Robert Musil

Gesammelte Werke


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man nur mit viel Übung an den spärlich auf die gegenüberliegenden Gesimse tropfenden Lichtflecken erkennen – der Held spielte mit der Scheere, die er auf seinen Daumen u Zeigefinger gesteckt hatte, u. sah nachdenklich dem Frl A. zu, das vor kurzem einen dicken Stapel von eingeklebten Zeitungsausschnitten auf seinen Tisch gelegt hatte.

      Ob auch ihre Körperhaare hellbraun sind wie die Augenbrauen? – dachte er – Man behauptet doch, daß das bei allen Menschen übereinstimme. – Es beunruhigte ihn, mit diesem Mädchen in einem abgelegenen von trüber Langweile erfüllten Zimmer zu sein, worin alle ihre Bewegungen glitten wie Fische in einem Aquarium.

      Frl A. war im manipulativen Dienst irgendwelcher Gesandtschaften gestanden, ehe der Krieg kam u alles dann anders wurde. Sie hatte in Paris u. London gelebt. Wenn man annahm, daß sie mit 17 Jahren im Jahre 1913 in den diplom. Hilfsdienst eingetreten sei, so müßte sie jetzt (1928) 32 Jahre alt sein u. das mochte stimmen. Sie konnte aber ebenso gut 26 Jahre alt u. erst nach dem Umsturz eingetreten sein. Er hatte sie nie danach gefragt. Sein Verhältnis zu ihr war schwierig. Sie hatte ein hübsches etwas überschärftes Gesicht mit grauen Augen, die nicht zufrieden waren. Man konnte meinen, daß sie jemanden heiraten wollte, der Schwierigkeiten machte. Oder ebensogut, daß sie mit ihrer Mutter lebe u. kein Verhältnis habe. Sie war sehr schlank u. ziemlich hoch gestreckt, mager u. weich, mit langen Händen, die gern ein wenig vornehm taten. Man merkte, daß sie ihren Chef aus Grundsatz mit Zurückhaltung behandelte. «Worauf wartet sie?» – dachte er. Da sind wir nun tagaus tagein in dieser Höhle beisammen; ganz unnatürlich ist es. Wir könnten den ganzen Tag Dinge tun, die mehr Spaß machen als Zeitungsausschnitte. Sicher denken wir beide daran wie die Stummen.

      Frl. v. B. seine zweite Gehilfin betrat das Zimmer. Welch ein Schritt, sie hatte Männersohlen; er konnte ihren Schritt von anderen unterscheiden, noch ehe sie das Vorzimmer betrat. – Schwer zu sagen, wie man das macht, – dachte er – Sie geht wie ein seelenloser Körper. Dabei hat sie sehr viel Seele. Sie weiß aber, wie häßlich sie ist. Das ist es. Sie geht wie ein häßlicher Körper, der auf alles Spiel verzichtet hat. Er fürchtete, daß Frl v B. ihn liebte. Sie sah ihn immer ernst an u. bemühte sich nicht im geringsten, ihm gefällig zu sein, obgleich sie ihren Dienst mit unübertrefflicher Pünktlichkeit versah. – Ah, vielleicht sieht sie mich bloß so sonderbar an, weil sie kurzsichtig ist – dachte er. Sie hatte einen kleinen Blähhals über dessen Knoten eine geschwollene Ader lief. Man konnte die Schwellung aber auch für Form ansehen, ein etwas ausgebauchter Stein, in den eine Schlange gemeißelt war; dann war sie sehr schön Sie stammte aus sehr guter Familie u. hatte das diplomatische Sprachexamen abgelegt. Sie versah den Dienst im Zeitungsausschnittsarchiv seit undenklichen Vorkriegszeiten, u. ihr Gedächtnis ersetzte eine Generation von Vorständen.

      Zeitungsausschnittsarchiv, ja so lautete die Bezeichnung für dieses verächtlich untergebrachte Hilfsamt.

      Beschreibung dieses Dienstes.

      Wie hineingekommen – Aufwachen mitten in einem wüsten Traum –

      Gräßlich vor dem Chef zu stehen Oder der Hilfsämterdirektor mit seiner Talmifreundlichkeit – erinnert zu werden an die eigene Bescheidenheit –

      Ich werde ihm einmal diese Scheere in den Bauch rennen.

      Kurz vor der Heilung [?]: Er heiratet Frl. v. P.

      Wochenlang trainiert er sich darauf, sich die Umarmung nur mit häßlichen Frauen vorzustellen; er kann schon gar nicht mehr vortragen. Das ausführlich erzählen.

      Dann aber ist Frl v P. natürlich ein Mensch mit Ansprüchen, Sentiments usw., u. noch dazu ist er gesund u. sieht das Verrückte seiner Handlungsweise ein. Er ist abgebaut u. z T. auf seine Frau angewiesen. Ungefähr im Alter der Generation Fontana, macht er nun die Versuche, sich eine Stellung zu schaffen.

      Monolog eines Geistesaristokraten

[Um 1925]

      Es gibt kaum eine Behauptung, die verständiger klingt als die, daß die geistig Besten uns – die übrigen, das Volk – regieren sollten; das ist so einleuchtend wie daß die dicksten Menschen die größten Portionen essen müssen. Der geistige Adel hat vor dem alten Adel überdies das voraus, daß man ihn sich selbst zusprechen kann. Es ist also nicht zu verwundern, daß so viele Menschen heute gegen die zersetzenden, gleichmachenden Wirkungen des Sozialismus sind und sich eine geistige Aristokratie an der Herrschaft wünschen, denn das ist das Wort, das man dafür in Redegebrauch genommen hat. Am besten spricht für die Sache, daß selbst dicke Bürger, welche immer die Erde für einen runden Stammtisch angesehn haben, sich heute durch die Verhältnisse dazu gezwungen fühlen.

      Ich bin auch darunter.

      Böse Gegner behaupten freilich, daß die wirklich großen Geister, wenn sie uns folgen und die Leitung des «Volks» übernehmen müßten, so wenig wüßten, wie sie herrschen, als wie sie einen Besen oder einen Seilknoten machen sollten, weil sie ganz andere Interessen haben als politische.

      Aber dem liegt ein großes Mißverständnis zugrunde. Man muß sich die Sache nur einmal richtig vorstellen. Wie würden z. B. die geistig Besten erkannt werden? Nun, man würde natürlich Prüfungen veranstalten. Matura, Doktorat, Lehramtsprüfung udgl. Wer diese Prüfungen abgelegt hat, braucht nicht in die Fabrik zu gehn, sondern käme in eine entsprechende angenehme Stellung, von wo es dann mit den Jahren automatisch ein gutes Stück weiter geht. Ein Maturant bringt es bis zum Kanzleidirektor, ein Doktorand bis zum Ministerialrat, wenn nicht etwas dazwischen kommt. Und nun denke man nach: Würde sich da soviel ändern? Man müßte allerdings für die höchsten und leitenden Stellen oder für raschere Vorrückung besondere Vorkehrungen treffen. Aber auch das ist nicht schwer. Man muß sich nur fragen: wie wird man denn heute Universitätsprofessor? Man muß etwas können und geleistet haben, doch das ist lange nicht das Schwerste, denn für jeden freien Platz werden immer drei Gelehrte vorgeschlagen, woraus man sehen kann, daß die Eignung für die Professur dreimal so billig ist wie die Professur für die Eignung. Die entscheidende Eigenschaft ist daher erst, daß man die besseren Verbindungen hat. Dann wird man geistiger Hocharistokrat. Und auch in der Bürokratie kommt man vorwärts, indem es heißt, daß man ein gescheiter Mann sei, was sich an der bürokratischen Tätigkeit schwer kontrollieren läßt. Weshalb sollte man nicht auch in der Zukunftsgesellschaft diese Art Auslese beibehalten? Nicht anders steht es heute mit den großen Geistern der Dichtung. Wer einen Kohl schreibt, den jeder schluckt, findet viele Leser, und wer viele Leser hat, ist ein großer Mann; denn wer viel verdient, bringt andre ins Verdienen, die ihn loben und achten. Wir haben also schon heute auf diesem Gebiet ein sozusagen allgemeines Wahlrecht der Autoritäten und eine nahezu ungarische Wahlkorruption.

      Vielleicht wird man in der Zukunft in Sachen des gesellschaftlich bestätigten geistigen Adels, so wie es mit dem kaiserlichen war, etwas mehr mit Geld richten können, aber im allgemeinen ist dieses Zukunftsbild gar nichts anderes als der Zustand, in den man den Geist heute schon versetzt hat. Der Vorwurf der Utopie ist, wie ich gezeigt habe, also völlig unberechtigt. Das einzige, was ich daran augenblicklich selbst nicht verstehe, ist bloß, was mir dann eigentlich an dem jetzigen Zustand nicht recht ist. Vielleicht habe ich mich da zu einer Ungerechtigkeit hinreißen lassen, die einem geistigen Aristokraten nicht wohl ansteht.

      Über Fürsten-und Strassennamen

[Um 1925]

      Gewiß ist es manchem schon aufgefallen, daß die Fürsten, indem sich die Weltgeschichte an die Gegenwart annäherte, nur noch Nummern bekommen haben. Der Erste, der Zweite waren sie bei ihren Lebzeiten, und nach ihrem Tode blieben sie es auch oder erhielten ohne Abwechslung das Beiwort der Große, das ja ebenfalls metrisch ist. Allerdings hatten sie römische Zahlzeichen, die immer etwas geheimnisvoll aussehen. Trotzdem würde sich das heute nicht einmal ein junger Mann gefallen lassen, und sein Mißtrauen würde sofort erwachen, wenn ihm sein Mädchen, sei es in römischen, sei es in arabischen Ziffern, zuflüsterte: «Du bist der vierte Erich!» In der Liebe des Volks zu seinen Fürsten ging das aber bis gegen den Vierzigsten.

      Es spricht eben viel dafür, daß sich in einer solchen Aufzählung Dinge ausdrücken, die nicht sein sollen. Und als das Königtum noch eine lebendige, den Menschen am Herzen liegende Einrichtung war, wurden die Könige, wie man sich wohl aus der Schule noch dunkel erinnern wird, auch wirklich anders genannt; sie hießen damals der Kahle und der Lahme,