Robert Musil

Gesammelte Werke


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in keinem auffällig verschiedenen Stil. Ja sogar der Anteil der Beinarbeit, der am geheimnisvollsten aussieht, versetzt uns nach langer Enträtselung erneut in Bestürzung, da es sich herausgestellt hat, daß auch ein Mann, dem ein Fuß fehlt, einer der besten Schwimmer werden kann.

      Ihre Frage, was Stil sei und bedeute, möchte ich also doch lieber nicht auf einem Gebiet beantworten, das so anstrengende Ansprüche an den Geist stellt wie der Sport, ja ich möchte sie überhaupt nicht beantworten. Nur soviel davon: Von Stil spricht man immer dort, wo eine Leistung nicht eindeutig abgefordert ist, wo ein gewisses arbiträres Verhältnis zwischen Aufgabe und Lösung herrscht. Er ist ein Ersatz der Normierung, aber keineswegs ein willkürlicher. Denn dem Stil liegt immer eine mit oder ohne Bedacht ausgefeilte Methode zugrunde, die sich in ihrer Art vervollkommnen läßt, bis ein Punkt erreicht wird, wo es so nicht weitergeht. In diesem Sinn hat die Schönheit Stile, und nahe verwandt damit sind die Moden, aber das Wesentliche daran ist nicht etwa, daß der Geschmack ein anderer wird, sondern daß er der gleiche bleibt, nämlich ein Etwas, dem es im Grunde nie klar ist, was es will. Wir scheinen die merkwürdige Eigenschaft zu haben, daß wir, wenn wir einmal etwas wollen, es so lange weiter wollen können, bis nichts mehr zu wünschen übrig bleibt, daß wir aber im Ganzen nicht wissen, was wir wollen sollen. So verhält es sich ja meistenteils auch in der Kunst, wo die Stile aufblühn, in sich dicht werden und vermorschen wie die Bäume. Und so kann man sogar von Stilen der Moral reden, was verrät, daß diese nicht so sicher ist, wie sie selbstsicher tut.

      Wenn Sie das nun auf das Crawlen anwenden wollen, so werden Sie erkennen, daß wirklich auch da der Stil die Kunst ist, eine Unwissenheit auszugleichen, in diesem Fall die um die rationellen Bedingungen des Schwimmens, die herauszubekommen bei einer verhältnismäßig so einfachen Zweckhandlung mit der Zeit sicher gelingen wird. Dann wird es nur noch soweit Stil geben, als die verschiedenen Arten der körperlichen Anlage verschiedene Ausnutzung verlangen, und etwa noch soviel wie bei einem Rennboot, das doch immer eine Individualität ist, wenn es auch nach noch so genauen Formeln gebaut wird. Höhere geistige Vorgänge, wie etwa bei den eigentlichen Kampfsporten oder beim Reiten, wo das Verhalten zu einem zweiten Wesen mit ins Spiel kommt, werden vom Schwimmen wenig in Anspruch genommen. Aber indem ich das Wort höhere geistige Vorgänge niederschreibe, brennt mir auch schon die Warnung auf der Zunge, die ich bisher zurückgedrängt habe: Suchen Sie auf keinen Fall im Sport das Hohe, sondern nimmer nur das Niedere! Das wird heute im Wert verwechselt und auf eine Weise, die so eigentümlich ist, daß ein paar Worte darüber schon wirklich lohnen.

      Wir hören es nie anders, als daß der Sport menschlich erziehe, worunter ungefähr verstanden wird, daß er seinen Jüngern allerhand hohe Tugenden, wie Freimut, Verträglichkeit, Redlichkeit, Geistesgegenwart, klares und schnelles Denken verleihe. Nun, Sie wissen es: der große Sportsmann ist nicht nur ein Genie, sondern – solange er keine Prozente nimmt – auch ein Heiliger. In Wahrheit würde aber, ebenso ernst genommen, auch jede andere Beschäftigung die gleichen Tugenden verleihn, und was der Sport moralisch noch anderes bewirkt, ist höchstens eine Verfassung gelassener Nettigkeit und Aufmerksamkeit auf sich und andere, wie man sie auch aus den erschlossenen ersten Tagen eines Sommeraufenthalts kennt, und jenes sichere Verhältnis zur Natur, das sich in dem Gefühl äußert, man könnte Bäume ausreißen. Im Sport die Ausbildung höherer moralischer und intellektueller Fähigkeiten zu suchen, kommt von jener veralteten Psychologie, die geglaubt hat, das Tier sei entweder eine Maschine, oder es müsse, wenn es eine Wurst sehe, einen Syllogismus von der Art baun: das ist eine Wurst, alle Würste sind wohlschmeckend, also werde ich jetzt diese Wurst essen. Nun ist das Tier aber weder eine Maschine, noch baut es Syllogismen, noch schließt und urteilt der Mensch in reizvollen Lagen so. Sondern was bei Tier und Mensch stattfindet, ist bei schnellen Handlungen ein geschichtetes Ineinandergreifen von artmäßig und persönlich festgelegten Verhaltensweisen, die beide fast mechanisch auf äußere Reize «ansprechen», dazu eine vorausgestreckte Aufmerksamkeit, die auf ähnliche Weise das schon bereitstellt, was in der nächsten Phase in Anspruch genommen werden wird, und schließlich ein dauerndes, völlig unbewußtes Anpassen der vorgebildeten Reaktionsformen an das augenblicklich Erforderliche: auch ein Mensch vollführt die verwickeltsten Handlungen ohne Bewußtsein, ohne Geist, woraus man ja vielleicht auch schließen darf, daß die Rolle des Geistes nicht die ist, eine im Sport zu spielen.

      Es ist kein unwitziger Widerspruch, daß es heute über solche Fragen sehr eingehende Untersuchungen von Philosophen und Biologen gibt, die den Begriff der menschlichen Genialität gerade dadurch neu aufbaun, daß sie ihn über einer tieferen Erforschung der tierischen Natur errichten, während unsere Sportschriftsteller noch immer dabei sind, den Besitz der sittlichen plus der theoretischen Vernunft für eine selbstverständliche Voraussetzung des Crawlens und des Sports zu halten.

      Prosa-Fragmente aus dem Nachlass

      Tagebuch Hippolyte

[Etwa 1903]

      Personen:

      Hippolyte

      Madelaine

      Margerite

      In einer Gesellschaft bei F. lernte ich Madelaine kennen. Beim Hingehen sagte mir H: Geben Sie obacht, Sie werden jemand Interessanten kennen lernen – und er nannte den Namen – man weiß nicht ob sie schön od. häßlich ist.

      Ich fand gleich Anschluß. Ich sagte nichts, was nicht ohne einen kleinen Witz oder Verbeugung gewesen wäre. Auch einige galante Frechheiten sagte ich ihr in die Augen hinein. Ich war in einer guten Stimmung wie an einem erfolgreichen Assautabend.

      Ein kleines Männchen, das Madelaine in der Tombola gewann und unter allerlei Capricen herzte, gab leichte Gelegenheit zu beziehungsreichen Scherzen.

      Beim Abschied vergaß sie es; ich trug es ihr ins Vorzimmer nach. Sie hatte es «ihren kleinen Mann» genannt und dann auf einem Kaminsims stehen gelassen. Ich beklagte mich im Namen des Symbols über die leichtfertige Grausamkeit.

      Aber wenn auch meine Sätze nicht geistlos waren; sie reuten mich: ich hätte nichts sagen und einfach am nächsten Tage ihr das Männchen bringen sollen. Diese Gunst des Augenblicks hatte ich nicht ergriffen.

      Trotzdem behielt ich die Erinnerung an einen angenehmen, leichten Abend.

      Später erzählte mir Madelaine, daß ich ihr zu Anfang den Eindruck großer Blasirtheit machte.

      Das nächste Mal – ungefähr vier Wochen später – gelang es mir, mit ihr in einer ziemlich ungestörten Ecke zu sitzen. Ich entwickelte ihr eine Theorie des Flirt und sprach überhaupt viel von Mann und Weib.

      Wie sie heute behauptet, weiß sie noch jedes Wort.

      Dann war ich einmal bei Hs ihr Tischnachbar und tags darauf trafen wir uns wieder bei F. Es waren immer Leute um uns, doch trachtete ich, in meinen Worten so persönlich als möglich zu sein. Beim Weggehen bedauerte ich, sie solange nicht sehen zu können und erhielt die Erlaubnis Besuch zu machen.

      H. erzählte mir am Heimwege mit Achtung von ihrem Ernste; er findet sie interessant und würde – wäre er nicht verheiratet – «anklopfen».

      Traf sie nicht an. Wenn ich nicht irre, ging sie noch am selben Tag zu Hs, um meine Adresse auszukundschaften.

      Seither war ich häufig bei ihr zum Thee und ging auch mit ihr spazieren. Sprach meist gut, was mich mit großer Freude erfüllte.

      Eine entscheidende Wendung scheint für mich eingetreten zu sein, als ich ihr die Gedichte von R. vorlas. Doch fällt mir eben etwas ein, das älter ist: Als ich einmal abends von ihr kam, fiel mir Valerie ein. Ich vermutete (mit Unrecht) eine Ähnlichkeit des Typus. An dieses schwere, überreife Fallen dachte ich.

      Die Parallele ergriff mich. Ich hatte sofort den Wunsch die Epoche Valerie wiederzuleben. Aber mit aller Erfahrung, was mich damals ziemlich ahnungslos ergriff. In diesem déjà connu liegt ein morbider Reiz, etwas krankhaft Intensives. Dies war die erste Bedeutung Madel. für mich. Ich nahm mir vor sie zu gewinnen. Wohllüstig, mit geöffneten Sinnen und verschlossenen Erinnerungen.

      Die ganze nächste Zeit über sondirte ich. Aber die Parallele war falsch. Mein Interesse ermüdete und spannte nur hie und da wieder an. Für ein Gewinnen war der Antrieb zu schwach.

      Dann erst