Robert Musil

Gesammelte Werke


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nach außen muß der Schein gewahrt bleiben. Nachdem deine Frau ihn getroffen hatte, bestand die Hoffnung, dich herzuholen; erst in ein Bozener Spital, dann die Sache mit dem Kommando. Aber es hielt so schwer, verläßliche Nachricht von dir zu bekommen.

      Kann ein Schädel kleiner werden? Der Druck in den Adern kann nachlassen, das Fett unter der Kopfhaut kann im Fieber etwas zusammenschmelzen, aber was gibt das aus? So bleibt ein Rätsel, denn tatsächlich ist der Kopf kleiner geworden und befühlt sich – von innen mit der Vorstellung – sogar noch viel kleiner, zwei dünne Schälchen aufeinandergeklappt. Man kann ja vieles nicht erklären, aber man trägt es nicht auf den Schultern und fühlt es nicht bei jeder Bewegung des Halses.

      Eine ungeheure Erscheinung, der Freund. Stark und breit u er spricht freundlich wie mit Kindern, so genau weiß er, was er ist u was er will.

      Als sie zurückkamen, war die kleine Katze da. Sie saß an der Schwelle des Hauses unter dem Porticus. Machte einen Buckel zum Willkomm und strich den erstaunten großen Geschöpfen um Beine und Röcke. – Sie wollte Einlaß. Selbstverständlich wurde sie aufgenommen. Wer wird nicht eine junge Katze aufnehmen, die ein Obdach will. – Aber schon am nächsten Tag zeigte sich, daß man vielleicht ein kleines Kind aufgenommen hatte aber nicht bloß eine Katze. Solche Ansprüche stellte das stumme kleine Tier, das sich um ein klein wenig stiller als einer jungen Katze zukam benahm und nur wie von einem unsichtbaren Heiligenschein von Mitleid umgeben war, das es um sich zusammenzog ohne daß es einer bemerkte. Sie gab sich sogar ersichtlich Mühe, freundlich mit den Menschen zu sein. Sie spielte so wie sie wissen mußte, daß es Menschen von jungen Katzen erwarten. Aber man konnte fühlen, daß sie nicht ganz dabei war.

      An einem –tag begann ihr Martyrium. Sie fing in der Nacht an, wiederholt zu erbrechen und war am Morgen ganz matt. Nun vielleicht hatten wir dem verhungerten armen Katzerl in gutem Übereifer zuviel zu fressen gegeben. Aber im Schlafzimmer Ans. konnte sie nicht mehr bleiben und wurde zu den Burschen in die Dachkammer gegeben. Aber die Burschen klagten, daß es nicht besser geworden sei und wahrscheinlich hatten sie sie auch in der Nacht hinausgeworfen. Und sie begann nun nicht nur zu brechen, sondern konnte auch den Stuhl nicht halten u. nichts war vor ihr sicher. Da entstand der Beschluß – wir hatten inzwischen erfahren, woher sie gekommen war, – sie dorthin (Hausmeistersleute in einer höher oben liegenden Villa) wieder zurückzustellen. Nun natürlich: wo gehörte sie denn hin? Wo war sozusagen ihre Heimatsgemeinde, die für sie zu sorgen hatte? Aber warum hatten wir dieses Gefühl so gar nicht früher gehabt? Das Gewissen drückte uns wohl alle und wir gaben Milch mit und ein wenig Fleisch u. versprachen für die Ernährung zu sorgen. (Erst hingebracht, wieder nachgelaufen) Zwei Tage später war sie wieder bei uns. Saß als wir nachhause kamen da und wir verstanden, daß sie beanspruchte da zu bleiben. Aber wie sah sie aus? Abgemagert u. glanzlos. Wir wußten, sie würde bei uns sterben – Jetzt das langsame Herumgehn, das zerstreute Lächeln mit den Pfoten, wenn sie nach einem Stückchen Papier schlug, das man vor ihr tanzen ließ, das Wanken auf allen Vieren und Umfallen beim Gehen. Ehrfürchtig sahen wir sie immer weniger werden u. gaben sie dann doch weg u ließen sie erschlagen.

      Man sagt zum Diener: das Beste wäre, man würde …

      Und der Diener tut es nicht selbst, sondern erzählt es dem Hußaren, der Pferdewärter beim Ordonnanzoffizier ist, den man 2 Häuser weiter einquartiert hat. Und der Husar tut es.

      Marietta. Wie eine Leinenpuppe muß sie sein, so ein Körper in faltenlosen wenig gegliederten Rundungen. Der Haß zwischen den Leuten ..

      Sie haben die Katze behalten (genommen), weil sie sich schmeichelhaft in ihr spiegeln. Der junge hohe Offizier als Bild der Kraft, Grausamkeit und Geschmeidigkeit. Seine Frau: Sammetpfoten und Krallen, falsch aber weich und unentbehrlich. Die gescheite Frau, weil sie im Tier ein Leben sieht, das weder sie noch ein andrer versteht, und dieses Leben in sich selbst fühlt. Nur nicht in ihrem Mann.

      Die Katze wird schwächer, sanfter, sie ruht länger aus im Schoß, hält sich mit ihren kleinen Krallen zärtlicher fest. Bei einem jungen Menschen würde man dieses Abnehmen nicht so stark empfinden, als bei diesem gelenkigen Tier, wo es mehr überrascht.

      Es wird immer rätselhafter. Die Katze sieht einen wie den andren an. Der Offizier, welcher krank war, versteht als erster, daß hier etwas Jenseitiges geschehen ist.

      Seine Frau sagt: Wenn Gott Mensch werden konnte, kann er auch Katze werden. Er hielt ihr ängstlich den Mund zu u er hielt ihr die Hand vor den Mund, erschrocken über diese Gotteslästerung Der Bursche sagt: sie hat die Räude.

      Sie stand vor der Tür als wollte sie regelrecht Einlaß (nach Menschenregel)

      Nach ihrem Tod die Kuppel von Stille, die Taucherglocke von Stille, die sich auf uns alle herabsenkte. Es ist etwas von uns weggegangen.

      Der Sommeraufenthalt. Zwei Genies

[1920 oder später]

      Man kann für Genies sehr schwer Namen erfinden, wenn man die wirklichen verheimlichen will. Es ist offenbar eine Eigenschaft, die am Namen haftet und nicht am Menschen; auch wenn der Mensch Maier hieß; dann ist es eben Robert Maier und trotz des Maier ein ganz einsam schwebender Mann.

      Ich will die beiden Genies Peter u. Paul nennen. Sie galten für Genies; das heißt sie hatten einen Kreis. Einen ziemlich großen Kreis, in dem sie das galten; ob sie es wirklich waren, weiß man nicht. Peter war Psychoanalyst (so hieß die von ihm begründete Forschung u ist wohl unterscheidbar von der Psychoanalyse durch ihr besseres Verhältnis zur Psychiatrie) und Paul war Philosoph. Sie hatten in einer fesselnden Streitfrage, ohne sich zu kennen, beisammengestanden, das Verlangen nach genauerer wie weiterer Aussprache fügte sich an, und der Philosoph, der ein kleines Landhaus bewohnte, lud den Psychoanalysten ein, einige Sommerwochen bei ihm zu verbringen.

      Sie waren beide verheiratet. Als Peter mit seiner Frau und mit einem Kajütenkoffer voll Büchern unter dem andren Gepäck in Stuttgart eintraf, führte sie ein Mietauto in Kletterschlingen die sonnige Berglehne nach Degerloch hinauf – zwischen Wein und Villen hindurch – das damals ein reizendes Dorf war, welches wie aus einem hohen Baumwipfel auf die Stadt hinabsah. Als sie das Holzgatter des kleinen Vorgartens aufstießen, stand in der Türe des Hauses ein Mann mit schwellendem Bart und dilettantenhaften Willkommgebärden; das war Paul. Auch seine Worte waren, wie ein Anzug vom Dorfschneider, der Bedeutung des großen Augenblicks angemessen.

      Zimmer – Aussicht – Kletterrosen. Peters Frau Eline – niemand hatte vor ihrer Existenz von diesem Namen gewußt – musterte den Raum mit dem urwüchsigen Mißtrauen des Menschen, der in die Behausung (ein Wort wie Behaarung) eines andren Menschen geraten ist. Laden auf u zu, ehe sie sich entschließen konnte etwas hineinzutun. Sie war eine weibchenhafte Frau mit einem energischen blonden Haarstrich aus der Stirne. Sie sah den Besuch wie ein Abenteuer an, das man versuchen konnte, da man sich in den Hotels der großen Badeorte doch auch langweilte. «Peter,» sagte sie, «Du bist ein Idiot in allem, was nicht Dein Genie ist: ich glaube, Du hast .. vergessen.»

      Unten im Garten, zwischen den schon fruchtschweren Bäumen stand Paul mit schwellendem Bart u wartete. Er hatte ein leeres Papier in der Hand, um Aufzeichnungen machen zu können, auf u abschreitend zwischen seinen Bäumen, aber man konnte bemerken, daß er unruhig war, Stillstand u. nur so aussah, als ob er dachte. Peter suchte .. und es bereitete ihm Vergnügen Paul auf den Geistesfreund warten zu lassen. Mit einemmal kam ihm ein Genie im Betrieb sehr komisch vor.

      Als er endlich hinuntergeht, ist Paul im Haus. Er öffnet vorsichtig ein paar Zimmer. Endlich findet er ihn und seine Gattin Pauline zieht ihm gerade die Stiefel aus, die naß geworden waren, während er eifrig seitlich gebeugt, etwas auf dem nun nicht mehr leeren Papier schreibt. Das Bild war lächerlich und doch hatte es etwas von einer königl. Zeremonie an sich. Gewölbter Raum

      Die zwei Auffassungen von Genie

      Die heroische u. die «kleine Gipfelung»

      Die erste lächerlich und fruchtbar; sie macht die Genies schlechter, aber die Bewunderer besser.

      Und so verliebt sich Peter in Pauline. Ähnlich wie die schwarze Freundin Saikes. Ihre Präsenz füllt die Vorstellung immer weiter aus, die er sich von ihrem Leben unter diesem Manne macht. Der Leichtsinn, mit dem er sich selbst behandelt, entsetzt Pauline. Und doch zieht er alles an, was Gegenströmung in ihr