Robert Musil

Gesammelte Werke


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der größten Reize des Sports. Im Augenblick der Ausführung springen u fechten dann die Muskeln u Nerven mit dem Ich, nicht dieses mit ihnen, u sowie nur ein etwas größerer Lichtstrahl von Überlegung in dieses Dunkel gerät, fällt man schon aus dem Rennen. Das ist aber nichts anderes als ein Durchbruch durch die bewußte Person, eine Entrückung.

      Noch erheben unsere Sportsleute nicht den Anspruch, heilig gesprochen zu werden. Wenn sie es aber einmal tun sollten, wären ihren Wortführern diese Beobachtungen sehr zu empfehlen.

      Das Wohlgefühl für Genies zu gelten, haben sie beinahe schon hinter sich.

      Es ist schon recht lange her, daß man zum ersten Mal in einer Zeitung das Wort «das geniale Rennpferd» hat lesen können, und ich glaube, es ist auf Grund einer Verwahrung geschehen, die ein Rennverein bei dem Sportredakteur damit begründete, daß von manchen Fußballspielern oft gesagt werde, sie seien Genies des «Grünen Rasens», was den Pferden etwas vorenthalte, das auch ihnen zukäme.

      Und dieser Reiterverein hatte recht. Vordem hatte man nur von genialen Entdeckern, Tenören oder Schriftstellern gesprochen; das war in der Zeit, wo man sich noch an einem vagen Idealismus beduselte, ehe man sachlich wurde. Es hat sich dann herausgestellt, daß man gar nicht wußte, ob diese Genies wirklich genial gewesen seien. Wie will man das auch zum Beispiel bei einem Schriftsteller entscheiden?! Alle Schriftsteller haben Rezensionen, worin es ihnen versichert wird. Manche haben mehr davon, aber das beweist, sagen ihre Gegner, geradezu schon ihre Trivialität. Will man also genau sein, so wird wohl nichts übrig bleiben als den Begriff des Genies psychotechnisch zu normen. Sein Hauptbestandteil ist das Unvergleichliche und dieses läßt sich natürlich auf Geschwindigkeiten, Muskeln, körperliche Treffsicherheit udgl. viel eindeutiger anwenden als auf geistige Leistungen. Andere Bestandteile, wie Kampfmut, Genauigkeit der Arbeit, Ehrgeiz, Konzentration, Wendigkeit, richtige Kombinationsgabe vor auftauchenden Hindernissen das heißt Urteilsfähigkeit und Assoziationsgeschwindigkeit finden sich in Brust u. Gehirn eines genialen Rennpferdes genau so entwickelt wie in denen eines Dichters. Die eindringende Psychotechnik wird nur einen einzigen Unterschied bestehen lassen: den der Zusammenfassung dieser Fähigkeiten zu der Art der Leistung und der Person. Aber unter den Leistungen sind es heute schon die körperlichen, die fast allen Menschen Vergnügen machen, was man von den geistigen nicht sagen kann, und was die Personen angeht, so hat man sich eben von den menschlichen zu den pferdlichen gewandt, weil man über die ersteren nicht einig werden konnte. Ich glaube, die Pferde werden es bald satt haben, Semiramis und Charlemagne zu heißen oder höchstens es beibehalten, um einen Pferdekalender zu stiften, nach dem man unsere Enkel benennen kann.

      Es ist das Wunderbare, daß man wie ein Pferd ist; aber man soll nicht glauben, dies sei der Übermensch

      Ich darf das Verlangen nach einer philosophischen Begründung der Jetztzeit, wenn es auch wahrscheinlich überall vorhanden ist, doch nicht zu sehr ermüden. Darum zum Schluß nur noch einige kurze Bemerkungen:

      Es ist einseitig, wenn man immer nur schreibt, daß der Sport zu Kameraden mache, verbinde, einen edlen Wetteifer wecke; denn ebenso sicher kann man auch behaupten, daß er einem weit verbreiteten Bedürfnis, dem Nebenmenschen eine aufs Dach zu geben, oder ihn umzulegen entgegenkommt, dem Ehrgeiz, der Überlegene zu sein, und überhaupt eine grandiose Arbeitsteilung zwischen Gut und Bös der Menschenbrust bedeute. Es mag schon so sein, daß zwei Boxer, die sich gegenseitig wund schlagen, dabei füreinander Kameradschaft empfinden, aber das sind zwei, und Zwanzigtausend schauen zu und empfinden ganz etwas anderes dabei. Wahrscheinlich ist aber gerade das Zuschauen von einem Sitzplatz aus, während andere sich plagen, die wichtigste Definition der heutigen Sportsliebe, und diese wird immer vernachlässigt. Das gleiche ist im verkleinerten Maßstab auf den Sportplätzen der Fall.

      Man nennt, die sich plagen, die Heroen. Und das hat man immer getan. So ist man vom Geist (der Moral) auf den Sport gekommen, u wenn er es nicht anders macht, werden die Sportleute bald wieder nur für Narren gelten wie die Dichter.

      Randglossen zu Tennisplätzen

[1925/26 oder später]1.

      Wie lange mag es her sein, daß dieser Sport sich einzubürgern begann? Vielleicht 25 Jahre. Damals galt es für etwas sehr Gewagtes, daß die jungen Mädchen stundenlang allein mit den jungen Männern spielten. Die jungen Männer waren in Hemdsärmeln, manche trugen sogar keine Krawatte und erlaubten sich den obersten Hemdknopf zu öffnen, so daß man nicht sicher war auf den Anblick von Brusthaaren zu stoßen. Die jungen Mädchen behaupteten, daß man im Mieder schlecht spiele, weigerten sich, mehr als einen Unterrock zu tragen und behaupteten in ihrem Eifer, daß ihre Gegner auf den Ball achten würden, aber nicht auf ihre beim Lauf schwankenden Brüste.

      Ich bin dieser Tage nach langer – freilich nicht so langer Zeit zum erstenmal wieder auf einen Tennisplatz gegangen. Irgendetwas beunruhigte mich; ich kam gar nicht gleich darauf; endlich begriff ich, daß ich lange keine so angezogenen Damen gesehen hatte. Als ob ich in die Zeitmaschine geraten und um Jahre zurückgedreht worden wäre. Das waren solide Leinen oder Flanellröcke, die weit unter die Knie, bis unter die Hälfte der Wade reichten und durch viele Plisseefalten noch undurchsichtiger wurden, als es schon ihrem soliden Stoff entsprach, und die Ärmel waren zwar an den Schultern weggeschnitten, aber so dezent, daß man selbst beim Service nicht die Haare unter den Achseln sah. Eine bekannte deutsche Spielerin hatte herrlich gebräunte Arme und Beine von der gleichen Farbe, die in kurzen Söckchen stacken; es war am ersten Tag des Turniers die große Sensation, nach der einer der Zuschauer den andern fragte, ob diese Beine nackt seien, aber gegen Abend war es entschieden, daß diese hübsche Dame raffinierte Strümpfe trug. Sie trug auch große Ohrringe, die bei jeder heftigen Bewegung neben ihrem Gesicht baumelten. Nicht groß und etwas breit gebaut, erinnerte sie in der diskretesten Weise an ein schönes Südseemädchen, hüpfte kannibalisch auf beiden Beinen von einer Seite zur andern u hob das Knie gegen die Nase bei jedem starken Schlag, den sie führen mußte. Überhaupt kommt der unsportliche Beobachter beim Spiel der Damen zu lohnenden Eindrücken. Diese heftigen Bewegungen, welche ein scharfer Schlag, gespannte Aufmerksamkeit u. rascher Start der Beine hervorrufen entkleiden den Körper sozusagen durch Betonung seiner Kinetik und Vorführung seiner anatomischen Funktion. Das ist so stark, daß es selbst durch Automobilpelze dringen würde. Dennoch ist die Dezenz der Kleidung fast ebenso stark, und das Kompromiß, welches entsteht, ist voll spannender Andeutung und das Herz quälender Verschleierung. Zu einer Zeit, wo jede bessere Berliner Familie einen nackten Gauguin oder Pechstein im Speisezimmer hängen hat, wo die jungen Mädchen in Hosen reiten, bergsteigen, radfahren oder gar in Ärmel-u Hosenlosen Badetrickots auf dem Pferderücken sitzen, berührt das wie ein Hauch entschwundener Entzückungen, fast wie ein Menuett auf einer alten kleinen Spieldose, und ist zumindest so, wie wenn alte Herren sich an die vielen Gasflammen erinnern, welche im Zirkus brannten, und an die dicken, aprikosenroten Trickots, welche erst über den Knien von den schwankenden Gazeröckchen verdeckt wurden.

2.

      Ich habe Froitzheim im Jahr 1914 spielen gesehn. Ohne Absicht; ich kam zu einem kleinen Turnier, und da spielte gerade ein junger Mann, der mir im ersten Augenblick durch nichts Besonderes auffiel. Nachdem ich eine Weile zugesehn hatte, kam mir, ich möchte sagen: eine ungeheure Langweile dieses Spiels zu Bewußtsein, ohne daß ich mich selbst langweilte. Es fiel mir geradezu dadurch auf, daß es mich, den Zuschauer lähmte ohne mich fortsehn zu machen, und nach abermals einer Weile hatte ich begriffen, daß dieser Spieler vor mir ein Genie der Langweile war. Das war Froitzheim. Ich kenne nur ein einziges mit diesem Eindruck verwandtes Beispiel, einen seinerzeit sehr berühmten deutschen Roman. Der Ball Froitzheims ging mit der Regelmäßigkeit eines Pendels in einem so hohen Bogen über das Netz, wie man ihn an guten Spielern nicht gewohnt war, was dem Spiel etwas scheinbar Weiches u Unbedeutendes gab, aber er traf mit der gleichen Regelmäßigkeit immer die Grundlinie, keine Handbreit davor noch dahinter, traf sie gewöhnlich an einer Stelle, zu welcher der Gegner erst hinlaufen mußte, kehrte nach den gefährlichsten Schlägen des Angreifers immer wieder zurück, und wenn man genauer zusah, bemerkte man, daß der scheinbar in gemächlichem Bogen fliegende Ball einen enormen Druck hinter sich hatte und eine lebendige Kraft in sich barg, die ihn unaufhaltsamer vom Boden auf-und davon schnellen machte als die eindrucksvollsten Bälle anderer. Damals war F., wenn ich nicht irre, einer der Anwärter auf die Weltmeisterschaft.

      Als ich ihn jetzt wiedersah, war er vielleicht nicht