das Institut oder für die Gerechtigkeit. Du hast keine Ahnung, wie fad und musterhaft das klingt. Oder hast du am Ende», und Reiting blinzelte verdächtigend zu Törleß hinüber, «irgendeinen anderen Grund, weswegen Basini hinausfliegen soll, und willst bloß nicht Farbe bekennen? Irgendeine alte Rache? Dann sag es doch! Denn, wenn es dafür steht, können wir ja wirklich die günstige Gelegenheit benützen.»
Törleß wandte sich an Beineberg. Aber dieser grinste nur. Er sog zwischen dem Sprechen an einem langen Tschibuk, saß mit orientalisch gekreuzten Beinen und sah mit seinen abstehenden Ohren in der zweifelhaften Beleuchtung wie ein groteskes Götzenbild aus. «Meinetwegen könnt ihr machen, was ihr wollt; mir ist es nicht um das Geld zu tun und um die Gerechtigkeit auch nicht. In Indien würde man ihm einen gespitzten Bambus durch den Darm treiben; das wäre wenigstens ein Vergnügen. Er ist dumm und feig, da ist es weiter nicht schade um ihn, und es war mir wirklich Zeit meines Lebens höchst egal, was mit solchen Leuten geschieht. Sie selbst sind nichts, und was aus ihrer Seele noch werden mag, wissen wir nicht. Allah schenke eurem Urteil seine Gnade!»
Törleß erwiderte nichts. Nachdem ihm Reiting widersprochen und Beineberg die Entscheidung zwischen ihnen unbeeinflußt gelassen hatte, war er am Ende. Er vermochte keinen Widerstand mehr entgegenzusetzen; er fühlte, daß er gar kein Verlangen mehr habe, das Ungewisse, Kommende aufzuhalten.
Also wurde ein Vorschlag angenommen, den Reiting nun machte. Es wurde beschlossen, Basini vorderhand unter Aufsicht, gewissermaßen unter Kuratel zu stellen und ihm so Gelegenheit zu bieten, daß er sich wieder herausarbeiten könne. Seine Einnahmen und Ausgaben sollten von nun an strenge geprüft werden und seine Beziehungen zu den übrigen von der Erlaubnis der drei abhängen.
Dieser Beschluß war scheinbar sehr korrekt und wohlwollend. «Musterhaft fad», wie Reiting diesmal nicht sagte. Denn, ohne daß sie es sich eingestanden, fühlte jeder, daß hier nur eine Art Zwischenzustand geschaffen werden sollte. Reiting hätte ungerne auf eine Fortsetzung dieser Angelegenheit verzichtet, da sie ihm Vergnügen bereitete, aber andererseits war er sich noch nicht klar, welche Wendung er ihr weiter geben sollte. Und Törleß war durch den bloßen Gedanken, daß er nun täglich mit Basini zu tun haben werde, wie gelähmt.
Als er vorhin das Wort «Dieb» ausgesprochen hatte, war ihm für einen Augenblick leichter geworden. Es war wie ein Hinausstellen, Vonsichwegschieben der Dinge gewesen, die in ihm wühlten.
Aber die Fragen, die gleich darauf wieder auftauchten, vermochte dieses einfache Wort nicht zu lösen. Sie waren jetzt deutlicher geworden, wo es nicht mehr galt ihnen auszuweichen.
Törleß sah von Reiting zu Beineberg, schloß die Augen, wiederholte sich den gefaßten Beschluß, sah wieder auf … Er wußte ja selbst nicht mehr, war es nur seine Phantasie, die sich wie ein riesiges Zerrglas über die Dinge legte, oder war es wahr, war alles so, wie es unheimlich vor ihm aufdämmerte? Und wußten nur Beineberg und Reiting nichts von diesen Fragen? Obwohl gerade sie sich von Anfang an heimisch in dieser Welt bewegt hatten, die ihm nun auf einmal erst so fremd erschien?
Törleß fürchtete sich vor ihnen. Aber er fürchtete sich nur so, wie man sich vor einem Riesen fürchtet, den man blind und dumm weiß …
Eines aber war entschieden: Er war jetzt viel weiter als vor einer Viertelstunde noch. Die Möglichkeit einer Umkehr war vorüber. Eine leise Neugierde stieg auf, wie es nun wohl kommen werde, da er gegen seinen Willen festgehalten sei. Alles, was sich in ihm regte, lag noch im Dunkeln, aber doch spürte er schon eine Lust, in die Gebilde dieser Finsternis hineinzustarren, welche die anderen nicht bemerkten. Ein feines Frösteln war in diese Lust gemengt. Als ob über seinem Leben nun beständig ein grauer, verhängter Himmel stehen werde – mit großen Wolken, ungeheuren, wechselnden Gestalten und der immer neuen Frage: Sind es Ungeheuer? Sind es nur Wolken?
Und diese Frage nur für ihn! Als Geheimes, den anderen Fremdes, Verbotenes …
So begann Basini sich zum ersten Male jener Bedeutung zu nähern, die er späterhin in Törleß’ Leben einnehmen sollte.
Am nächsten Tage wurde Basini unter Kuratel gesetzt.
Nicht ganz ohne einige Feierlichkeit. Man benützte eine Morgenstunde, während welcher man sich den Freiübungen, die auf einer großen Wiese im Parke stattfanden, entzogen hatte.
Reiting hielt eine Art Ansprache. Nicht gerade kurz. Er wies Basini darauf hin, daß er seine Existenz verscherzt habe, eigentlich angezeigt werden müßte und es nur einer besonderen Gnade zu danken habe, daß man ihm vorläufig die Schande einer strafweisen Entfernung noch erlasse.
Dann wurden ihm die besonderen Bedingungen mitgeteilt. Die Überwachung ihrer Einhaltung übernahm Reiting.
Basini war während des ganzen Auftrittes sehr bleich gewesen, hatte jedoch kein Wort erwidert, und aus seinem Gesichte war nicht zu entnehmen gewesen, was währenddem in ihm vorgegangen war.
Törleß war die Szene abwechselnd sehr geschmacklos und sehr bedeutend vorgekommen.
Beineberg hatte mehr auf Reiting als auf Basini geachtet.
Während der nächsten Tage schien die Angelegenheit beinahe vergessen zu sein. Reiting war außer im Unterrichte und beim Speisen kaum zu sehen, Beineberg war schweigsamer denn je, und Törleß schob es immer wieder hinaus, über die Geschichte nachzudenken.
Basini bewegte sich unter den Kameraden, als wäre niemals etwas vorgefallen.
Er war etwas größer als Törleß, jedoch sehr schwächlich gebaut, hatte weiche, träge Bewegungen und weibische Gesichtszüge. Sein Verstand war gering, im Fechten und Turnen war er einer der letzten, doch war ihm eine angenehme Art koketter Liebenswürdigkeit eigen.
Zu Božena war er seinerzeit nur gekommen, um den Mann zu spielen. Eine wirkliche Begierde dürfte ihm bei seiner zurückgebliebenen Entwicklung durchaus noch fremd gewesen sein. Er empfand es vielmehr bloß als Nötigung, als Angemessenheit oder Verpflichtung, daß man den Duft galanter Erlebnisse an ihm nicht vermisse. Sein schönster Augenblick war der, wenn er von Božena wegging und es hinter sich hatte, denn es war ihm nur um den Besitz der Erinnerung zu tun.
Mitunter log er auch aus Eitelkeit. So kam er nach jedem Urlaube mit Andenken an kleine Abenteuer zurück, – Bändern, Locken, schmalen Briefchen. Als er aber einmal ein Strumpfband in seinem Koffer mitgebracht hatte, ein liebes, kleines, duftendes, himmelblaues, und nachträglich sich herausstellte, daß es von niemand anderem als seiner eigenen zwölfjährigen Schwester war, wurde er wegen dieses lächerlichen Großtuns viel verlacht.
Die moralische Minderwertigkeit, die sich an ihm herausstellte, und seine Dummheit wuchsen auf einem Stamm. Er vermochte keiner Eingebung Widerstand entgegenzusetzen und wurde von den Folgen stets überrascht. Er war darin wie jene Frauen mit niedlichen Löckchen über der Stirne, die ihrem Gatten in mahlzeitweisen Dosen Gift beibringen und sich dann voller Schrecken über die fremden, harten Worte des Staatsanwaltes wundern und über ihr Todesurteil.
Törleß wich ihm aus. Dadurch verlor sich allmählich auch jenes tiefinnerliche Erschrecken, das ihn im ersten Augenblicke gleichsam unter den Wurzeln seiner Gedanken gepackt und erschüttert hatte. Es wurde wieder vernünftig um Törleß; das Befremden wich und wurde Tag um Tag unwirklicher, wie Spuren eines Traumes, die sich in der realen, festen, sonnenbeschienenen Welt nicht behaupten können.
Um sich dieses Zustandes noch mehr zu versichern, teilte er alles in einem Briefe seinen Eltern mit. Nur das, was er selbst dabei empfunden hatte, verschwieg er.
Er war nun wieder auf den Standpunkt gelangt, daß es doch am besten sei, bei nächster Gelegenheit Basinis Entfernung aus dem Institute durchzusetzen. Er vermochte sich gar nicht vorzustellen, daß seine Eltern anders darüber denken könnten. Er erwartete von ihnen eine strenge, angewiderte Beurteilung Basinis, eine Art, denselben mit den Fingerspitzen wegzuschnellen wie ein unsauberes Insekt, das man in der Nähe ihres Sohnes nicht dulden dürfe.
Nichts von alledem stand in dem Briefe, den er als Antwort erhielt. Seine Eltern hatten sich rechtschaffene Mühe gegeben und wie vernünftige Leute alle Umstände erwogen, soweit sie sich eben nach den abgerissenen, lückenhaften Mitteilungen jenes hastigen Briefes eine Vorstellung davon machen konnten. Es folgte daraus, daß sie die nachsichtigste und zurückhaltendste