Geiz des Barons. Cand. belauscht Streit mit Dienstboten.
IV. Eberhard trifft ein. Die Sache ist nun brenzlig. Gründe, warum Cand. bleibt. Flüchtige Begegnungen mit Jutta.
Schattenspiel in der Kleinstadt
Jeden Morgen um ½9 Uhr sagte der Bezirksarzt das Gleiche: «Wenn jemand nach mir schicken sollte, so weißt Du, wo ich bin!» Wenn er das sagte, hielt die brave schwere Stute vor der Haustüre, mit dem leichten Landwagen, dessen vier Räder ganz nah beisammen standen, weil sie außer einer schmalen Vorbank nur zwei Sitze, u ein halbmuschelförmiges Verdeck trugen, das bei schönem Wetter niedergeklappt wurde u. bei Regenwetter gemütlich nach altem Leder roch. Frau Magdalene Steiner erwiderte nie etwas auf diese Anrede, die halb Frage, halb Feststellung war. Sie stand oben auf dem Treppchen, das vom Hausflur zur Straße hinabführte, hielt die Arme reglos über dem Magen gekreuzt, zuckte mit keinem Muskel u. war bloß der Ordnung wegen da, wenn ihr Gatte das Besteck und den Wettermantel auf den freien Wagensitz legte, das Spritzleder über seinen Beinen schloß u. dem Knecht des Gasthofs, wo Wagen u Pferd eingestellt waren die Zügel abnahm. Während Dr. St. sich dann zur Bremse vorneigte u eifrig drehte, zog die Stute an, u. sein Abschiedsblick landete auf der Treppe wie ein Steinchen, das man über die Schulter wirft; Frau Magdalene winkte mit einem Augendeckel u. lächelte in einer schwer beschreiblichen Weise ihm nach, die 12 Jahre Ehe und die Kinder einschloß.
Das einzige, was ihr an ihrem Leben mißfiel, war, daß von der Haustüre der schmale Flur nach hinten zu einer Treppe lief, die in das obere von einer zweiten Partei bewohnte Stockwerk führte, wovon ihre Wohnung, die zu beiden Seiten des Ganges lag, durchbohrt wurde wie der Apfel vom Wurm. Es war ein immer dankbares Gespräch, mit ihrem Mann zu überlegen, was der Besitz eines eigenen Hauses kosten würde, über welchen Betrag dafür schon verfügt werden durfte und welchen man als Hypothek aufnehmen könnte. Aber auch die Fortschritte der Wissenschaft verlangten Opfer, eine Röntgenkammer war vor einiger Zeit eingerichtet worden, die nicht einmal das Ortskrankenhaus besaß, und der Ankauf eines kleinen Automobils, wie es alle ganz zeitgemäßen Landärzte besitzen ließ sich kaum noch lange aufschieben. Man konnte ja vielleicht ein schon gebrauchtes erwerben; dennoch war auch bei sorgfältigster Berechnung nicht zu erwarten, daß man unter diesen Umständen in das Haus früher einziehen werde als zu dem Zeitpunkt, wo das Jüngste die Schule verließ. Dieser Zeitpunkt aber war fest vorgesehen und anderen Kummer hatte das Ehepaar eigentlich nicht.
Um 3h begann die Sprechstunde; da war ihr Mann gewöhnlich schon zurück und hatte gegessen. Wenn die Sprechstunde zuende war, schüttelte Frau St. jeden Tag ein paar mal den Kopf und an Regentagen seufzte sie, wobei ihre Augen in Flur und Wartezimmer den Fußboden musterten, denn die Bauern trugen an ihren Schuhen viel Schmutz herein; zuweilen dachte sie dann dunkel und unklar an das Bild einer feinen Stadtpraxis, während ihre junge Magd den Boden fegte u aufwischte, gewöhnlich dachte sie aber gar nichts, sondern stand nur aufgerichtet dabei und machte eine tadelnde Bemerkung über die schlechten Manieren der Bauern, worauf die Magd sich geschmeichelt auf den Knien aufrichtete u. das gleiche erwiderte. Dann machten sie eifrig weiter Ordnung, die eine reglos u. wachend, die Arme über dem Magen gekreuzt, die andere eilig) eilig, beide an etwas Wichtigem und Berechtigtem beteiligt, denn in (mit) diesen schmutzigen Fußstapfen kam das Geld herein. /.. ein großer Teil des Erworbenen ../
Um diese Zeit war ihr Mann im Krankenhaus u. bei den paar Patienten des Städtchens. Gegen Abend ging man manchmal ins Kino, spazieren oder auf Besuch. Es gab einen Kegelabend u. auch genug andere Unterhaltung. Man ging mit der Zeit; nicht gerade schnell, eher so: man steht, die Arme über dem Magen gekreuzt, sieht der Zeit zu und folgt ihr mit einer kaum merklichen Bewegung des Augenwinkels; wenn sie einem entgleiten würde, geht man ihr schnell ein paar Schritte nach. Man denkt etwas verächtlich u ruhig. Man hat feste Grundsätze, weil die Unbeweglichkeit des Lebens sonst unerträglich wäre. Aber so ist sie ganz schön, hat sie einen Heiligenschein
Herr St. brauchte Fr. St. wirklich nicht zu fragen, ob sie wisse, wo er zu finden sein werde. Sie nahm die Boten u telefon. Bestellungen auf und die Wege kannte sie sogut wie seine braune Stute. Obgleich man keine Landpartien macht, wenn man mitten im Land geboren ist; aber einmal im Leben, zu Pfingsten, Ostern, am Geburts-u Namenstag war man irgendwo u. ehe man 20 Jahre alt geworden ist, überall.
Nach dem Abendbrot las man die Mediz. Wochenschrift oder die Zeitung u. gähnte. Dann kam das Gespräch auf das Haus mit der Hypothek. Oder auf die Ereignisse des Städtchens. Herr St. erzählt von einem interessanten Fall aus der Praxis. Oder er weiß, da er auch Gerichts-u Polizeiarzt ist, das Neueste an Todschlägen u. Diebstählen aus der Umgebung. Er liebt aber das Psychiatrisieren nicht sehr. Wenn es sich nicht um Idioten oder sinnlos Berauschte handelt, findet er, daß sie immer noch das Unrecht ihres Tuns hätten einsehen können u. an einem freien (anständigen) Gebrauch ihrer Willenskraft nicht ganz behindert waren. Da aber die neuzeitliche Richtung in der Medizin allerhand Konzession[en] u Faxen macht, schiebt er solche Fälle lieber in die Kreishauptstadt ab. Wenn er aber gar nichts zu berichten hat und es noch nicht halb zehn Uhr wird, so erzählt er vom Krieg. Kurz nach seinem Ende haben sie geheiratet. Und vom Krieg, wenn man ihn mitgemacht hat, kann man natürlich sehr viel erzählen. Man hat viele berühmte Personen mit eigenen Augen gesehn, von den Gefahren u Abenteuern zu schweigen.
Es ist lächerlich zu glauben, daß dieses Leben ärmer ist als das in den großen Städten. Es dauert doppelt so lang und ist doppelt so schwer an Gewicht.
Man braucht keine besondre Klugheit zum Leben, sondern nur Geste, Charakter
Im Sommer kommen die Städter zu uns, und wenn sie erst wüßten, wie schön es im Winter ist! – so sprechen die jungen Leute.
Die Wangen, die wie ein Apfel waren, werden später überrot wie ein Apfel im Herbst u. zuletzt wie ein Apfel im Winter, mit vielen Falten aber gut abgelegenem Geschmack.
Man darf nur keine Phantasie haben. Menschen, die unter diesen Verhältnissen glücklich bleiben sollen, nimmt eine gütige Fee die Phantasie aus der Wiege heraus.
Eines Tags lief das Gerücht in die Stadt, daß auf Schloß Trauneck der Gutsbesitzer, Baron .. Baillon ermordet worden sei, und bis zum Abend war das Gerücht bestätigt; eine Magd hatte die von einem Schuß ins Gesicht niedergestreckte Leiche, welche bei dem warmen Frühlingswetter schon stark in Fäulnis übergegangen war, auf einem leeren, abseits stehenden Speicher gefunden; des Barons eigenes Gewehr und eine ausgeschossene Schrothülse lagen daneben. Man dachte anfangs an Selbstmord oder einen Unglücksfall. Aber es gibt Beobachtungen, von denen jede einzelne so geringfügig ist, daß sie niemand erzählen will, und doch sind es ihrer so viele u. geheimnisvoll zusammengestimmte, daß eine Behauptung von Mund zu Mund zu gehen beginnt, an die noch keiner glaubt, obgleich jeder ein wenig zu ihr beiträgt. So war vom ersten Augenblick an unter dem Gesinde die Erzählung entstanden, der Baron sei von einem Fremden getötet worden; nicht begründeter war es zu Beginn als die Unruhe, welche Vieh vor einem Gewitter erfaßt, aber bis zum Abend hatte die Gerichtskommission Anzeichen gefunden, welche auch in diese Richtung wiesen.
Am nächsten Morgen erfuhr man in der Stadt, daß der Verdacht auf den fremden Arbeitern ruhe, welche das Schloß ausbesserten. Das war sehr verständlich, aber schon beim Mittagsbrot erfuhr man den Widerruf, denn die Fremden hatten ihre Unschuld einwandfrei erwiesen. Ebenso erwiesen sich die Verhaftungen, welche die Landjäger da und dort an Landstreichern u. fremden Durchzüglern Vornahmen, als unhaltbar. Man stand völlig im Dunkeln.
Der Baron hatte nur 2 Tage am Gut bleiben wollen, um die Arbeiten zu besichtigen, drei war er geblieben, am Abend des dritten war er ermordet worden. Man fand in seiner Brieftasche ein Telegramm der Baronin, das besorgt nach seinem Ausbleiben fragte; dieses Portefeuille war durchwühlt, ebenso die Taschen der Kleider, aber scheinbar fehlte nichts daraus und es war der Mörder gestört worden. Herr B. war ein ruhiger Mann in den Fünfzig; er verbrachte mehrmals im Jahr einige Wochen auf seiner Besitzung, um zu jagen u. die Wirtschaft zu beaufsichtigen. Man verkehrte mit seinem Förster u. seinem Verwalter, und ein oder zweimal im Jahr wurden die Standespersonen des Bezirks einer großen Jagd zugezogen. So hatte schon sein Vater gelebt. Man erfuhr nicht viel von den B’s; sicher seit mehr als 100 Jahren gab es sie auf Trauneck, ein fremder Fels, der einmal hier liegen geblieben u von heimischem Moos überwachsen worden war; man kümmerte