kann, wird gesucht,» «eine Mittelstimme kann eintreten bei 12 sisters ….» Es ist ein Gewerbe, ein ehrliches Gewerbe. Und wenn man schon hie und da eine Einladung annimmt, warum soll man wirklich nicht auch einmal vergnügt sein? Daß man aber auf der Bühne allabendlich eine Unanständigkeit zu sagen oder zu tun hat? .., ja was haben sie dagegen? .., was denken sie nur? .., die Leute fliegen darauf wie auf Zucker! Männchen, tadelte einmal eine, was willst du bloß …?!
Hier schweiften die Gedanken des jungen Herrn abermals ab. Solange die Wittwe nicht mitverbrannt wird, bleiben es graduelle Unterschiede. Ob man allabendlich, oder in drei, fünf, fünfzehn Jahren Lebensgefährtin eines neuen Manns ist? Oder auch nur zu denken vermag, es könnte schön sein? Und wir? Wenn Kamilla A. stirbt oder uns verrät, bekommen wir vor Seelenschmerz eine Bauchfellentzündung, und wenn Kamilla B. kommt, besitzen wir die schamlose Vergeßlichkeit, von neuem und tatsächlich wieder rein und unberührt zu sein. [Bei Kamilla M. kommen wir endlich darauf, markieren nur mehr die Mystik des Erlebnisses, lassen uns von da ab die Nägel rosa färben, die Haare am Leib römisch schneiden und pudern uns in den Achselhöhlen, – aus einem unbestimmten Gefühl von falschem Weg und nicht mehr Umkehrenkönnen heraus.]
Als nun die Tänzerin wieder etwas vorlas, wurde sehr lebhaft, was der junge Herr vor einiger Zeit über den Menschen P. A. zu denken begonnen hatte, ohne es zuendezuführen. Es fiel ihm ein: P. A. war ein großer Dichter. Zu sprechen ist aber von einem Phänomen, das sich an diesem langsam zurückbleibenden Dichter mit wachsender Deutlichkeit zeigt: in dem Maße als er uns entschwindet, unnuanciert, bilderbogenhaft wird, in dem Maße schließt sich sein Umriß und gewinnt einen hellen Saum wie Menschen vor einem Abendhimmel. Wenn wir uns umwenden, sehen wir ihn so auf einer uns fernen Hügelkette auf und ab gehn, immer das gleiche Stück hin und wieder zurück, mit einer fast unverständlichen Unermüdlichkeit, aber mit jenem hellen, hellen Saum gezeichnet. Seine Höhen heißen die Hügel der Güte und liegen uns immerhin neunzehnhundertundacht Jahre näher als die letzten des gleichen Namens. Er verläßt sie niemals mehr und betreibt dort eine kleine Apotheke: Tamar-Grillon um einen linden, beschwingenden Stuhl zu erzeugen, Absud vom Lebensbaum für kleine Mädchen, die in Verlegenheit geraten sind, Blumen für Melancholiker, kleine, primitive Stundengläser für allzu Lustige; er heilt die Seele mit hundert Kniebeugen und den Körper durch Zuspruch; er nennt das Lebensenergien wecken. Am größten ist er, wenn er ausgelacht wird. Wenn ein Mädel zu ihm sagt: «Sei lieb, Peter, der Baron will heut nacht zu der Paula kommen, leg dich für das einemal ins Dienstbotenzimmer», dann geht Peter wie der weise, gütige Elefant, wie der ernste, nachdenkliche Tapier zu der wunderschönen, edlen Magd und legt sich ins Gesindebett. «Wenn es dir nur genützt hat,» sagt er am nächsten Mittag zu Paula. Sagt aber eine: «Fahr ab, Peter! ein Waschlappen bist und kein Mann!» – so rafft er still seine Weichteile zusammen, erhebt noch einmal den Blick und geht. Geht und stolpert bald wieder über sein Seelengekröse, schleift es, hört ein Gelächter, faßt es mit einer geduldigen Bewegung wieder an sich und schreitet weiter. Schreitet erhaben, traurig und lächerlich, legendenhaft und mit einem Gesicht ganz ähnlich dem unsrigen, … ein Christus mit einem Hornkneifer.
Dies fiel dem jungen Herrn über den merkwürdigen und geliebten Menschen P. A. ein, wie er durch die Schriften des Dichters P. A. geht. Warum? Er wußte es nicht. Es wäre noch viel zärtlicher gewesen, wenn er nicht all das andre hinter sich gehabt hätte. Aus welchem Grunde er schließlich überhaupt verstimmt wurde und sich, ein wenig traurig, mehr der kleinen Tänzerin widmete. Jetzt aber nicht nur, weil sie wundervoll tanzte, sondern auch weil sie schlecht rezitierte und mit ihren ängstlichen Bemühungen P. A. klein machte. Eine lässige Sehnsucht stieg auf. Diese Sehnsucht ist, fühlte er, wie der halbbeleuchtete Zirkus, wenn man zu früh vor der Vorstellung kommt. Blanche wird erscheinen, Blanche wird Zulächeln, Blanche wird die Einladung des Herrn Bezirkskommissärs annehmen. Sie wird nachts von ihm in den großen leeren Zirkus, wo nur ein Gasstern brennt, zurückgelegt werden und wenn man das Tor öffnet, wird sie verwandelt duften, wie die Kleider in Mamas Truhe. Und noch zuhause, während er das Zimmer, in dem er saß, im Spiegel betrachtete und ein wenig unwirklich fand, sagte er sich: Man sollte dem mehr nachgehn … Nie wirklich gewordene Gefühle, plötzliches, unverantwortliches Aufleuchten … also wie war das damals .. und vor einer Stunde noch? … Man sollte doch solche Dinge nicht gleich wieder vergessen …
Dann dachte er daran, wie er Blanche ja noch einmal wiedergesehen hatte, es war der einzige Kuß, den sie ihm je gab, am Weg zum Bahnhof in Leoben, er war fünfzehn Jahre alt, Blanche war schon etwas scharf im Gesicht. «Wir reisen morgen fort, aus Europa weg,» sagte sie; «nach Spanien ….»
Grauauges nebligster Herbst [I]
In der Schürer’schen Pension wurde pünktlich um zwei Uhr gegessen. Aber Herr Eugenio Toronto erschien selten früher als zehn Minuten vor halb drei und niemand nahm es ihm übel. Signora Quengha aus Mexiko pflegte dann die Reste des ersten Gangs mit dem Zahnstocher aus ihrem Mund wieder zu entfernen, «eh Eugenio, ciao» schrie Herr Tripodo aus Bologna jeden Mittag über den ganzen Tisch herüber und Herr Nikotakopulo aus Athen vergaß nie hinzuzufügen: «gut geschlafen heute?» Wobei seine Lippen zweideutig gefettet sich spalteten und seine Hand stets nach irgend etwas in den Taschen seiner weiten Pantalons suchte. Frau Schürer machte ein nachsichtiges Duldergesicht, Eugenio Toronto’s Augen aber lächelten, seine Stirn war glatt unter den gescheitelten, trocken üppigen Haaren und seine Lippen strahlten. Er fühlte dann, daß er eine Ausnahmsstellung hatte. Die Lenden dieses jungen Menschen waren mager, alle bewunderten seine Brust, die wohlgewölbt und stets mit einem battistenen Hemd und einer zart entzückenden Weste bekleidet war, und seine langen, schmalen Finger brachen das Brot mit jugendlicher Federkraft. Es ging etwas unterleibhaft Angreifendes von ihnen aus, geheim; in ihren Spitzen lag, niemandem bewußt, etwas wie das Schwirren einer Maultrommel. Fräulein Landauer, die Vorsitzende des Säuglingheimvereins, sagte einmal von ihnen: «Als ob Flügel daran wären!»
Dies war das einzigemal, daß Walther Grauauge, der neben ihr saß, ihr widersprach. Er sagte leise: «Im Gegenteil, man spürt ein standhaftes Wohlgefühl in den Füßen, wenn man ihn ansieht. Man spürt dort ein Gefühl für ihn; eine Nebenseele, die zufrieden wäre, wenn sie mit der seinen und überhaupt wie in einem Rudel Hunde laufen könnte …» Seine Nachbarin sah ihn erstaunt an; sie wußte nicht recht, sah nach der andern Seite und schwieg. Auch Herr Grauauge schwieg. Er sank wieder in sich zusammen und betrachtete aufmerksam den jünglinghaften Gott, der hastig die Suppe in sich hineinlöffelte und rasch – gleichsam mit dem Munde ihnen nachgallopierend – die übrigen einholte. Bald jedoch erschrack Grauauge heftig, denn Fräulein Landauer war mit sich fertig geworden und sagte laut: «Hören Sie, der Herr neben mir hat in den Füßen eine zweite Seele!» Und es gelang ihm auch diesmal nichts, was er diesem dummen und höhnischen Überfall hätte entgegenstellen können.
Sein Ansehen stand nicht gut in der Pension. Er wohnte außerhalb und kam nur zum Speisen. Oft saß er mit ganz unbeteiligtem Gesicht, wenn alle andern über einen Scherz lachten. Und manchmal lächelte er, wenn er selbst irgend etwas gesagt hatte, und kein Mensch verstand, wo daran ein Witz gewesen sein sollte. Meistens lächelte er aber nur aus Liebenswürdigkeit und oft viel zu spät, was diese Leute für ein sicheres Zeichen von Dummheit hielten. Es gelang ihm nicht, in diesem untergeordneten Kreis auch nur jenes Mindestmaß von Achtung zu erringen, dessen Fehlen jedesmal eine fahrlässige Beleidigung ist. Er wußte, daß Frau Schürer nie die Mädchen bei ihm mit der Bedienung beginnen ließ, und nie richtete sie ihr Wort an ihn; wenn ihn aber einer der andern ansprach, sahen ihn alle an, als warteten sie auf etwas sehr Komisches. Das geschah, trotzdem er sich höflich und keineswegs lächerlich benahm.
Es war böser Zufall. Er hätte, um ihm auszuweichen, bloß ein andres Haus zu suchen brauchen; allein er kam ihm seltsam und bezeichnend genug vor um zu bleiben. Er schlief unsicher und hatte oft in den Nächten die Empfindung von tastenden Augen, die wie ein Haufen Kerbtiere rings um ihn lebendig waren; mittags aber faßte ihn zuweilen ein plötzliches Abströmen seiner Gedanken, wie ein ungewisses Bild in diesem dunklen sich leerenden Trichter schien er seine Lage wiederzuerkennen und etwas wie Traum schlug in ihm auf, Abersinn, Schläfrigkeit, während er reglos spürte, wie unfreundlich man ihn betrachtete.
Bloß Toronto erwies ihm von Anfang an ein kleines, wohlwollend lustiges Interesse. Er sagte: «Dieser Grauauge ist