.. Mitarbeiterin fand in der Oranienstraße in der Nähe des Lokals der Heils Armee einen sehr großen, perlengestickten Ridicule, eine Tasche, in dieser Zeit, die uns noch zwingen wird uns von Kunstgewerblern tätowieren zu lassen, einen absichtlich geschmacklosen, mit einem Notizbuch das die folgenden Aufzeichnungen einer nahe stehenden Persönlichkeit enthielt, welche einen interessanten Einblick in jene Bewegung gewähren, die zur Gründung der .. führte, und die ganz gewiß das deutsche Geistes u Gesellschaftsleben revoltieren wird.
Die Leute um Benj. Constant, die Mdm. de Charrières, die Staël lebten diese intellektuell-erotischen Verhältnisse, für die heute erst ein Apostel nötig ist. Constant trat für den Liberalismus ein u. war ein glänzender Kopf. Heute schlägt man alles mit der Realpolitik tot, deren traurigstes Zeichen das Prestige der christlich-sozialen Partei in Österr. ist. Im – auf die Frauen schimpfenden, nur die Mädels lobenden – Knurr, der einzige Politiker dieses Stils.
Es wäre mir egal, ob aristokratisch od. sozialistisch – es kommt darauf an, Bedürfnisse hinaufzuleiten. Unsere Literaten – was fingen sie mit der Macht an?! Ich bin nun einmal Chemikerin, das ist das Traurige, daß man heute da nicht mehr heraus kann. Das einzige wäre eine erweiterte Erotik, eine πολις-Erotik. Ich möchte die Geschichte jener Zeit lesen, aber ich kann nicht, meine ehem. Arbeit nimmt mich von neuem ganz in Anspruch, mehr als je, obgleich ich gedacht hatte … Wenn man wenigstens anständige Zeitungen hätte.
… Edmund hat heute mit Kassiber gesprochen, dann mit Bellimor Männe, abends in der Dalbellischen Weinstube mit Knurr. Als er um halb eins nachhause kam, sagte er zu mir «Betthase» «Betthase ich werde dich ..!» und wollte sofort mit dem Hut am Kopf über die Lehne des Bettes. Da wußte ich natürlich, … (: Realpolitik …) Er blutete ein wenig aus der Seele, als ich ihm erklärte, daß es für heute ganz gewiß nichts sei, weil ich nicht wolle. Während er sich auskleidete, sagte er zu mir: «weißes Luder. Weißes Luder, ich huste auf Dich. Ich spucke auf Deine Seele, Dein Mittelstück will ich!» Mein guter Edmund.
Sein Mund war in dieser Nacht unendlich. «Gewalt ist in mir,» erklärte er, «Sehnsucht nach der wüsten, weiten Leere nach dem Geschlechtsakt, Fauste sind in meinem Kopf; so komm doch.» Aber ich rührte mich nicht. Da meinte er: «ich weiß ja, daß alles in Dir schon zitternd durcheinander rennt, wie Schafe im Stall, die draußen den Wolf wittern.» Und ich antwortete: «es denkt gar nicht daran.» Nach einer Weile sagte ich: «Edmund, glaub doch nicht, daß das nur etwas Männliches ist, dieser fahle, ausgeleerte Horizont der Enttäuschung. Glaub doch, daß auch du manchmal für mich nur etwas ganz Kleines an jenem großen Pfahl bist, den ich um irgend einer Entspannung u Beruhigung meiner Gedanken willen in mich hineinstoßen möchte ..» Aber er war nicht zu beruhigen. «Pah» deklamierte er, «deine paar Abhandlungen, wenn schon .. Ob es eine mathematische Abhandlung ist oder die Analyse eines Dichters, das lernt man und Du hast natürlich Talent des Gehirns. Aber man wird wieder unterscheiden zwischen Gehirn u Seele, zwischen der Spitze des Werkzeugs u der Wucht seiner schwingenden Masse. Und die ist nur im Mann, Seele ist nur im Mann, die wenn auch stupide Wucht, die mit dem ganzen Körper dreinplatzt, durchreißt, Oberflächen zerschlägt .. Prügeln möchte ich Dich, prügeln möchte ich irgend etwas .. meine Worte u Gedanken möchte ich wie Prügel auf irgend etwas fühlen …» Unendlich war sein Mund in dieser Nacht, und einmal kam mir die Lust diesen großen häßlich nach Worten haschenden Mund, da, dort auf meinem Körper zucken u noch auf meiner Haut manchmal nach einem Wort sich hinkrümmen zu fühlen. «Edmund», bat ich, «glaub mir, Du bist mir ganz gleichgültig, es ist nur gesellschaftlicher Ausdruck, daß ich tue, als ob Du mich erregtest» Aber wie hätte er …
Am Morgen beim Rasieren, war er grau, ärgerlich, in sich hineingewandt. «Wie in eine weite Ebene» dachte ich u. war ruhig, heiter, selbstverständlich. Aber natürlich bemerkte ich, daß er nichtssagend aussah u. irgend etwas ganz Unerotisches, den Raum des Zimmers überall unangenehm Verstopfendes, zuweilen geradezu Dämliches in seinem Aussehen hatte. Übrigens erfuhr ich noch in der Nacht, daß sie eine Zeitschrift gründen werden.
Onkel Gottfried sagte nach den ersten Nummern: «Das ist ein sozialdemokratisches Witzblatt.» Er meint das nicht so arg, aber er ist ein Feind des allgemeinen Wahlrechts. Er ist gar nicht dumm, obwohl er in seinen Briefen zwischen Wohlgeboren, Hochwohlgeboren u Hochgeboren unterscheidet und stehen bleibt, wenn er einen vorüberfahrenden Hofwagen grüßt. «Das sind Formalitäten,» antwortete er Edmund, «die das Leben angenehm geregelt machen»; Er sagt: «wenn Du jemandem schreibst: Ihr ergebener Freund, so meinst Du ja auch viel weniger, als Du äußerst.» Er sagt: «Ich fühle mich natürlich auch nicht als leibeigen.» Sagt: «Oder findest Du es irgendwie einen Gewinn, sprechen zu können: Bürger Wilhelm, Schloßplatz Nr 1 statt Ew. Majestät? Wenn diese Majestät in Wahrheit so wenig Dein Leben beeinflußt als Herr Schnabel in der Großbeerenstraße. Ja weniger als ein paar Arbeiter die Sonnabend nach sechs Uhr von ihrem Bauplatz kommen u Dich zwingen vom Trottoir herunterzusteigen?» Und [?] so: Und er sagt: «Aber Ihr treibt Agitation u nicht Kulturarbeit.» Er ist ein wenig konservativ u. die Neuigkeiten, die er sagt, dürfen nicht weniger als 10 Jahre alt sein.
Ein andermal sagte Onkel Gottfried: «Die Aristokratie! Gerade sie macht, daß Dir der Herrscher nicht persönlich fühlbar wird. Mag wie sie tun, gegen unseren Geschmack gehen. Immerzu: schimpfe auf die Servilität, die Lächerlichkeit, das 18 Jahrhundert, aber erkenne an, daß sie das Legitimitätsprinzip aus einer sonst gesellschaftlich für uns unerträglichen zu einer bloß politischen Erscheinung macht. Betrachte um Gotteswillen solche Dinge doch nur funktionell, ich mit meinen 30 Jahren Staatsdienst kann nicht anders.»
Ich fand so sonderbar, daß Onkel Gottfried der funktionellen Betrachtungsweise das Wort reden mußte. Es ist weit mit mir gekommen, daß mir Onkel G. interessant wurde. Neulich traf ich einen alten Freund wieder. Er ist Musiker. Er sagte, während wir uns stritten von irgend etwas, gerade das sei doch das Wunderbare, daß man seit Nietzsche nicht mehr leugnen könne … Herrgott, wie erschien mir dieser Mensch?
Lieber Pan –!
Lieber Pan!
Ich schreibe Ihnen so, weil ich nicht weiß, in welchem Strich griechischen Gebirges Sie Ihr inhaltlos gewordenes und mißmutiges Dasein vergraben haben. Ich dachte mir unlängst, Sie müßten hierher nach Zermatt kommen. Und wenn Sie da sind, steigen Sie rechts bei der englischen Kirche an, wo die Abgestürzten liegen. Es führt der Weg über steile Wiesen und zwischen kleinem Felsengeschrunsel gegen Höhbalm und Hoblicht. Aber es ist gleich: Sie können wählen, was Sie wollen: überall stehen die Wiesenränder scharf wie Schiffstaue gegen den Himmel, der in der Sommermitte herbststillblau ist, Kiefern wachsen in eine Leere, die sich wie ein Abgrund über ihnen wölbt, u. in zweieinhalbtausend Meter Höhe blüht das Edelweiß so dicht, daß man es mit der Sichel ernten (scheren) könnte, zwischen Steinnelken, Enzianbechern, großen, wilden Margeriten, Vergißmeinnicht und kleinen aufs Gras geworfenen Teppichen von Stiefmütterchen.
Oben aber steigen Sie aus einer letzten Felsrinne heraus, arbeiten sich über ein steifes, wie eine Hemdbrust vorgewölbtes Schneefeld und – Pan! – Sie glauben sich rückversetzt in eine Hirtenlandschaft, wie sie sich in den großen, starken, einfältigen Tieraugen ihres verstorbenen Landsmannes Homer spiegelte. Über tausend Metern Nichts u Steile eine Fels-und Wieseninsel, leise gesenkt und gehoben, mit Mulden, die geformt sind für riesenhafte Liebespaare, von einem bröckelnden Steinriff überkämmt, wo Murmeltiere bei ihrem Kommen Männchen machen und verhuschen. Es ist nicht warm u nicht kalt, die Luft strömt wie aus Bechern, und Schafe welche ein weißes Vließ u seltsam schmale, schwarze Schädel haben sonnen sich auf kleinen zugefrorenen Seen.
Abends aber werden Sie Ihren Smoking anziehen und bei Seiler oder Gindraux dinieren. Nicht wegen des längst gemein gewordenen Gefühlssprungs vom Berg-in den Lackschuh, sondern um seelischen Inhalt für Ihre Tätigkeit zu gewinnen. Sie finden dort vieles von dem, was die moderne Seele zu ihrem Behagen rechnet, und Ihnen dürfte es noch unbekannt sein. Es ist wie aus dem Roman eines besseren Familienblattes. Eine Hall, in deren Kamin Holzscheite zündeln, eine Wiener Kapelle, Münchener Bierhalle und American Bar, draußen der Tennisplatz, das Kegelspiel und eine Church für die Amerikaner, wo sie ihren lieben Gott wie zum Tee empfangen. Sie werden sich über das wundern, wovon diese Menschen, die in allen Sprachen sprechen, innerlich leben, und beachten Sie