem, als nächs­tes Re­sul­tat, jene Schei­dung der aëri­schen Mas­sen von den äthe­ri­schen vor sich ge­hen muß­te. Wie der Ein­satz der Be­we­gung selbst ein will­kür­li­cher Akt des Nous ist, so ist es auch die Art die­ses Ein­sat­zes, in­so­fern die ers­te Be­we­gung einen Kreis, des­sen Ra­di­us be­lie­big grö­ßer ge­wählt ist als ein Punkt, um­schreibt.

      19.

      Hier könn­te man nun frei­lich fra­gen, was da­mals dem Nous so plötz­lich ein­ge­fal­len ist, ein be­lie­bi­ges ma­te­ri­el­les Pünkt­chen, aus je­ner An­zahl von Punk­ten, an­zu­sto­ßen und in wir­beln­dem Tan­ze her­um­zu­dre­hen, und warum ihm das nicht frü­her ein­fiel. Da­rauf wür­de Ana­xa­go­ras ant­wor­ten: »Er hat das Pri­vi­le­gi­um der Will­kür, er darf ein­mal be­lie­big an­fan­gen, er hängt von sich ab, wäh­rend al­les An­de­re von au­ßen her de­ter­mi­nirt ist.« Er hat kei­ne Pf­licht und also auch kei­nen Zweck, den zu ver­fol­gen er ge­zwun­gen wäre; wenn er ein­mal mit je­ner Be­we­gung an­fieng und sich einen Zweck setz­te, so war dies doch nur – die Ant­wort ist schwer, Hera­klit wür­de er­gän­zen – ein Spiel.«

      Das scheint im­mer die den Grie­chen auf der Lip­pe schwe­ben­de letz­te Lö­sung oder Aus­kunft ge­we­sen zu sein. Der ana­xa­go­ri­sche Geist ist ein Künst­ler, und zwar das ge­wal­tigs­te Ge­nie der Mecha­nik und Bau­kunst, mit den ein­fachs­ten Mit­teln die groß­ar­tigs­ten For­men und Bah­nen und gleich­sam eine be­weg­li­che Archi­tek­tur schaf­fend, aber im­mer aus je­ner ir­ra­tio­na­len Will­kür, die in der Tie­fe des Künst­lers liegt. Es ist, als ob Ana­xa­go­ras auf Phi­di­as deu­te­te und an­ge­sichts des un­ge­heu­ren Künst­ler­werks, des Kos­mos, eben­so wie vor dem Par­the­non uns zu­rie­fe: »Das Wer­den ist kein mo­ra­li­sches, son­dern nur ein künst­le­ri­sches Phä­no­men.« Ari­sto­te­les er­zählt, daß Ana­xa­go­ras auf die Fra­ge, wes­halb das Da­sein über­haupt für ihn wert­h­voll sei, geant­wor­tet habe »um den Him­mel und die ge­samm­te Ord­nung des Kos­mos an­zu­schau­en«. Er be­han­del­te die phy­si­ka­li­schen Din­ge so an­däch­tig und mit so ge­heim­niß­vol­ler Scheu, wie wir vor ei­nem an­ti­ken Tem­pel ste­hen; sei­ne Leh­re wur­de zu ei­ner Art von frei­geis­ti­scher Re­li­gi­ons­übung, sich schüt­zend durch das odi pro­fa­num vul­gus et ar­ceo und ihre An­hän­ger aus der höchs­ten und edels­ten Ge­sell­schaft Athen’s mit Vor­sicht wäh­lend. In der ab­ge­schloss­nen Ge­mein­de der athe­ni­schen Ana­xa­go­re­er war die My­tho­lo­gie des Vol­kes nur noch als eine sym­bo­li­sche Spra­che er­laubt; alle My­then, alle Göt­ter, alle Hero­en gal­ten hier nur als Hie­ro­gly­phen der Na­tur­deu­tung, und selbst das ho­me­ri­sche Epos soll­te der ka­no­ni­sche Ge­sang vom Wal­ten des Nous und von den Kämp­fen und Ge­set­zen der Phy­sis sein. Hier und da drang ein Ton aus die­ser Ge­sell­schaft er­ha­be­ner Frei­geis­ter in das Volk; und be­son­ders der große und je­der­zeit ver­we­ge­ne, auf Neu­es sin­nen­de Eu­ri­pi­des wag­te man­cher­lei durch die tra­gi­sche Mas­ke laut wer­den zu las­sen, was der Mas­se wie ein Pfeil durch die Sin­ne drang und von dem sie sich nur durch pos­sen­haf­te Kar­ri­ka­tu­ren und lä­cher­li­che Um­deu­tun­gen be­frei­te.

      Der aller­größ­te Ana­xa­go­re­er ist aber Pe­ri­kles, der mäch­tigs­te und wür­digs­te Mensch der Welt; und ge­ra­de über ihn legt Pla­to das Zeug­niß ab, daß al­lem die Phi­lo­so­phie des Ana­xa­go­ras sei­nem Ge­nie den er­hab­nen Flug ge­ge­ben habe. Wenn er als öf­fent­li­cher Red­ner vor sei­nem Vol­ke stand, in der schö­nen Starr­heit und Un­be­wegt­heit ei­nes mar­mor­nen Olym­piers und jetzt, ru­hig, in sei­nen Man­tel gehüllt, bei un­ver­än­der­tem Fal­ten­wur­fe, ohne je­den Wech­sel des Ge­sichts­aus­drucks, ohne Lä­cheln, mit dem gleich­blei­ben­den star­ken Ton der Stim­me, also ganz und gar un­de­mo­sthe­nisch, aber eben pe­ri­kle­isch re­de­te, don­ner­te, blitz­te, ver­nich­te­te und er­lös­te – dann war er die Ab­bre­via­tur des ana­xa­go­ri­schen Kos­mos, das Bild des Nous, der sich das schöns­te und wür­de­volls­te Ge­häu­se ge­baut hat und gleich­sam die sicht­ba­re Men­sch­wer­dung der bau­en­den, be­we­gen­den, aus­schei­den­den, ord­nen­den, über­schau­en­den, künst­le­risch-un­de­ter­mi­nir­ten Kraft des Geis­tes. Ana­xa­go­ras selbst hat ge­sagt, der Mensch sei schon des­halb das ver­nünf­tigs­te We­sen oder müs­se schon dar­um den Nous in grö­ße­rer Fül­le als alle an­de­ren We­sen in sich be­her­ber­gen, weil er so be­wun­de­rungs­wür­di­ge Or­ga­ne wie die Hän­de habe; er schloß also dar­auf, daß je­ner Nous je nach der Grö­ße und Mas­se, in der er sich ei­nes ma­te­ri­el­len Kör­pers be­mäch­tigt, sich im­mer die sei­nem Quan­ti­täts­gra­de ent­spre­chen­den Werk­zeu­ge aus die­ser Ma­te­rie baue, die schöns­ten und zweck­mä­ßigs­ten so­mit, wenn er in größ­ter Fül­le er­scheint. Und wie die wun­der­sams­te und zweck­mä­ßigs­te That des Nous jene kreis­för­mi­ge Ur­be­we­gung sein muß­te, da da­mals der Geist noch un­get­heilt in sich zu­sam­men war, so er­schi­en wohl die Wir­kung der pe­ri­kle­i­schen Rede dem hor­chen­den Ana­xa­go­ras oft­mals als ein Gleich­niß­bild je­ner kreis­för­mi­gen Ur­be­we­gung; denn auch hier spür­te er zu­erst einen mit furcht­ba­rer Kraft, aber ge­ord­net sich be­we­gen­den Ge­dan­ken­wir­bel, der in con­cen­tri­schen Krei­sen die Nächs­ten und die Ferns­ten all­mäh­lich er­faß­te und fort­riß und der, wenn er sein Ende er­reich­te, das ge­samm­te Volk ord­nend und schei­dend um­ge­stal­tet hat­te.

      Den spä­te­ren Phi­lo­so­phen des Al­ter­thums war die Art, wie Ana­xa­go­ras von sei­nem Nous zur Er­klä­rung der Welt Ge­brauch mach­te, wun­der­lich, ja kaum ver­zeih­lich; es er­schi­en ih­nen als ob er ein herr­li­ches Werk­zeug ge­fun­den, aber nicht recht ver­stan­den habe, und sie such­ten nach­zu­ho­len, was vom Fin­der ver­säumt war. Sie er­kann­ten also nicht, wel­chen Sinn die vom reins­ten Geis­te na­tur­wis­sen­schaft­li­cher Metho­de ein­ge­geb­ne Ent­sa­gung des Ana­xa­go­ras hat­te, die sich in je­dem Fal­le und vor Al­lem die Fra­ge stellt, wo­durch Et­was ist ( cau­sa ef­fi­ciens) und nicht, wes­halb Et­was ist ( cau­sa fi­na­lis). Der Nous ist von Ana­xa­go­ras nicht zur Beant­wor­tung der spe­ci­el­len Fra­ge »wo­durch giebt es Be­we­gung und wo­durch giebt es re­gel­mä­ßi­ge Be­we­gun­gen?« her­bei­ge­zo­gen wor­den; Pla­to aber wirft ihm vor, er habe zei­gen müs­sen, aber nicht ge­zeigt, daß je­des Ding in sei­ner Wei­se und an sei­nem Orte sich am Schöns­ten, Bes­ten und Zweck­mä­ßigs­ten be­fin­de. Dies hät­te aber Ana­xa­go­ras in kei­nem ein­zel­nen Fal­le zu be­haup­ten ge­wagt, für ihn war die vor­han­de­ne Welt nicht ein­mal die denk­bar voll­kom­mens­te, denn er sah je­des Ding aus je­dem ent­ste­hen und fand die Schei­dung der Sub­stan­zen durch den Nous we­der am Ende des er­füll­ten Rau­mes in der Welt, noch in den ein­zel­nen We­sen voll­zo­gen und ab­ge­than. Es reich­te sei­nem Er­ken­nen voll­stän­dig aus, eine Be­we­gung ge­fun­den zu ha­ben, wel­che, in ein­fa­cher Fort­wir­kung aus ei­nem durch und durch ge­misch­ten Cha­os die sicht­ba­re Ord­nung schaf­fen kann, und er hü­te­te sich wohl, die Fra­ge nach dem Wes­halb? der Be­we­gung, nach dem ver­nünf­ti­gen Zweck der Be­we­gung zu stel­len. Hat­te näm­lich der Nous einen sei­nem We­sen nach nothwen­di­gen Zweck durch sie zu er­fül­len, so stand es nicht mehr in sei­ner Will­kür, die Be­we­gung ir­gend ein­mal an­zu­fan­gen; so­fern er ewig