Robert Musil

Gesammelte Werke


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geopfert wurde als allen großen Kunsterscheinungen gemeinsam, wenn Strauß zu den kostbarsten Besitztümern Wiens gezählt wurde, für den die höchste Ehrung Österreichs «gerade hoch genug» sei, und im Angesicht des Staatsoberhaupts konstatiert wurde, daß eine gerade (vermutlich aufsteigende) Linie von Mozart zu Strauß führe, mit Schubert und Beethoven als Nachbarn, so muß man schlicht und trocken die Proteststimme des andren Wiens zu Protokoll geben, das mit solchen Geschmacklosigkeiten nichts zu tun hat. Mehr wäre zuviel; oder man müßte eine Kulturgeschichte und vermutlich nicht nur Österreichs schreiben.

      Die gekränkten Denkmalskomitatschis werden mich gewiß zu den hochmütigen Nörglern rechnen, wenn sie hören, daß ich zwischen Walzer und Niggertanz keinen so großen Unterschied bemerken kann. Auch nicht zwischen diesen beiden und Eis im Osten oder Kuglerbonbons. Ich würde allen ihren Erfindern Denkmäler setzen. Diese Kunstwerke für alle haben eine unglaublich große seelische Bedeutung, sie entriegeln die Seele, machen gedankenlos glücklich und sind heute vielleicht überhaupt die einzigen Sinnbilder der Universalität und menschlichen Gemeinschaft. Man könnte wunderbare Denkmäler für sie schaffen, voll schonungsvoller Ironie der Seele gegen die Eingeweide. Nur müßte man das bei den Enthüllungen dem andächtig aufnehmenden Volk sagen und man sollte es auch den Denkmälern anmerken. Sonst kommt es dahin, wohin es eben kommt, daß Anzengruber und Nestroy, die ich beide sehr schätze, für große Dichter gelten, was sie nicht im geringsten sind. Auch das von Hellmer für Johann Strauß geschaffene Denkmal prästiert Feuersbrunst statt Feuerwerk, besonders in den leidenschaftlich umrahmenden Figuren. Man nähert sich in argloser Jausenausflugsstimmung und glaubt sich plötzlich auf den Weg nach Emaus geraten.

      Stilgeneration und Generationsstil

[4. Juni 1922]

      Wenn ein junger Mensch zum erstenmal in berühmte Städte kommt und Gotik sieht und Barock und was dergleichen es gibt, das zu bewundern man anscheinend ins Leben gesetzt worden ist, so hat er das sehr deutliche Gefühl, daß ihn das alles im Grunde nichts angeht. Beileibe nicht, daß es nicht schön wäre; aber Schönheit ist offenbar etwas sehr Umständliches und mit sehr viel Überflüssigem, Zufälligem, ja Groteskem verbunden. Er mißtraut den Entzückungen der Erwachsenen daran nicht minder, als ob man ihm einreden wollte, Mumienschnitzel seien die ideale und gehaltvollste Kost; er wittert irgendeine Verlogenheit, Verlegenheit und Rederei. In der Tat ist es durchaus nicht die ursprüngliche Reaktion, eine alte Schönheit schön zu finden, sondern das eingeborene und natürliche Verhalten ist, sie alt zu finden. Ich halte es durchaus nicht für paradox, die Liebe zum Vergleich heranzuziehen: ein gerader junger Mensch wird von einer schönen fünfzigjährigen Frau niemals sagen, die breiten, ruhigen Formen und das Filigran des Faltenwerks dieser ehrwürdigen Kathedrale seien schön, sondern er wird flüchtig feststellen, sie sei alt, und wahrscheinlich wird er überhaupt nichts sagen, denn was nicht zu ihnen gehört, kommt für junge Menschen nicht in Betracht. Wenn man sich mit einem talentierten jungen Römer über Städte unterhält, so kann man sicher sein, daß er für Amerika oder Berlin schwärmen wird, während ihm das antike und barocke Rom als eine Unaufgeräumtheit erscheint, eine skandalöse Rückständigkeit der Straßenreinigung, welche palastgroße Trümmer zurückgelassen hat. Um zur Kunst zu finden, ich möchte fast sagen, um zu ihr einzulenken, muß man sich erst mehrfach die Seele gebrochen haben. Die Städte, die sich die Jugend bauen möchte, solange sie ganz auf sich vertraut, müßten ganz anders sein als alle Städte, die es gibt, um dem Weltgefühl zu entsprechen, das sie als Urwiderstand in sich empfindet.

      Aber natürlich liegt es ihr schwer auf der Zunge und den Händen. Jeder Künstler weiß, wie selten es gelingt, einen Einfall wirklich so auszudrücken, wie man ihn meint, und wieviel schwerer ist es, die Grundgefühle des Ich aus ihrer Inwendigkeit zu befreien. Ist man auf der Höhe des Lebens nicht entfernter von ihnen als beim Beginn, darf man sich beglückwünschen. Und anständige Jugend ist hilflos; vor ihr liegt das ungeheure Gebiet der Gedanken, sie weiß nicht einmal, von welcher Seite sie es betreten soll, um am raschesten tief hineinzukommen; die Hilfen, welche ihr Erziehung und Schule bieten, berühren kaum das Innere. Es ist also sehr verständlich, daß der junge Mensch jedem nachläuft, der den Anschein hat, ihm die Zunge lösen zu können, ihm zu seinem Ausdruck zu verhelfen. Das ergibt die Stile der Generationen, welche wie Moden einander ablösen.

      Aber es ist richtiger, statt von Generationsstil von Stilgenerationen zu sprechen. Wir haben die Sache ja mehrmals mitgemacht; jedesmal war eine neue Generation da, behauptete, eine neue Seele zu haben, und erklärte, für diese neue Seele nun auch den gehörigen Stil zu finden. Sie hatte aber gar keine neue Seele, sondern nur so etwas wie ein ewiges Weichtier in sich, dem keine Schale ganz paßt; auch die zuletzt ausgebildete niemals. Das zeigt sich immer zehn Jahre später. Um 1900 glaubte man, daß Naturalismus, Impressionismus, Dekadenz und heroischer Immoralismus verschiedene Seiten einer neuen Seele seien; um 1910 glaubte man bereits (was nur einige Beteiligte, so Alfred Kerr, schon vorher gewußt hatten), daß diese Seele ein Loch war, von dem eben nichts als die Seiten wirklich sind; und heute sind von der ganzen Generationsseele nichts als ein paar Einzelseelen übrig geblieben, welche die alphabetische Ordnung im Kürschner und im Katalog der Glaspaläste ganz gut vertragen. Es gibt Gründe dafür, daß es mit dem Expressionismus nicht anders gehen wird.

      Kant sagt vom Genie – worunter man damals noch den Künstler verstand –, daß es «exemplarische» Werke schaffe, die zur «Nachfolge», nicht zur Nachahmung reizen. Die Stilgeneration ist immer eine solche seelische Nachfolge; allerdings nicht das plötzliche Dasein einer neuen Seele, wohl aber das Hinzufliegen und Von-allen-Dächern-stürzen der Tauben, wenn am leeren Platz einer steht und Futter streut. Irgendein Gestus, ein äußerer oder innerer, ist gefunden worden, irgendeine Technik, mit deren Hilfe man sich ein Scheinich einschiebt, das zwischen dem nebelhaften eigenen und den unbefriedigenden der früheren Generationen liegt. Man ist zum Beispiel dekadent, und alles geht von diesem Augenblick an herrlich und wird einem leicht: die größten Kraftmeier vermögen innerlich mehr zu stemmen, wenn sie es nun mit müdem Lächeln tun; umgekehrt ist heute, in einer lyrischen Oh-Ruck!-Periode, selbst der Schwächling nur seiner gummösen Seele froh, wenn sie im Jargon eines Weltenstemmklubs spricht. Warum das so ist, vermag man nicht zu sagen, es ist ein Geheimnis; die Menschen finden ihre persönliche Einzelseele nicht und adoptieren die nächste ihnen einigermaßen passende Gruppenseele, das wird wohl das Geheimnis sein. Natürlich kann man sagen, das ist eine Mode; aber es ist eine Mode aus innerster Menschennot. Es wird viel geschwindelt dabei, aber immerhin ist auch ein kleiner Abgrund in der Nähe.

      In einen Satz gebracht man wird «stylish», aber man gebiert nicht auf geheimnisvolle Weise einen neuen Stil: Stil wird immer von den Nachläufern gemacht; wenn sie ganz weit hinterdreinlaufen, so daß sie die Spitze nicht mehr sehen, werden sie Vorläufer. Übrigens hat in dieser Frage gerade die Kunstgeschichte kein kleines Unheil angerichtet, indem sie die Hochstile viel mehr dem Bewußtsein präsentierte als die Übergänge, und dadurch zu dem Glauben verführte, Stile seien Symbole von Kollektivseelen, die mit einemmal auf geheimnisvolle Weise da sind. Seither sucht jede Stilgeneration ihren Generationsstil. Eigentlich sucht sie sich selbst. Aber so wie ein Münchhausen, der sich am Zopf aus dem Wasser ziehen will und gleichzeitig am Ufer oben warten möchte, bis er zum Vorschein kommt.

      Der letzte Ritter

[16. März 1923]

      Daß weder Kaiser Maximilian, noch Don Quijote die letzten Ritter gewesen sind, welche der Verbürgerlichung unsrer menschlichen Gesellschaft standgehalten haben, zeigte ein Prozeß, der das Gericht der weiland kaiserlichen Stadt Wien in diesen Tagen beschäftigt hat.

      Held des Prozesses, im wahren Sinn dieses Worts, den es also noch gibt, nicht nur Kläger war Adalbert Graf Sternberg. In Prag wohl nicht unbekannt, ist er in Wien erinnerlich als eine seltsame Erscheinung des einstigen Abgeordnetenhauses; er war eines der wenigen Mitglieder dieser Versammlung das nicht nur die anderen beleidigte, sondern sich auch von ihnen beleidigen ließ und dann Genugtuung mit der Waffe forderte; seine Duellaffären fielen ebenso auf wie seine Reden, die eine ursprüngliche Eigenart, der man die Begabung nicht absprechen konnte, mit vollkommener Unkenntnis der Zeitumstände verbanden. Man konnte sagen: er war seiner Zeit – zurück; er hantierte mit den sie bewegenden Gedanken und Fragen wie ein Kind, das seltsamen Gebrauch von den Geräten der Erwachsenen macht, aber es schien ein Knabe von überdurchschnittlicher Größe zu sein. Als nach dem Umsturz