Robert Musil

Gesammelte Werke


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Staatsmänner u ähnliche hervorragende Persönlichkeiten wenden, damit sie auch ihre Namen an die Spitze stellen, und wenn wir soweit sind, kann ich mich verbürgen, daß wir auch das Geld aufbringen. Wieviel verdienen Sie übrigens monatlich an Ihren Gedichten, Meister?»

      Der Meister berechnete schnell im Kopf, daß er während der 30 Jahre seines lyrischen Schaffens 1053 Mk 27 Pfn. eingenommen habe. «Das ist kein Hindernis» sagte Emporius Aber der Meister teilte noch mit, daß er auch Zeitungsaufsätze schreibe u eine Stellung als Lektor bei einem Verlag einnehme, was ihm 500 M. monatlich einbringe. «Sie werden natürlich fast Ihre ganze Zeit verlieren, u ich bin gern bereit» E. berechnet gleichfalls schnell, «Ihnen die Hälfte Ihres Einkommens zu ersetzen» erklärte Emporius energisch, «solange Sie gemeinsam mit mir arbeiten.»

      So bekam der berühmte Lyriker 250 M. monatlich aus dem Zigarrenbudget seines neuen Freundes, aber die Schecks waren auf ordentlichem Firmenpapier ausgestellt, denn die beiden hatten auf Wunsch des Dichters der nicht weniger kaufmännisch sein wollte als sein Partner lyrisch einen regelrechten Vertrag für 4 Monate geschlossen.

      Nach Ablauf dieser 4 Monate waren die 11 großen Dichter gewonnen, der bekannte Lyriker war auf den Gesellschaften die Emporius gab, unzähligen Menschen vorgestellt worden, er hatte Besuche bei allen Führern der Politik u Finanz, des Zeitungswesens und der Gesellschaft (Vornehme Welt) gemacht u. überall erzählt, wie Herr Emporius ein neues Zeitalter der Gedichte in Deutschland emporrufen wolle. Aber als es so weit war und nun Herr Emporius sein Werk mit den 360000 M beginnen sollte waren gerade zwischen Himmel und Seidenstrumpf allerhand wertvolle Handelsartikel ins Sinken geraten, u. Emporius erklärte, daß er augenblicklich nicht einmal für seine Person 40000 geben könnte, wogegen man einem berühmten Dichter doch viel mehr Entgegenkommen erweise, und dieser möge es also doch noch einmal selbst versuchen.

      Was tut ein berühmter Lyriker in solchem Fall? Das ist wohl verschieden; es gibt auch Lyriker, die sich bei Geschäftsgründungen sehr gut bewähren, aber dieser verzichtete und schrieb sein erstes Gedicht seit langer Zeit. Und damit wäre diese Geschichte zu Ende gewesen, wenn nicht die Gerechtigkeit des Schicksals den leichtsinnigen Mann ein Jahr später aufs Krankenlager geworfen hätte, so daß sie ihn in schwere Not brachte. Freunde sammelten für ihn, der nun wieder sein Durchschnittseinkommen von 2,92 Mk monatlich hatte, sofern er sich zu der Stimmung aufraffte, Gedichte zu machen, und diese Freunde wandten sich auch an E., der inzwischen eine allgemein anerkannte Stellung als Förderer der Künste eingenommen hatte. E. empfing sie mäzenatisch, setzte sie unter eine Bilderhecke [?] usw. u. erläuterte ihnen, daß er sich nicht verpflichtet fühle, für den Dichter etwas zu geben, da er ihn bereits ganz allein durch 4 Monate unterhalten habe. Aber die Freunde gingen, da der Vorrat an Menschen, die Geld für etwas übrig haben könnten, das sie nicht unmittelbar angeht, nicht groß ist, auch zu K. K empfing sie in seinem Herrenzimmer vor einer Wanddekoration mit Reitpeitschen u Hufeisen u erläuterte ihnen ebenfalls, daß er nicht verpflichtet werden könne, für den Dichter etwas zu tun, da er sich nichts aus Gedichten mache und trotzdem schon durch 4 Monate für die Existenz dieses Lyrikers aufgekommen sei. Als dieser das hörte, wurde er vor Zorn gesund – was beweist, daß man über die Handlungsweise anderer Menschen nicht vorschnell aburteilen soll – u. begab sich zu Empor., um ihn zur Rede zu stellen. «Was wollen Sie von mir?» fragte ihn dieser. «Daß Sie solche Behauptungen unterlassen!» rief der Dichter unvorsichtig. «Wenn es sonst nichts ist, gern; Sie sind ein empfindlicher Mensch!» sagte E. mißbilligend. Der Dichter begab sich zu K. «Sagen Sie mir um Gottes willen, wie kommen Sie dazu, eine solche Lüge zu behaupten?!» fragte er den, den er kaum kannte, denn die beiden Sozii verkehrten außergesellschaftlich schon lange nicht mehr miteinander. K. berief sich höflich darauf, daß durch irgendeine Form der inneren Verbuchung die Cheks die gemeinsame Firmenbezeichnung trugen. «Aber was geht das mich an?!» fragte der Dichter. «Nein, das geht Sie eigentlich nichts an» räumte K ein «aber es ist doch so.» «Ich verlange von Ihnen, daß Sie solche unwahre Behauptungen unterlassen!» sagte der Lyriker. «Sonst verlangen Sie nichts? Sie sind ein komischer Mensch» gab ihm K. erleichtert zurück.

      Damit wäre nun eigentlich diese Geschichte zu Ende, wie einer, der keinen Mäzen hatte, gleich zwei fand. E. u K. blieben weiter miteinander böse, und wenn seither einer vom andern etwas Übles sagen wollte, so erzählte er: «Dieser Verschwender hat einmal ein Vermögen für die Förderung von Gedichten ausgegeben!»

      Aphorismen

      Notizen

[17, November 1935]

      Zum Begriff des Genies. Man hätte nicht sagen sollen, das Genie sei um hundert Jahre seiner Zeit voraus. Es hat die Leute sehr geärgert, das zu hören, und hat sie gegen das Geniale aufgebracht. Auch hat es Narren gezüchtet und unterstützt. Und es ist nicht einmal wahr, wenigstens teilweise nicht; denn gerade die genialen Personen stellen den Geist ihrer Zeit dar, wenn auch wider deren Willen und Wissen. Es wäre wahrscheinlich richtiger und erzieherischer zu sagen, daß der Durchschnitt der Menschen um hundert Jahre hinter seiner Zeit zurück sei.

      Ein neuer Geist ist da? Es ist noch nicht lange her, daß diese Behauptung bloß ein Schlagwort von Künstlergruppen gewesen ist; heute bildet sie den Stolz von gedrillten Massen. Da möchte man wohl sagen: Geist bleibt immer das gleiche, auch noch in seinen Widersprüchen; aber die Lebenden haben bald mehr, bald weniger von ihm!

      Der Held braucht Verhängnis und Unglück, um sich beweisen zu können. Not und Held gehören zusammen wie Krankheit und Fieber.

      Viel von sich selbst zu reden gilt als dumm. Dieses Verbot wird von der Menschheit auf eigentümliche Weise umgangen: durch den Dichter!

      Die Menschheit gestattet sich überhaupt gerne in Ausnahmen, was sie sonst verbietet. So gilt es zum Beispiel als ein Zeichen schlechten Geschmacks, wenn nicht als eines der Dummheit, daß sich ein Mensch selbst lobt; wo Menschen aber als Masse, Partei, Glaubensgemeinschaft, Nation und ähnliches verbunden auftreten, loben sie sich schamlos. Sie loben sich, sobald sie «wir» statt «ich» sagen dürfen. Nur wir haben den rechten Willen, sind von Gott erleuchtet oder von der Geschichte berufen, ist noch das wenigste, was sie vorbringen; und sie halten das nicht nur für erlaubt, sondern noch für ein gutes Zeichen!

      Bezeichnenderweise gilt in Zeiten, wo das überhandnimmt, der Dichter als überflüssig oder als Schwächling.

      Eine recht beachtenswerte Skala ist diese: Er ist ein gescheiter Mensch, gilt als unbedingtes Lob. Er ist ein guter Mensch, gilt auch als Lob, aber manchmal doch mit einer leichten Einschränkung in der Richtung: gut gleich dumm. Er ist ein intelligenter Mensch – was doch soviel heißt wie: ein einsichtsvoller – hat dagegen schon lange vor Erfindung der «Intelligenzbestie» in manchen Kreisen als verdächtig gegolten; siehe zum Beispiel den «Intelligenzler» und «Westler» bei Dostojewski. Wir bewerten also: Lieber schlecht als dumm, aber: Lieber gut als intelligent. Wozu bemerkt werden muß, daß dieses zutiefst gestellte Intelligentsein gerade die Klugheit umfaßt, die lieber schlecht sein will als dumm. Der Fall ist also verwickelt.

      Sonniger Schriftsteller: Er lobt sich nicht selbst, aber er lobt die Güte des Herrn, die ihn geschaffen hat. Das ist seine Form der Eitelkeit.

      Die Jugend überschätzt das Neueste, weil sie sich mit ihm gleichaltrig fühlt. Darum ist es ein zweifaches Unglück, wenn das Neueste zu ihrer Zeit schlecht ist.

      Publikumserfolg: Man sollte meinen, daß es schwerer sei, das Bedeutende zu erkennen, als, wenn es einmal erkannt ist, das Unbedeutende von ihm zu unterscheiden. Die Kunsterfahrung, und wohl auch die allgemeine, lehrt aber immer wieder das Gegenteil, daß es beiweitem leichter ist, eine Anzahl Menschen auf das Bedeutende zu einen, als sie davon abzuhalten, bei erstbester Gelegenheit das Unbedeutende mit ihm zu verwechseln.

      Angewandte Dichtung: Es gibt «angewandte» Wissenschaften, die sich von den ihnen zugrunde liegenden «reinen» in vielem unterscheiden, aber auch Wissenschaft sind; so eine Angewandte Mathematik, eine Angewandte Psychologie und die technischen Wissenschaften. Nicht mit gleichem Recht gibt es aber auch eine Angewandte Dichtung. Zu ihr gehören alle die Dichter, die sich als Verkünder und Verbreiter einer Weltanschauung und Weltgestaltung fühlen, die nicht von ihnen selbst stammt. Ferner, um viele Stufen tiefer als sie, alle die, die wirken, das Publikum finden, sich dem Theater anpassen