Robert Musil

Gesammelte Werke


Скачать книгу

Dazu die Pracht Rs. Ohne die Stimmung zu verletzen erklärte ich. Ich celebrirte gewissermaßen meine Meinung von der Liebe.

      Es griff mich bis zur Erschöpfung an. Auch sie. Es war wirklich gelungen unsere persönliche Beziehung aufs äußerste zu steigern. Und die Gemeinsamkeit war so, als ob wir eine Nacht zusammen geschlafen hätten.

      Seither sehne ich mich nach ihr und sie zeigt mir, daß sie mich liebt. Noch schien es mir anfangs ungewiß. K. redet mir zu, nicht zu zaudern. Selbst ein Fehlschlag ist besser als unversucht lassen.

      Aber ich kann nicht. Marguérite. Ich überlege nicht, ich mache mir keine Vorwürfe, aber sie wird es wohl sein, die mir die Kraft raubt. Ich habe kaum mehr etwas zu wagen und greife doch nicht zu.

      Als wir uns das letztemal sahen, fuhr ich mit Madl. ins Bois. Madel. sprach nur leicht verschleiert von ihrer Liebe zu mir. Zu meinem Schrecken sehe ich, daß ich ihre Sätze nicht mehr weiß. Aber sie durchdrangen mich. Es war wie ein Glück, das man kaum begreift. Und ich bat sie fast, mir Zeit zu lassen. Ich sagte ihr, daß ich sie liebe, daß ich aber es noch nicht wahr haben will. Sie verreist für acht Tage. Ich bat sie, diese Tage über noch den feinen Genuß der Enthaltsamkeit uns kosten zu lassen. Aber es war nicht Raffinement, nur Feigheit.

      Jetzt sehne ich mich nach ihr.

      Marguérite erscheint mir hübscher als vorher, aber ich vermag sie kaum zu küssen. Denn nicht mehr in ihr küsse ich mich. Ich will etwas finden, das mir in dieser Angelegenheit Stil und gutes Gewissen gibt.

      Ich vergaß zu notiren, daß das erste Zeichen meiner Neigung war, daß mir wieder Gedanken von einem lange verlorenen Typus einfielen.

      Scheidungsgedanken. Ich muß mich ganz auf Madelaine konzentriren können. Mit ihr – so als ob es zum ersten Mal in die Welt hinausginge. Ich muß mich ganz hingeben können.

      Ich verbrachte zwei Tage mit Marguérite. Aus Feigheit vor ihrem Verdacht. Ich hatte Angst davor, aber alles ging gut. Wenn ich mich an die Sinnlichkeit erinnere, muß ich an gelbe Seide denken, die mich bedeckte. Ich vermochte mich ganz auf den Augenblick zu konzentriren.

      Im Ganzen war aber meine Stimmung schwankend. Überempfindlich gegen Derbheiten an Margu., die ich lange nicht mehr beachtet hatte.

      Ich muß mich nur der gewissen Phantasien enthalten: Mit Madelaine allein im Gebirge, oder nachts im Wald od. dgl.

      Gegen Ende wurde meine Stimmung immer günstiger für Margu. Zärtlichkeiten sind mir ganz natürlich nur die kindischen Neckereien, das klein-und ausgelassen sein geht nicht.

      Madel. ist wieder zurück. Es lag etwas Fremdes zwischen uns. Alltagsärger, der in der Zwischenzeit vorfiel. Ich habe keinen rechten Anschluß an sie. Dabei Angst, durch meine Künstelei den Augenblick versäumt zu haben. Ich bin entschlossen mir das nächstemal Gewißheit zu holen.

      Gegen Margu. bin ich fast so als ob nichts nebenher ginge. Vielleicht deswegen, weil ich nun bestimmt weiß, daß Madelaines Zeit gemessen ist.

      Diese Gewißheit hat mir übrigens auch Madel. gegenüber wieder zu einigem Leichtsinn verholfen. Ich war in der letzten Zeit zu sentimental.

      Heute kam es zu einer Krise. Die Schwierigkeit mit Marguérite türmte sich in mir an und raubte mir alle Freiheit. Ich setzte Madelaine ausführlich meinen Zustand auseinander. Sie schien mich zu ermutigen. Dann kam ihr aber wohl der Einfall, daß eine Liebe, an der man so würgt, keine Leidenschaft ist. Und sie will mitgerissen werden – ins Unendliche.

      Endlich hatte ich alles herausgebracht. Ich war ganz warm. Ich hatte mein Leben vor Madelaine ausgebreitet, wie sich ein Bub vor eine Frau wirft. Sie sprach plötzlich so freundschaftlich. Ich wurde vorsichtig und formulirte sehr umständlich – ob sie glaube, daß aus ihrem jetzigen Zustand Neigung werden könnte od dgl. Nein, Neigung reißt sofort mit; da gibt es kein Fragen.

      Unbeschreibliches Gefühl der Enttäuschung. Plötzlich verkehrte Perspektive. Aufsteigender Zorn. Sofort Erinnerung, daß mich dieser Augenblick nicht stillos verlassen dürfe. Ruhige, analysirende, psychologische Worte. Ich zerlegte unsere Beziehungen. Zeigte was mich zu meinem Glauben veranlaßte. Bat um Aufklärung Ich kenne Sie noch so wenig – hatte sie u. a. gesagt; daran erinnerte ich sie, wie mir einfällt, noch nicht. Im Übrigen hatte sie sich schlecht ausgedrückt. Sie hat Neigung zu mir und kämpft um es zu unterdrücken, weil sie sich vor meiner Moral fürchtet.

      Von dem Augenblick der Ablehnung an war ich wie von einer Last befreit. Sofort Herr der Situation. Konnte ihre Hand fassen, konnte ihren Arm nehmen. Redete in allen Tönen zu ihr, die ich die ganzen Tage nicht fand. Alle Zärtlichkeit, die von mir gewichen war, war nun da und fand einen ungehinderten natürlichen Ausdruck.

      Sie zitterte, hatte Thränen in den Augen. Wir waren sehr lieb miteinander. Behandelten dieses Verhältnis wie etwas leicht Zerbrechliches, sehr Sonderbares, mit dem man sich feine Mühe geben müsse. Behandelten es als etwas Selbstverständliches.

      Am Nachhauseweg, allein, kam ich manchmal in frivole Stimmung und unvermittelt wieder in ganz Heilige.

      Aber dieses Heilige, mit dem Bewußtsein eines bloß augenblicklichen, fast nur andeutenden Genusses war wohl die eigentliche Quelle des Frivolen.

      Übrigens scheint unsere Beziehung durchaus noch nicht fest zu sein.

      Ich habe um ihre Hand angehalten. Denken Sie nur ich – dieser gamin! Bin ich nicht ein Staatsbürger? Und habe einen Korb bekommen! Meine Würde brachte mir keine Gefahr. Was für eine reizende Excursion. Ich wurde so fröhlich auf diesen Korb hin, so zärtlich zu ihr. Solche Sprünge versteht sie wohl nicht. Solchen lustigen Herrn Pierrot.

      – Psychologische Nachwirkung. Schlaflosigkeit. Herrliche Nacht im finstern Zimmer. Am Divan unter einer Reisedecke geschlafen. Schrieb langen Brief an Madelaine. Im Anfang wie eine Fortbildung des Stils der Valeriezeit. Später in dem von der Leidenschaft handelnden Teil Neues. Es wurde mir klar, daß ich nicht ganz untertauchen kann, daß meine Leidenschaft eines Untergrundes von Resignation braucht. Daß Leidenschaft für mich nur eine caprice sein kann, an die man nicht ganz glaubt, nach der man sich aber ganz sehnt.

      Schrieb in großem Fieber. Der gewisse Sturm ohne Wollen.

      Nachher Apathie.

      Ein paar Tage später Spaziergang ganz ohne Kontakt. Zum Schlüsse, in dem Bemühen doch noch Anschluß an mich zu finden, kam ich mir beinahe lächerlich vor.

      Merkwürdig war, wie heute eine Zärtlichkeit für Marguérite in mir aufschoß. Sah sie plötzlich als armes, krankes Mäderl, und über das Mitleid kam den gewohnten Weg die Liebe. Merkwürdig, daß ich ihr gegenüber jeder Regung nachgeben kann, gegen Madelaine nicht.

      Sehr sonderbarer Tag. Nachmittag bei Madel. Sie wollte singen. Ich hatte die alten Lieder aber nicht bekommen können. Mattgraues verschlossenes Zimmer. Sie kniete bei mir, sie stand ganz dicht ober mir. Sie liebt dieses Stille an mir. Ich konnte mich nicht rühren. Banalitäten fielen mir ein. Ich küßte nur ihren Arm, streichelte ihn, streichelte mein Gesicht mit seinem weichen, schwarzen Flaum. Mußte Weggehen, war der Situation nicht gewachsen. Sie war voll verhaltener Leidenschaft. Sprach metallisch und plötzlich mehr als sonst. Ich glaube, daß ich sie nicht verstehe. Und mich? Will sie geheiratet werden? Selbst dieses Gedankens war ich fähig! Überhaupt! Es war ein Glück und fast eine Verlegenheit.

      Ob ihr nicht die Knie weh tun, in der unbequemen Stellung?! Sogar das fiel mir ein. Und wurde wichtig. Denn alles kam mir plötzlich unnatürlich und gewollt vor. Ist das Liebe? Es kann es sein. Nur traf zufällig eine Culmination mit einer Depression zusammen.

      Eine große Aufregung ist in mir. Ich möchte Madel. heiraten. Trotzdem gefällt mir Margu. besser als seit langem. Sehe gewisse natürliche Feinheiten an ihr, gegen die ich abgestumpft war. War müd zärtlich gegen sie, so ganz mich auflösend, wie ich es gerne bei Madel. wäre.

      Ich verstehe Madel. erst recht nicht. Ich glaube wohl, daß an jenem Freitag echte Empfindung im Spiel war. Ich verfüge über mich und gebe mich dir. So ähnliches sagte sie auch. Warum ich aber gelähmt war weiß ich auch nicht. Entweder reizt sie mich nicht genügend sinnlich, oder ist zu viel Sturm in mir. Über diese Alternative bin ich mir nicht klar.

      Sonntag war sie sehr warm-müde.