ich erzähle, ist die Geschichte der nächsten zwei Jahrhunderte. Ich beschreibe, was kommt, was nicht mehr anders kommen kann: die Heraufkunft des Nihilismus. Diese Geschichte kann jetzt schon erzählt werden: denn die Nothwendigkeit selbst ist hier am Werke. Diese Zukunft redet schon in hundert Zeichen, dieses Schicksal kündigt überall sich an; für diese Musik der Zukunft sind alle Ohren bereits gespitzt. Unsre ganze europäische Cultur bewegt sich seit langem schon mit einer Tortur der Spannung, die von Jahrzehnt zu Jahrzehnt wächst, wie auf eine Katastrophe los: unruhig, gewaltsam, überstürzt: einem Strom ähnlich, der an’s Ende will, der sich nicht mehr besinnt, der Furcht davor hat, sich zu besinnen.
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3.
– Der hier das Wort nimmt, hat umgekehrt Nichts bisher gethan als sich zu besinnen: als ein Philosoph und Einsiedler aus Instinkt, der seinen Vortheil im Abseits, im Außerhalb, in der Geduld, in der Verzögerung, in der Zurückgebliebenheit fand; als ein Wage- und Versucher-Geist, der sich schon in jedes Labyrinth der Zukunft einmal verirrt hat; als ein Wahrsagevogel-Geist, der zurückblickt, wenn er erzählt, was kommen wird; als der erste vollkommene Nihilist Europa’s, der aber den Nihilismus selbst schon in sich zu Ende gelebt hat, – der ihn hinter sich, unter sich, außer sich hat.
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4.
Denn man vergreife sich nicht über den Sinn des Titels, mit dem dies Zukunfts-Evangelium benannt sein will. »Der Wille zur Macht. Versuch einer Umwerthung aller Werthe« – mit dieser Formel ist eine Gegenbewegung zum Ausdruck gebracht, in Absicht auf Princip und Aufgabe; eine Bewegung, welche in irgend einer Zukunft jenen vollkommenen Nihilismus ablösen wird; welche ihn aber voraussetzt, logisch und psychologisch; welche schlechterdings nur auf ihn und aus ihm kommen kann. Denn warum ist die Heraufkunft des Nihilismus nunmehr notwendig? Weil unsre bisherigen Werthe selbst es sind, die in ihm ihre letzte Folgerung ziehn; weil der Nihilismus die zu Ende gedachte Logik unsrer großen Werthe und Ideale ist, – weil wir den Nihilismus erst erleben müssen, um dahinter zu kommen, was eigentlich der Werth dieser »Werthe« war… Wir haben, irgendwann, neue Werthe nöthig…
1. Zum Plan.
1. Der Nihilismus steht vor der Thür: woher kommt uns dieser unheimlichste aller Gäste? – Ausgangspunkt: es ist ein Irrthum, auf »sociale Nothstände« oder »physiologische Entartungen« oder gar auf Corruption hinzuweisen als Ursache des Nihilismus. Es ist die honnetteste, mitfühlendste Zeit. Noth, seelische, leibliche, intellektuelle Noth ist an sich durchaus nicht vermögend, Nihilismus (d. h. die radikale Ablehnung von Werth, Sinn, Wünschbarkeit) hervorzubringen. Diese Nöthe erlauben immer noch ganz verschiedene Ausdeutungen. Sondern: in einer ganz bestimmten Ausdeutung, in der christlich-moralischen, steckt der Nihilismus.
2. Der Untergang des Christenthums – an seiner Moral (die unablösbar ist –), welche sich gegen den christlichen Gott wendet (der Sinn der Wahrhaftigkeit, durch das Christenthum hoch entwickelt, bekommt Ekel vor der Falschheit und Verlogenheit aller christlichen Welt- und Geschichtsdeutung. Rückschlag von »Gott ist die Wahrheit« in den fanatischen Glauben »Alles ist falsch«. Buddhismus der That…)
3. Skepsis an der Moral ist das Entscheidende, Der Untergang der moralischen Weltauslegung, die keine Sanktion mehr hat, nachdem sie versucht hat, sich in eine Jenseitigkeit zu flüchten: endet in Nihilismus. »Alles hat keinen Sinn« (die Undurchführbarkeit einer Weltauslegung, der ungeheure Kraft gewidmet worden ist – erweckt das Mißtrauen, ob nicht alle Weltauslegungen falsch sind – ). Buddhistischer Zug, Sehnsucht in’s Nichts. (Der indische Buddhismus hat nicht eine grundmoralische Entwicklung hinter sich, deshalb ist bei ihm im Nihilismus nur unüberwundene Moral: Dasein als Strafe, Dasein als Irrthum combinirt, der Irrthum also als Strafe – eine moralische Wertschätzung). Die philosophischen Versuche, den »moralischen Gott« zu überwinden (Hegel, Pantheismus). Überwindung der volksthümlichen Ideale: der Weise; der Heilige; der Dichter. Antagonismus von »wahr« und »schön« und »gut« –
4. Gegen die »Sinnlosigkeit« einerseits, gegen die moralischen Werthurtheile andrerseits: inwiefern alle Wissenschaft und Philosophie bisher unter moralischen Urtheilen stand? und ob man nicht die Feindschaft der Wissenschaft mit in den Kauf bekommt? Oder die Antiwissenschaftlichkeit? Kritik des Spinozismus. Die christlichen Werthurtheile überall in den socialistischen und positivistischen Systemen rückständig. Es fehlt eine Kritik der christlichen Moral.
5. Die nihilistischen Consequenzen der jetzigen Naturwissenschaft (nebst ihren Versuchen in’s Jenseitige zu entschlüpfen). Aus ihrem Betriebe folgt endlich eine Selbstzersetzung, eine Wendung gegen sich, eine Antiwissenschaftlichkeit. Seit Copernikus rollt der Mensch aus dem Centrum in’s x.
6. Die nihilistischen Konsequenzen der politischen und volkswirthschaftlichen Denkweise, wo alle »Principien « nachgerade zur Schauspielerei gehören: der Hauch von Mittelmäßigkeit, Erbärmlichkeit, Unaufrichtigkeit u.s.w. Der Nationalismus. Der Anarchismus u. s. w. Strafe. Es fehlt der erlösende Stand und Mensch, die Rechtfertiger –
7. Die nihilistischen Consequenzen der Historie und der »praktischen Historiker«, d. h. der Romantiker. Die Stellung der Kunst: absolute Unoriginalität ihrer Stellung in der modernen Welt. Ihre Verdüsterung. Goethe’s angebliches Olympierthum.
8. Die Kunst und die Vorbereitung des Nihilismus: Romantik (Wagner’s Nibelungen-Schluß).
I. Nihilismus.
1. Nihilismus als Consequenz der bisherigen Werth-Interpretation des Daseins.
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2.
Was bedeutet Nihilismus? – Daß die obersten Werthe sich entwerthen. Es fehlt das Ziel. Es fehlt die Antwort auf das »Wozu?«
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3.
Der radikale Nihilismus ist die Überzeugung einer absoluten Unhaltbarkeit des Daseins, wenn es sich um die höchsten Werthe, die man anerkennt, handelt; hinzugerechnet die Einsicht, daß wir nicht das geringste Recht haben, ein Jenseits oder ein An-sich der Dinge anzusetzen, das »göttlich«,