den Frieden, so muß man etwas tun, nicht nur darüber konferenzieren. Es gibt kein radikales Mittel gegen den Krieg. Weil es kein radikales Mittel gegen die Dummheit, Phantasie und Bestialität des Menschen gibt. Aber es gibt einige Dutzend kleine Mittel, deren keines unversucht bleiben soll. Je schwächer ein Mensch ist, um so stärker wird er seine geistigen Kräfte ausbilden und auf sie bedacht sein, um in schwierigen Situationen zurechtzukommen. Je stärker er ist, je schwerer seine Faust, um so rascher wird er auf seinen Verstand verzichten, um mit der Faust eine schwierige Sache zu erledigen. Das aber ist nicht Tapferkeit. Sondern der Stumpfsinn der Brutalität. Tapfer war der kleine David, nicht der starke Goliath. Der war nichts als stark, und erledigte damit gar nichts als sich selber.
Kein Staatswesen hat von seiner Armee je behauptet, daß sie zum Angriff gehalten würde. Jedes hat versichert, sie sei nur zur Verteidigung da. Vier Jahre lang haben einige Dutzend Armeen irgendwas gegen irgendwas verteidigt. Nur die eine Tatsache blieb unverteidigt, daß es mit Armeen nichts zu verteidigen gibt, das einen solchen Aufwand von Menschenleben rechtfertigen könnte. Es ist ein Aberglaube, die Abrüstung müßte international beschlossen werden. Die das behaupten, wollen eben bestenfalls von der Abrüstung nur reden. Es kommt aber nur darauf an, daß ein Staat von sich aus erklärt, er verzichte darauf, eine Armee zu halten wegen der völligen Aussichtslosigkeit, sich gegen alle Armeen der übrigen Welt zu verteidigen, wenn es dieser übrigen Welt einfallen sollte, ihn zu überfallen oder gar deshalb zu überfallen, weil dieser Staat eben keine Armee besitze, also gewissermaßen nicht satisfaktionsfähig sei. Und solches als einigermaßen vernünftiges Staatswesen auch gegenüber jedem Staatsrowdytum so wenig zu sein prestiere, wie im privaten Leben ein vernünftiger Mann gegenüber einem Korpsstudenten, der eine «Mensur» haben will. Warum soll ein Staat nicht sagen: ich schlage mich nicht auf Giftgase, denn ich bin nicht sicher, ob ich dabei mit dem Leben davonkomme und habe deshalb auf diesen Modus, Händel auszutragen, verzichtet? Dem deutschen Mannesmut, der rechts in die Kanne, links mit dem Rapier steigt, sei gesagt, daß es Mut, wirklichen Mut zu zeigen, unendlich viele Gelegenheiten gibt. Ohne daß man sich dazu zu stimulieren braucht mit Hohenfriedberger, Fahnenschwenken, Trommelwirbel, Schnaps, Zeitungsartikeln, Reden, gefälschten Nachrichten. Man braucht sich den Mut zum Mut nicht erst im Blut des Feindes anzutrinken. Nur die Lieder behaupten, das Soldatenleben sei ein schönes Leben, wenn es auch für eine Weile lustiger sein kann als das Leben eines Bergarbeiters, der der Lockung und Behauptung des Liedes erliegend seine Haue hinschmeißt und: aufs Pferd, Kameraden, aufs Pferd steigen will. Gar bald sieht er sich in einem andern Loch mit einer Gasmaske vor dem Gesicht und pfeift aus einem andern Loch.
Keines der Mittel soll unversucht bleiben, das Eintreten der Unvernunft wie es das Abstellen einer Entscheidung auf das falsche Gottesgericht eines Krieges ist, so weit hinaus als irgend möglich zu schieben. Abrüstung ist ein Mittel. Ein anderes wäre, die Kriegswaffen an der allgemeinen technischen Entwicklung nicht teilhaben zu lassen. Geschieht dies nicht, so ist der künftige Krieg ein solcher einiger hundert mit Giftbomben versehener Luftfahrzeuge gegen die gesamte zivile Bevölkerung eines Landes. Es erübrigt sich also, eine Armee von Infanteristen exerzieren zu lassen. Ein weiteres Mittel ist, den Krieg geschäftlich uninteressant zu machen, wofür man schon aus dem letzten Kriege die Lehre gewinnen kann, daß eigentlich niemand am Krieg profitiert. Im Kriegsfalle wären alle Besitzer von Fabriken, Geschäften und alle Landwirte als bloße Angestellte in ihren Betrieben und Tätigkeiten zu erklären, mit einem Einkommen, das ihrem Friedenseinkommen entspricht und sich um keinerlei Kriegsgewinne vermehrt. Unmittelbar, wenn auch nicht im weitern Ablauf, ist der Krieg mit seinen großen Staatsaufträgen ein Geschäft für alle private Wirtschaft. Die Aussicht auf ein noch größeres Geschäft durch den «Sieg» steigert die Anstrengungen der Geschäftemacher. Daß auch ein «Sieg» nichts einbringt, sondern Verlust bedeutet, ist eine aus dem letzten Krieg gewonnene Erfahrung, die aber für die nächste Generation nicht unbedingt eine zu sein braucht. Denn keine Geschichte beweist irgend etwas für das Künftige. Man wird immer wieder glauben, man würde dem Besiegten diesmal schon das Fell über die Ohren ziehen. Es gibt noch eine Reihe solcher grober, in die Materie greifender Mittel, von denen man sich, wie die Dinge liegen, mehr erwarten kann als von den moralischen Mitteln, wie sie die Pazifisten empfehlen, die an eine radikale Abschaffung der Kriege glauben, was ihrem guten Herzen alle Ehre macht, aber weniger ihrem guten Verstande. Die Kirche und ihre moralische Macht? In der Encyclica Vehementer nos vom 11. Februar 1906 heißt es: «Es ist eine durchaus falsche und höchst verderbliche Ansicht, die Angelegenheiten des Staates seien von denen der Kirche zu trennen» – sehr gut, sehr wahr. Aber es möge die Kirche als eine solche Angelegenheit nicht immer nur die konfessionelle Schule betrachten oder die Besetzung von philosophischen Lehrstühlen, was beides einer heiligen Kirche recht nebensächliche Dinge sind. Sie möge, ihrer großen Päpste sich erinnernd, welche Kaiser im Schnee warten ließen, weil sie Unrecht taten, nicht im kleinen billige Macht und leichterworbenes Prestige suchen, sondern in einem Tun, des Höchsten ihrer göttlichen Lehre würdig. Schließlich hat sie den Satz: «Du sollst nicht töten», ja nicht nur aus dem mosaischen Gesetz übernommen, weil er zufällig da stand und man die zehn Gebote hübsch beieinander lassen wollte. Aber es ist die Zahl der Gläubigen, welche die Kirche konstituieren, zu gering, als daß sie ihre moralische Macht gegen den Krieg effektiv äußern könnte. Die Zahl der Gläubigen an den zugehaltenen Geldbeutel ist um vieles größer als die Zahl jener, die in den hingehaltenen Klingelbeutel ihren Pfennig werfen.
Zivilisation
Einem französischen Senator, welcher zu Poincarés Zeiten im Finanzausschuß der Pariser Kammer die Berichterstattung über die Rüstungsauslagen verwaltete, war nachgewiesen worden, daß er von Polen und Rumänen «Perzente» genommen hatte; von der schimmernden Wehr waren einige Schuppen in seine Taschen gefallen, während er Schulter an Schulter stand.
Ich finde das ein schönes Beispiel der europäischen Zivilisation. Ich freue mich, daß Poincaré damals nicht nur die von diesem Mann vorgeschlagenen Kredite durchsetzte, sondern eigens einen für Jugoslawien noch dazu. Denn das grenzt schon wieder an Geradheit und Offenheit. Jedes Kind weiß, daß Gott heute nicht mehr bei den stärksten Bataillonen ist, sondern bei den Großbanken; wenn die Bataillone aber nur ein Papier der Rüstungsindustrie sind, dann ist es gesund, von ihnen Perzente zu nehmen, und man sollte sie bald auch an der Börse handeln.
Was dem entgegensteht, ist nur ein Rest europäischer Romantik. Die großen Nationen treten lieber als Räuber auf, denn als Diebe; sie ballen die Faust, um die Diebsfinger zu verbergen, und schöne Reden müssen das begleiten. Man dankt deshalb sehr viel diesem Senator, der auf den Räuberpflanz in so vorbildlicher Weise verzichtete und als ehrlicher Dieb sich sozusagen enthüllen ließ wie ein Denkmal, ohne von seinem Platz zu weichen. Ein solches Beispiel muß sich durchsetzen. In Paris soll man z. B. heute schon bestimmte Theaterkritiker kaufen können, bei uns muß man noch mit ihnen befreundet sein, was oft viel unangenehmer ist. Daß Ärzte, Rechtsbeistände, Geistliche, Journalisten Hilfe nur dem gewähren, der sie bezahlt, gilt auch bei uns als selbstverständlich; wenn man aber einen Senator gewinnen wollte, so mußte man (bis vor kurzem; jetzt scheint sich ja endlich eine Änderung angebahnt zu haben) zwanzig Leuten Vorteile erweisen, damit man vom zwanzigsten dem für seine Person uneigennützigen Mann empfohlen wurde. Ich weiß nicht, ob ehrlich am längsten währt, aber es währt jedenfalls lang und ist eine umständliche Währung. Und während bei uns immerhin noch in den meisten Dingen ein rückständiger Tauschhandel herrscht, scheint sich anderswo schon der völlige moralische Geldverkehr durchzusetzen.
Man darf sich natürlich nicht täuschen und glauben, daß Krieg und Niedertracht aufhören können, solange er nicht völlig und rein im privaten wie im öffentlichen Leben durchgeführt ist. Die Hunde haben ihre ausgezeichneten Nasen, aber wir Menschen gehen aneinander vorbei und vermögen uns nicht zu erkennen. Wir haben noch eine ganz ungeregelte und wilde Preisbildung für das, was wir wollen, und sind von denen, die uns brauchen, so wenig zu finden wie Bücher ohne Katalog. Im reinen Geldzeitalter werden wir Ziffernsysteme und unendlich glücklich sein. Sich selbst bewegende Zahlen, so wie es Pythagoras und Platon geträumt haben.
Ein Beispiel
Man erinnert sich der Wiener Affäre Hochenegg, welche daraus entstand, daß der bekannte Kliniker in einer Universitätsvorlesung der Ärzteschaft vorwarf, für Zuweisung