Robert Musil

Gesammelte Werke


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schlecht. War ostentativ kühl. Endlich kam es wegen Sonntag heraus. Ich versuchte die geistreichsten Erklärungen, habe aber an Boden verloren und bin unglücklich. Ich will noch immer das ganz Große von ihr. Nachher soupirten wir zusammen und tranken Brüderschaft. Waren sehr herzlich, sie ein wenig koboldig und in Weinlaune. Ich bemerkte einzelne Derbheiten in ihren Gesten und meine Stimmung wurde leichter.

      Heute, Donnerstag, kam sie zu spät. Endlich in ganz merkwürdiger Laune. Ich schaukelte sie im Stuhl. Sie wollte nichts ernstes. Wir plauderten ziemlich leichthin und graziös. Viel mit den Augen. Meine Art wurde wieder ein wenig mondän. Ich hatte das Gefühl, daß sie vor mir mit einem Manne zusammen war, der ihr gefiel. Das gab mir mich wieder. Ich küßte sie endlich, halte nicht allzuviel von ihr und lebe dem Augenblick. Ich gefalle ihr so. Eigentlich ist dieser Sieg eine bittere Enttäuschung und Lehre. Aber ich bin frei von Leidenschaft und so viel glücklicher.

      Samstag sahen wir uns wieder. Erst schien es, als ob ich abermals nicht Boden fassen könnte. Endlich nahmen wir uns einen Wagen und fuhren ins bois. Dort wurde ich allmählig wärmer. Legte mein Kinn auf ihre Schulter und sprach so auf sie ein. Dann saßen wir bis zehn Uhr im Wald. Ich hielt ihre Knie und wir küßten uns oft. Sie küßt nicht gut, wie ich bemerke. Beim Loslösen der Lippen verursacht sie Geräusch. Überhaupt ist sie ziemlich primitiv. Ich muß es sie anders lehren. Das gibt mir alle Sicherheit und nimmt mir ziemlich viel Illusion.

      Montag wartete ich vor dem Hause ihres Lehrers auf sie; etwas entfernt. Sie trat heraus – zurückgeneigter Kopf – halbgeschlossene Augen, – als ob sie ihren Mund ins Licht hielte, damit die Sonne die Küsse darauf trockne.

      Ihr Blick suchte mich, aber, wie mir schien, etwas grausam.

      Später bemerkte ich, daß eine Flechte ihres Haares sich gelöst hatte. Sicher hat sie etwas mit ihrem Lehrer gehabt .. Und dies constatieren zu können, freute mich.

      Zu Jakob Eberle’s letztem Gang

[1907/08?]

      Es war in dem heißen Mai des Jahres 1906. Wir saßen vibrirend von der Glut in einem Café. Lauter Ästheten, gelehrte Künstler, Künstlergelehrte, Vielwisser, Byzantiner. Die Kommenden. Maria mit dem brutal gelben Teint blätterte in der Woche. (Triumph der Vielseitigkeit, der Vorsilbe Poly-selbst die Woche in sich aufnehmen zu können) So kam die Sprache auf den Vesuv. Ein Glück sagte Maria, daß die Ausgrabungen nicht wieder verschüttet wurden. Was liegt dagegen an allem anderen. Und man macht ein großes Geheul, statt froh zu sein, Feste zu feiern.

      Könnte man nicht, .. sagte Marsilius und alle wußten den Nachsatz .. auch das Gegenteil verteidigen .. ohne daß er ihn aussprechen mußte, ja nicht einmal sein indignirtes Lächeln, das die Relativität aller moralischen Erkenntnis bewundernd bedauerte, wäre nötig gewesen. Nein man kann nicht. Wenn man bedenkt, was unsere ganze Kultur ohne Pompeji wäre, daß gewisse Gefühle, ja selbst gewisse Gesten nicht möglich wären ohne Pompeji, so daß selbst der miserabelste Plebejer etwas davon hat, – indem der Durchschnitt der Lebensform gehoben wird – kurz objectiv kann man es gewiß nicht. Aber subjectiv, meinte Marsilius. Geschmackssache. Er wußte nun, was sich Maria im Augenblick von ihm dachte .. Dieser Marsilius – Baumeister Marsilius – man klebt doch am Handwerk. Man kann nicht rein künstlerisch concipiren, man hat den Schweiß seiner Arbeiter zu nahe an der Bewußtseinsschwelle …

      Aber es war wohl die ungewöhnliche Schwüle, wenigstens war es wie in der Enge eines pathologischen Zustandes –: der Gedanke ließ ihn nicht aus. Subjectiv könnte man es verteidigen.

      Er war überarbeitet durch umfangreiche kunsthistorische Studien – es stieg ihm manchmal heiß in den Hals und er hatte Sehnsucht nach grünen Bäumen – so einem dichten gewölbtem Kastaniendach – eine weiße Bluse fiel ihm dazu ein, kühles Bier in großen plumpen Gläsern und so wurde allmählig ein Gastgarten daraus.

      Man konnte es also verteidigen – subjectiv natürlich nur – es führt so eine Linie über Maeterlinck – ja über das Christentum – Bier, Bier – dorthin – seelig sind die Armen im Geiste und schwer wiegen die Seelen derer, so nicht reden können – aber die Gedankenkünstelei verdroß ihn, er schwieg, konzentrierte alles auf das Bild dieses Gastgartens – es war aber wirklich durchaus banal, einfach ein Produkt dieser Hochsommertemperatur – und dennoch hatte er eine Ahnung, daß er es festhalten müsse, als ob ganz sicher noch etwas hinzukommen würde. Und so hielt er denn am ganzen Nachhauseweg das dumme Bild fest und nur hie und da zuckte ein neues auf, ohne sich aber recht an das vorhandene anschließen zu können. Arbeiter wie sie in der Mittagspause lang auf den Sandhaufen lagen ein junges Mörtelweib, das mit glückblitzenden Augen aus einer braunen Flasche Schnaps trank … und sich so ganz vital befriedigt auf den schwangeren Bauch klopfte …

      Zu Hause fand er eine Karte seines Vaters .. nächstens mehr; von allen die herzl. Grüße; Gustl ist in Kissingen u. dann München; Donaths seit vorgestern zurück. Eberle hat sich das Leben genommen. Schreibe recht bald – dein zärtlicher Pp.

      Marsilius setzte sich sofort hin, holte eines der fahlen Billets mit dem Siegelring des Patriarchen .. als Wappen und schrieb nach Hause. Ich habe mirs überlegt u. mache meine Reise erst im Herbst. Komme jetzt aber für 14 Tage zu Euch um mich einstweilen ein bischen zu erholen. Auf Wiedersehen Marsilius.

      In Bodenbach kaufte er sich die Lokalzeitung seiner Heimat. Wie er vermutet hatte, fand sich eine Notiz über das Begräbnis, des dreißigjährigen Studenten Jak Eberle, der sich – infolge von Überarbeitung überreizt – das Leben genommen hatte. Studentenschaft u. Professorenkollegium waren beim Begräbnis zugegen, der Rektor hatte eine Ansprache gehalten, in der er den Ernst der Wissenschaft betonte u. den Verschiedenen als einen auf seinem gefahrvollen Posten Gefallenen schilderte, der akademische Gesangverein, dessen Mitglied der Verstorbene war, hatte den Abschiedscantus gesungen, sicher wurde nachher in der Kneipe der Ferialverbindung Sudeto-Moravia ein Trauersalamander gerieben und Hanuschkas Eberles bester Freund wird den Nebensitzenden von verdächtigen Äußerungen erzählt haben, die sich schon in der letzten Zeit gezeigt haben.

      Hanuschka … Marsilius sah den kleinen, breitschultrigen Halbslawen vor sich, mit irgend einer furchtbar breit gestreiften Cravatte, wie sie sie alle trugen, dann sein grauenvoll ungelenkes Lachen, bei dem jeder Teil des Gesichtes für sich irgendwohinging … Es war eine andre Welt, eine lange verlassene Welt, eine beschränkte, widrige, von der er nicht verstand, wie sie ihn so lange festhalten gekonnt – und doch wurde ihm jetzt warm, heimlich –, zum Einschlafen, als sie Stück um Stück erwachte.

      So fuhr er bis B. Und von Station zu Station wurde das Bild Eberles in ihm lebendiger, dieses Menschen, den er kaum gekannt hatte, der an seinen heutigen Ansprüchen gemessen völlig ohne Wert war und um dessentwillen er dennoch diese weite, reizlose Reise machte und an Maria dachte, als ob sich ein Sprung zwischen ihnen gezeigt hätte, der größer werden würde. Gerade deswegen wollte er es eigentlich abschütteln. Maria war fein, gelehrt, voll Reminiscenzen, vielfältig, alle Vergangenheiten konnte man in ihr lieben. Marsilius wollte sich erinnern Damals – gleich – als ihr Kopf in den Kissen lag, gelb vom verfärbten Zimmerlicht – wie aus einem fahl getönten Stein herausgeschnitten. Oder .. Aber andere Bilder wuchsen darüber hin, erst wie Farbenflecke, die es wie wuchernder Rasen zudeckten, dann sich allmählig zusammenschlossen bis da und dort einer der Züge Jakob Eberles sich gebildet hatte, von denen Marsilius nie geglaubt hätte sich noch zu erinnern.

      Ein kleiner Kopf, zu klein fast für die lange magere Gestalt, – das war wohl eine bezeichnende Einzelheit. Dann etwas Merkwürdiges: das Haar.

      Stil: Das Verschwimmende, kaum Abgehobene eines solchen Lebens. Es kommt, hat stille unbeachtete Wirbel und geht – bei der Arbeiterretirade am Meer – wieder in die Unendlichkeit.

      Man könnte den Einfall von Eberl. letztem Gang mit der Schilderung des sterilen Menschen verknüpfen. Eberle etwa als Opfer ihrer Witzchen (natürlich nur so nebenbei). Da ist einerseits der Mensch E., der vielleicht etwas Dunkles am Grunde hat; ist das aber ein persönlicher Vorzug? So ähnlich ist die Frage. Es schützt nicht vor Lächerlichkeit, es gibt vielleicht einen Moment in seinem Leben, der wie ein Geigenton ist, den genießt aber ein anderer. Höchstens eine Abschiedfärbung, mit der er die Welt sieht, grenzt ihn für kurze Zeit ab; aber was vermag er damit? Es ist das Problem der Ökonomie, das Schöne ist nichts, wenn man es nicht zerteilen,