sind aber im Verhältnis nicht billiger geworden. Daraus folgt, daß der Grund und Boden des Bildes teurer, die Bodenrente per Quadratzentimeter Bildleinwand größer geworden ist und die gleiche geistige Rentabilität eine intensivere Bewirtschaftung der Leinwand verlangt. Dies ist die eine Wurzel des Intensismus.
Als zweites verlangt ihn die psychische Energie. Betrachten Sie eine Landschaft, so finden Sie gewöhnlich ein Drittel, wenn nicht die Hälfte des Bildes von Luft oder Wasser bedeckt. Solche Bilder sind gewissermaßen Brachland. Überdies ist nicht zu bestreiten, daß schon ein Quadratzentimeter, blau bestrichen oder gar mit einer Anmerkung versehen, vollauf genügt, um uns wissen zu lassen, daß Himmel oder Wasser beabsichtigt sei; jeder Mensch weiß, wie sie aussehen, etwas Neues ist daran nicht zu zeigen, es handelt sich einfach um eine Verschwendung durch gewohnheitsmäßigen Schlendrian. Das gleiche finden Sie natürlich auch, wenn Sie ein Portrait betrachten. Der Maler füllt nicht das ganze Bild mit Ihnen aus, sondern erspart sich einen Hintergrund, der mindestens die Hälfte ausmacht.
Er könnte ja beispielsweise Sie zweimal malen oder Sie und dahinter Ihren Konkurrenten malen, wie Sie ihm den Fuß auf den Nacken setzen, den großen Tag, wo alle Effekten in die Höhe sprangen, oder den schwarzen Tag, wo alles schief lag. Scheuen Sie sich nicht vor solchen Forderungen; allen wahrhaft ursprünglichen Epochen der Kunst waren sie ganz natürlich. Denken Sie daran, daß man mehrere Bilder ineinander malen kann; aber ich will nicht vorgreifen, diese Kunst entwickelt sich bereits von selbst. Halten Sie also bloß still an dem Wunsch fest, daß sich die Malerei bald wieder Rennpferden, Jagdbildern, Automobilen, Flugzeugen und allem, was Sie wirklich schön finden, zuwenden möge, und verlangen Sie vorläufig, daß mit den unausgenützten Geistflächen Schluß gemacht werde.
Intensivstes Leben im kleinsten Bildteil, nervöse Fläche, Einleitung der siegreichen Energie des modernen Lebens in den Bildrahmen: das ist der Intensismus! Wenn Sie irgendetwas sehen, das schon dahin weist, dann sagen Sie nichts als: Aber das ist ja intens! Wenn Ihnen das schwer fällt, so nehmen Sie immer Ihre Frau Gemahlin mit, die wird es treffen.
Geschwindigkeit ist eine Hexerei
Es ist immer gut, wenn man die Worte so gebraucht, wie man soll, nämlich, ohne sich etwas dabei zu denken. Man geht dann bequem über zehn Sätze hinweg, ehe wieder ein Wort auftaucht, auf das es ankommt. Das ist zweifellos ein großzügiger Stil, der etwas von Eilverkehr auf große Entfernungen an sich hat, und es scheint, daß die geistigen Aufgaben des Tages nur noch mit seiner Hilfe bewältigt werden können. Paßt man aber kleinlich auf, so stolpert man flugs in ein Sprachloch. Die Sprache fußwandelt nicht mehr dahin wie zur Zeit der Altvorderen.
Da wäre zum Beispiel das Wort «Hals über Kopf»; welch ein wichtiges und oft gebrauchtes Wort in einer Zeit, wo es so auf das Tempo ankommt! Wie viele Menschen bedienen sich in ihrer Eile dieses Wortes, ohne zu ahnen, welche Schwierigkeiten es der Eile bereitet. Denn Hals über Kopf irgendwohin stürzen, heißt eine so wilde Beschleunigung entwickeln, daß sich der Körper über den Hals, der Hals über den Kopf zu schieben scheint; die Eile faßt beim Hosenboden an, das Gesetz der Trägheit drückt beim Kopf zurück, und der Mensch wird aus dem Menschen gerissen, wie der Hase aus dem Balg. Aber wann hat man denn je solche rasende Eile gehabt? Gott ja, als Kind, wenn man mit wackligen Beinen lief. Als Knabe, wenn man auf dem Rad eine abschüssige Straße hinabfuhr. Vielleicht als Reiter, wenn man nicht recht wußte, wie es enden werde. Bei schäbigen fünfzehn bis dreißig Stundenkilometern Geschwindigkeit! Wenn ein Auto oder ein Eisenbahnzug so Hals über Kopf fahren wollten, würden sie kriechen!
Hals über Kopf drückt also gar keine Geschwindigkeit aus, sondern ein Verhältnis zwischen Schnelligkeit und Gefahr des Beförderungsmittels oder zwischen Schnelligkeit und der Aufregung höchster Anstrengung. Die Fetzen müssen fliegen, der Schaum aus den Augen treten und die Flanken den Krampf haben. Aber dann kann auch eine Schnecke Hals über Kopf dahinstürzen, in einem ganz und gar forcierten Schneckentempo, unbesonnen, gefährdet. Nebeneindrücke sind wieder einmal das Bestimmende. Bekanntlich rast ein kleines Auto schneller als ein großer Wagen, und ein Eisenbahnzug rast desto mehr, je ausgefahrener die Schienen sind. Auch das Dahintoben ist Gewohnheitssache. Es gibt Nachbarn, welche dabei meinen, daß sie rücksichtsvoll wie auf geseiften Bohlen durchs Leben gleiten.
Man sieht sich unwillkürlich in der Sprache um nach gediegeneren Ausdrücken. Wie wäre es zum Beispiel, wenn man sagte: «Hals über Kopf stieß er ihr den Dolch ins Herz»? Das bringt selbst der wildeste Romanschreiber nicht über die Lippen seiner Feder. Er weiß nicht, warum. Aber er läßt den Dolch schnell wie den Blitz zustoßen. Rasch wie ein Gedanke wäre schon nicht die richtige Geschwindigkeit dafür. Dagegen ist ein Liebender schnell wie ein Gedanke bei der Geliebten und niemals rasch wie der Blitz. Das sind Geheimnisse. Ein General eilt immer in Eilmärschen hinzu. Ein endlich Wiedergefundener stürzt in die Arme, aber ans Herz fliegt er. Ein Generaldirektor, der zu spät kommt, rast wie der Sturm daher, sein Büroangestellter dagegen kommt atemlos an; die Bewegungsgeschwindigkeit wirkt bei ihnen genau entgegengesetzt auf die Atmung. Vielleicht wäre auch zu erwähnen, daß man immer flugs ankommt, aber im Nu weg ist.
Man sieht, das sind Schwierigkeiten. Das Böseste ist aber, daß das moderne Leben voll von neuen Geschwindigkeiten ist, für die wir keine Ausdrücke haben. Geschwindigkeiten sind merkwürdigerweise das Konservativste, was es gibt. Trotz Eisenbahn, Flugzeug, Automobil, Tourenzahl, Zeitlupe sind ihre äußersten Grenzen heute noch die gleichen wie in der Steinzeit; schneller als der Gedanke oder der Blitz und langsamer als eine Schnecke ist in der Sprache nichts geworden. Das ist eine verteufelte Lage für ein Zeitalter, das keine Zeit hat und sich bestimmt glaubt, der Welt eine neue Geschwindigkeit zu geben; die Schnelligkeitsäpfel hängen ihm in den Mund, und es gelingt ihm nicht, den Mund zu öffnen.
Aber vielleicht wird die Zukunft ganz anders sein. Klassische erlebte Geschwindigkeiten gibt es ja schon heute nur noch dort, wo man sie am wenigsten erwarten würde, bei den Bauern auf dem Land. Dort fährt noch der Blitz durch die Luft, das vorbeifahrende Auto rast durch die Hühner, und es gibt Wege, wo man vor Eile auf die Nase fallen kann. In der Stadt ist die einzige Geschwindigkeit, die man eigentlich noch spürt, die des zu erreichenden Anschlusses, die Hast des Umsteigens und die Unsicherheit des rechtzeitigen Weiterkommens. Ohne den Segen der Neurasthenie würde man auch die schon verloren haben, denn schlimmstenfalls opfert der Eilige, statt daß er keucht und Dampf schwitzt, Mark Eins, fünfzig für ein Auto, das alles dies sofort für ihn besorgt. Und je höher man im Reich der Kräfte hinaufsteigt, desto ruhiger geht es zu. Eine Turbinenanlage von fünfzigtausend Pferdestärken surrt fast lautlos, und die ungeheuerlichsten Geschwindigkeiten der Technik sind nur noch ein stilles Schaukeln. Das Leben wird desto unpathetischer und sachlicher, je gigantischer es wird. Ein Boxkampf zwischen zwei Meistern enthält weit weniger Alarm als eine Straßenprügelei zwischen zwei Laien, und ein Gaskampf ist lange nicht so dramatisch wie eine Messerstecherei. Die großen neuen Intensitäten haben vollends für das Gefühl etwas Unfaßbares, wie Strahlen, für die noch kein Auge da ist. Es wird aber sehr lange dauern, ehe die Menschen statt Eilzug wirklich Ruhezug sagen und das Wort Hals über Kopf nur noch gebrauchen, wenn sie etwa den Abendfrieden beschreiben und ausdrücken wollen, daß sich weit und breit nichts rührt und die ungewohnte Ruhe von allen Seiten über sie hinstürzt wie ein Meer.
Als Papa Tennis lernte
Als Papa Tennis lernte, reichte das Kleid Mamas bis zu den Fußknöcheln. Es bestand aus einem Glockenrock, einem Gürtel und einer Bluse, die einen hohen, engen Umlegekragen hatte als Zeichen einer Gesinnung, die bereits anfing, sich von den Fesseln zu befreien, die dem Weibe auferlegt sind. Denn auch Papa trug an seinem Tennishemd einen solchen Kragen, der ihn am Atmen hinderte. An den Füßen schleppten beide nicht selten hohe braune Lederschuhe mit zolldicken Gummisohlen, und ob Mama außerdem noch ein Korsett zu tragen hätte, das bis an die Achselhöhlen reichte, oder sich mit einem kürzeren begnügen dürfte, war damals eine umstrittene Frage. Damals war Tennis noch ein Abenteuer, von dem sich die verzärtelte heutige Generation keine Vorstellung mehr machen kann. O, rührende Frühzeit, als man noch nicht wußte, daß auf kontinentalen Tennisplätzen kein Gras gedeiht! Man behandelte es vergeblich mit der Sorgfalt eines Friseurs, der an einem an Haarausfall leidenden Kunden alle seine Mittel versucht. Aber man konnte auf solchen Grasplätzen bei Turnieren unerwartete