vielleicht sogar etwas protzig (in seiner gebietenden Aufgerecktheit; aber ohne ein wenig Protzerei ist Monumentalität wohl überhaupt nicht zu denken), zeigt das schöne Riesenkind der Technik und des Aktienkapitals seinen athletisch ebenmäßigen Leib dem Himmel.
Hinter ihm versteckt: das eigentliche Siemensstädtchen: ein bescheidenes Wesen für sich, deutsche Kleinstadt anno 90, mit Lohengrinarchitektur und neueren Zusätzen.
Wo man auf den Anschluß warten muß, steht man noch unter der Erde; wenn dann die Bahn ans Licht tritt und nur die Wipfel freistehender Föhren sich in den Himmel teilen, hat man kein anderes Gefühl, als wenn in der Schweiz oder in Tirol nach einem Tunnel die Paßhöhe kommt und die starke Luft durch das geöffnete Fenster schlägt. Es ist anzunehmen, daß wahre Kolonisten jeden Tag, wenn sie «aus der Stadt» zurückkehren, diesen Augenblick erleben. Der bedeckte Tag, die eisgraue Wolkendecke, der zugefrorene kleine See, die Gassen, die dafür schon feucht sind, der Blick auf die nachrückenden Fabrikschlote, der vom Bauen aufgewühlte Sand: nichts hindert daran, sich auch hier den Frühling vorzustellen. Die Fesseln der Stadt sind zerbrochen, der Mensch steht in etwas dünn Unendlichem. Man spürt es, wenn man auch «nur so» herausgekommen ist, und irgendetwas Besonderes muß ja auch wohl dieser wunderlichen Illusion zugrunde liegen, die die Stadt hinter dem Wald her treibt wie ein Kind hinter einem Vogel, den es berühren möchte und immer weiter verscheucht.
Glossen 1921–1932
Stilgeneration oder Generationsstil
Wenn man als junger Mensch zum erstenmal in berühmte Städte kommt und Gothik sieht und Barock und was immer es gibt, das zu bewundern man anscheinend ins Leben gesetzt worden ist, so hat man das sehr deutliche Gefühl, daß einen das alles im Grunde nichts angeht. Nicht, als ob das nicht schön wäre; aber Schönheit ist offenbar etwas sehr Umständliches, mit sehr viel Überflüssigem, Zufälligem, ja Groteskem verbunden. Man mißtraut den Entzückungen der Erwachsenen daran nicht minder, als ob sie einem einreden wollten, Mumienschnitzel seien eigentlich die kräftigste und gehaltvollste Kost; man wittert irgend eine Verlogenheit, Verlegenheit, Rederei. In der Tat ist es durchaus nicht die ursprüngliche Reaktion, eine alte Schönheit schön zu finden, sondern das eingeborene und natürliche Verhalten ist, sie alt zu finden. Ich halte es durchaus nicht für paradox, die Liebe zum Vergleich heranzuziehen: ein gerader junger Mensch wird von einer schönen fünfundfünfzigjährigen Frau niemals sagen, diese ehrwürdige Kathedrale sei etwa schön (breit und ruhig die großen Formen, gothisch filigran das kleine Faltenwerk im Gesicht), sondern er stellt flüchtig fest, sie ist alt, und wahrscheinlich wird er weiter überhaupt nichts sagen, denn was nicht zu ihnen gehört, kommt für junge Menschen nicht in Betracht. Wenn man mit einem talentierten jungen Römer spricht, so kann man sicher sein, daß er für Amerika oder Berlin schwärmen wird, und das antike wie barocke Rom erscheint ihm als eine Unaufgeräumtheit, eine skandalöse Rückständigkeit der Straßenreinigung, welche palastgroße Trümmer zurückgelassen hat. Um zur Kunst zu finden, ich möchte fast sagen um zu ihr einzulenken, muß man sich erst mehrfach die Seele gebrochen haben. Die Städte, die sich die Jugend bauen möchte, solange sie ganz auf sich vertraut, müßten ganz anders sein als alle Städte, die es gibt, um dem Weltgefühl zu entsprechen, das sie in ihrem Innern fühlt. Jugend beginnt mit einem Urwiderstand gegen jede Tradition.
Aber natürlich liegt es ihr schwer auf der Zunge und den Händen. Jeder Künstler weiß, wie selten es gelingt, einen Einfall wirklich so auszudrücken, wie man ihn meint, und wie viel schwerer ist es, die Grundgefühle des Ich aus ihrer Inwendigkeit zu befreien. Ist man auf der Höhe des Lebens nicht entfernter von ihnen als beim Beginn, darf man sich Glück wünschen. Und anständige Jugend ist hilflos; vor ihr liegt das ungeheure Gebiet der Gedanken, sie weiß nicht, von welcher Seite sie es betreten soll, um am raschesten tief hinein zu kommen; die Hilfen, welche ihr unsere Erziehung und Schule bieten, sind meist verkehrt oder ihren Bedürfnissen nicht angemessen. Es ist also sehr verständlich, daß der junge Mensch jedem nachläuft, der sich den Anschein gibt, ihm die Zunge lösen zu können, ihm zu seinem Ausdruck zu verhelfen. Das ergibt die Stile der Generationen, welche wie die Moden einander ablösen.
Aber es ist richtiger, statt von Generationsstilen von Stilgenerationen zu sprechen. Wir haben die Sache ja mehrmals mitgemacht. Jedesmal war eine neue Generation da, behauptete eine neue Seele zu haben und erklärte, für diese neue Seele nun auch den gehörigen Stil finden zu wollen. Sie hatte aber keine neue Seele, sondern nur so etwas wie ein ewiges Weichtier in sich, dem keine Schale paßt, auch die zuletzt ausgebildete nicht. Das zeigt sich immer zehn Jahre später. Um 1900 konnte man noch glauben, daß Naturalismus, Impressionalismus, Dekadence, und heroischer Immoralismus alleines seien, verschiedene Auswirkungen einer neuen Generation; um 1910 wußt man bereits – was Alfred Kerr, soweit es den Naturalismus betrifft, viel früher gewußt und vorausgesagt hat – daß die ganze Gemeinsamkeit nur darin bestand, daß viele Leute um das gleiche – Loch, um das gleiche Nichts herumgestanden waren; und heute sind von der ganzen Generationsseele nichts als ein paar Einzelseelen übrig geblieben, welche die alphabetische Ordnung im Kürschner ganz gut vertragen oder mit Erfolg die Unterschiede zwischen Künstlerhaus und Sezession verwischen. Ich könnte Gründe dafür anführen, daß es mit dem Expressionismus kaum anders gehen wird.
Kant sagt vom Genie, worunter er den Künstler versteht (daß bei dieser Stelle nicht alljährlich einige Philosophieprofessoren vom Schlag gerührt werden, ist mir unverständlich!), daß es «exemplarische» Werke schaffe, die zur «Nachfolge», nicht zur Nachahmung reizen. Die Stilgeneration ist immer eine solche Nachfolge, eine seelische Angelegenheit; allerdings nicht das plötzliche Dasein einer neuen Seele, wohl aber das Hinzufliegen und von allen Dächern Stürzen der Tauben, wenn am leeren Platz einer steht und Futter streut. Irgend ein Gestus, ein äußerer oder ein innerer, ist gefunden worden, irgend eine Technik, mit deren Hilfe man sich ein Scheinich einschiebt, das zwischen dem nebelhaften eigenen und dem unbefriedigenden der früheren Generationen liegt. Man ist zum Beispiel dekadent und alles geht von diesem Augenblick an herrlich und wird einem leicht; die größten Kraftmeier vermögen innerlich mehr zu stemmen, wenn sie es nun mit müdem Lächeln tun; umgekehrt ist heute, in einer lyrischen Oh Ruck!-Periode selbst der Schwächling nur seiner gummösen Seele froh, wenn sie im Jargon eines Weltenstemmklubs spricht. Warum das so ist, weiß ich nicht, es ist ein Geheimnis; die Menschen finden ihre persönliche Einzelseele nicht und adoptieren die nächste ihnen einigermaßen passende Gruppenseele, das wird wohl das Geheimnis sein. Natürlich kann man sagen, das ist Mode; aber es ist eine Mode aus innerster Menschennot. Es wird viel geschwindelt, aber immerhin ist unter den Ursachen dieses Schwindels auch ein kleiner Abgrund.
In einen Satz gebracht: man wird stylisch, aber man gebiert nicht auf geheimnisvolle Weise einen Stil; Stil wird immer von den Nachläufern gemacht; wenn sie ganz weit hinterdrein laufen, so daß sie die Spitze nicht mehr sehen, werden sie Vorläufer. Übrigens hat in dieser Frage gerade die Kunstgeschichte ein kleines Unheil angerichtet, indem sie die Hochstile viel mehr dem Bewußtsein präsentierte als die Übergänge und dadurch zu dem Glauben verführte, Stile seien Symbole von Kollektivseelen, die mit einmal auf geheimnisvolle Weise da sind. Seither sucht jede Stilgeneration ihren Generationsstil, Eigentlich sucht sie sich selbst. Aber so wie ein Münchhausen, der sich am Zopf aus dem Wasser ziehen und gleichzeitig oben am Ufer warten möchte, bis er zum Vorschein kommt.
Johann Strauss als Riese
Heimatkunst: das ist das Vereinsbanner der Leute, die das Wimmerl im eignen Gesicht erhabener dünkt als der Monte Rosa auf Schweizer Gebiet. Es gibt sie bei allen Nationen; ich fühle nicht mit ihnen, was sie aber nicht gehindert hat, sich wie ein Ausschlag in sämtlichen Landesfarben zu verbreiten. Ich möchte deshalb auch nicht gerade Wien die Berechtigung bestreiten, das sich in diesen Tagen ein Johann Strauß Denkmal gesetzt hat, obgleich es, soviel ich weiß, noch kein Hebbel Denkmal besitzt. Jedoch waren die unfreiwilligen Enthüllungsfeiern, die sich dabei vollzogen haben, bemerkenswert. Wenn eine Zeitung schreibt: «Johann Strauß, das ist Wien im Fortschreiten, das ist das arbeitende und schaffende Wien, wo die Ringstraße entstand, wo die Universität zum Glanze stieg, wo das Parlament die Geister befreite und das Bürgertum in prächtigen Persönlichkeiten Triumphe feierte …» so kann ich noch beipflichten, denn ich bin nicht ganz frei von Bosheit,