Pflichten, weil ihr nie der Gedanke gekommen war, daß es möglich sei, sie nicht zu tun, und keine Vorstellung eines anderen Lebens sie beunruhigte. Sie tat sie ohne Liebe und ohne Abscheu, als etwas Selbstverständliches.
Aber so klar und geregelt dieses ihr Leben dahinfloß, wie ein helles stilles Wasser, es erschien ihr dennoch wie etwas Undeutliches. Die Tage gingen einer wie der andere dahin und eines gleich dem anderen kamen die Jahre und sie fühlte wohl noch daß ein jedes ein wenig hinwegnahm u etwas hinzutat und daß sie sich langsam in ihnen änderte, aber nirgends setzte sich eines klar von dem anderen ab. Sie hatte ein unklares, fließendes Gefühl von sich selbst, wie wenn sie sich betasten wollte und nur ungefähre u verhüllte Formen fände, geheimnisvoll wie man unter einem Tuche etwas sich bewegen fühlt ohne es zu erkennen.
Selbst von den Veränderungen ihres Körpers hatte sie nur dieses undeutlich u gehemmt murmelnde Gefühl. Ihre kleinen Brüste einst waren spitz und hart und neugierig rotgeschnäbelt gewesen und sie waren es nicht mehr; sie hatten sich schon ein ganz klein wenig gesenkt und waren ein bischen so traurig wie zwei liegengelassene Papiermützchen auf einer weiten Fläche, denn der Brustkorb hatte sich flach in die Breite gestreckt und das sah aus, wie wenn der Raum um sie davongewachsen wäre. Aber sie wußte das nicht, wie man es sonst weiß, denn sie sah nie in den Spiegel, wenn sie nackt war, – im Bade oder beim Umkleiden – weil sie dabei nur das tat, was eben zur Sache gehörte. Und trotzdem wußte sie es. Es kam ihr manchmal vor, wie wenn sie sich früher in ihre Kleider hätte einschließen können, ganz fest und nach allen Seiten, während sie sich jetzt nur mit ihnen bedeckte, u zuweilen schien ihr als könnte sie sich, wenn sie ganz allein war, vorsichtig von innen her befühlen und ihr war dabei, als ob das früher wie ein runder, gespannter Wassertropfen gewesen sein mußte, während es jetzt wie eine kleine weichgeränderte Lacke war. Ganz breit und schlaff und spannungslos war dieses Empfinden, das sie von sich hatte. Und es wäre wohl überhaupt nichts wie Trägheit und müde Lässigkeit gewesen, wäre hier nicht wieder etwas Merkwürdiges dabeigewesen, hätte sie sich nicht dabei so ganz sonderbar bei sich selbst gefühlt, wie wenn sich etwas unvergleichlich Weiches in tausend zärtlich vorsichtigen Falten ganz, ganz langsam von innen her an sie schmiegen würde u. so als ob die Verwüstung, die sie dunkel fühlte eine traurige Zärtlichkeit bedeuten würde.
Früher wenn ihre Freundinnen heirateten, dachte sie wohl auch daran wie junge Mädchen denken, und an Küssen und Beisammensein, aber schon damals nie so wie an etwas, das auch für sie in jedem Augenblicke wirklich werden könnte, weder mit Ungeduld noch mit Verzichten oder auch nur wie an ein Geschehen, zu dem man irgend etwas tun konnte. Jetzt aber dachte sie nicht einmal mehr so daran; wenn ein Mann in dieser Weise in den Kreis ihres Lebens trat, so empfand sie ihn zwar ein bischen stärker als sonst, aber das hob ihn doch nur so ganz wenig aus den andern hervor, mit einer Sehnsucht, die nur so leise und verworren sinnlich war wie das unbestimmte, wehe Ziehen im Schoß vor den wiederkehrenden Tagen. Wenn es sie aber losließ und außen alles wieder nur glatte, gleichgültige Fläche war und innen alles vorbei, dann war es, wie wenn in die leergewordenen Stellen nun sie selbst hineinströmte, und dies war der Augenblick, den sie eigentlich liebte. Sie fühlte sich dann in ihrem trägen Gehenlassen und Nachschauen ganz warm und nah und eingehüllt in sich selbst wie in einen großen schweren Mantel, der sie begrub, und bei jedem Versuch, ihn abzuschütteln, ihre Bewegungen erstickte; sie duckte sich schließlich ganz heimlich unter ihm zusammen und empfand eine merkwürdige Zärtlichkeit für sich wie für ein verstecktes, ungewisses Geschöpf. Wenn jemand sie schalt und wegen ihrer Teilnahmslosigkeit träge nannte, konnte sie aus sich heraus wie aus weichen Betten auf ihn schauen und ihm fast dankbar sein, weil er sie nur noch tiefer und schwerer hineindrückte. Die Welt und die Männer erschienen ihr dann wie etwas sehr Weites und es war ihr, als sei sie aufgespart um vorher etwas in sich zu suchen, das einmal da war und noch irgendwo sein und wiederkommen mußte. Und sie ging durch die Jahre in ihrer dunklen, unbestimmten Zärtlichkeit dahin, wie eine Glocke, die ruft und ruft und keiner weiß wozu und sie wußte es auch nicht und fühlte nur, daß etwas in ihr tiefer und tiefer klang.
Und während Veronika noch über all dies nachdachte, hörte sie plötzlich das Haustor gehen, hörte das Ächzen der hölzernen Treppe und fühlte ihr Herz. Sie hatte gewartet.
Wie das Reglose selbst kauerte Veronika auf ihrem Stuhl und drückte sich in das Dunkel, während ihr geistlicher Freund wie ein großer leidenschaftlicher Schatten das Zimmer auf und abschritt; er versank und dann sah sie ihn noch etwas entfernt triefend vor Finsternis wieder auftauchen und nahe vor ihr, unter dem Fenster war er in einem zitternden, grauen Nebel von Augenblick ganz sichtbar; … seine Stimme klang weit und kam nahe, klang nahe und sank wieder ins Weite … –
«Sie sitzen da, Veronika und schließen sich aus, warum tun Sie das?» «Ich fühle mich so am wohlsten.» «Aber das ist es ja eben, was nicht wahr ist! Sie belügen sich, ich kannte Sie doch früher; Sie sind freudlos geworden. Aber Sie sprechen immer so unbestimmt, drückt Sie etwas – ich meine, mir als Jugendfreund und Menschen anderer Gesetze – ich meine irgend ein Erlebnis, gestehen Sie es mir doch, es wird Sie erleichtern – warum fliehen Sie die Freuden der Geselligkeit, die doch Gott selbst den Menschen der Welt gegeben hat?» «Es ist mir, – wie soll ich es sagen – mir ist wie zerschnitten, wie wenn ich in Stücke zerfiele, wenn ich unter den Leuten bin» und wie eigensinnig wiederholte sie leise, «allein fühle ich mich am wohlsten, ganz, ich fühle mich als etwas.» – «Sie sind hoffärtig, Veronika» sagte der junge Priester unwillig. «Ich weiß nicht auf wen Sie warten und dabei treiben Sie in Stücken dahin und haben den Eigensinn eines Kranken, dahinein Ihren Stolz zu setzen»
Veronika drückte sich wohlig unter diesen Scheltworten zusammen, ihr war als könnte sie aus sich heraus wie aus weichen Betten auf diesen starken bewegten Menschen schauen und empfand Dankbarkeit für seinen Unwillen, durch den sie noch tiefer und schwerer hineingedrückt wurde. Und ganz versteckt und listig fragte sie: «Und was haben Sie getan? Erzählen Sie lieber!» – mit einem heimlichen Schauer stellte sie sich dabei vor, wie sie ihn jetzt sprechen hören würde. –
Cäciliens Bruder blieb stehen unwillig und kopfschüttelnd über den Widerstand – dann setzte er seinen Weg langsam wieder fort und begann zu erzählen, weil er hoffte, dadurch dieser Seele zum Frieden zu helfen.
«Ich war vor der Stadt, auf dem Fuchsengut bei der Wöchnerin, wo der Vater gestern die Medizin hinausgeschickt hat, aber es ist nichts mehr zu machen.» Pause «Ist der Mann traurig?» «Gott, wie Bauern schon sind. Hart. Man weiß nicht, was in ihnen vorgeht. Aber wie ich ihm sag, daß seine Frau bald bei Gott es besser haben werde, ist er dagestanden, wie ich vorher noch nie einen Menschen stehen sah, so baumgerad als ob sein ganzes Leben fortab in diesem Augenblick festgewurzelt wär.» «Ja die Bauern …» meinte Veronika um das Gespräch durch ihre Teilnahme in Fluß zu erhalten. «Nein nicht die Bauern; als ich dann ging und das Gatter schloß, wars mir geradeso, als hätte ich noch nie ein Tor so knarren gehört, so zögernd und eindringlich und die Vögel hatten noch nie so laut und menschenähnlich gesungen und zwischen den Wiesen stand jeder Baum groß und unverrückbar und von seinem Platz getragen.» – Veronika neigte sich vor, man merkte es nicht in der Finsternis und ihre Augen fingen dabei einen Schein vom Fenster und begannen zu leuchten wie Faulholz im Dunkeln. «So fest!?» fragte sie. «So fest und scharf in die Welt gegraben wie mit der Stichel, Vroni, jeder Laut, jede Linie, jedes Leuchten im Auge eines vorüber laufenden Tiers. Nur noch ein wenig anders als sonst, trotzdem ein jedes so ganz bei sich war, schien jedes doch ein wenig verändert, wie abgestimmt aufeinander, eine Ähnlichkeit, nein keine Ähnlichkeit, aber etwas wie eine Ähnlichkeit zwischen allem, ja, wenn Sie mich noch verstehen, möchte ich sagen eine Ähnlichkeit wie mit nach aufwärts gewandtem Antlitz; als ob jedes nur so klar dastünde, damit man erfaßt, daß es nicht bloß so da ist, wie man geglaubt hat, sondern daß es ein Glied ist, mit dem ein ganz andrer Sinn gemeint ist als der, zu dem man sonst flüchtig und halbverstanden die Dinge zusammensetzte, – ein übermenschlicher Sinn – Sein Sinn. Ich fühlte plötzlich, wie er sachte alles bewegt. Er nimmt das Prahlerische das in allem Großen ist und das Liebliche, das hinter jedem Widrigen ist, wie ein bittendes Lächeln in einem häßlichen Antlitz, und er macht das eine stiller und das andere trauriger, er fängt die Stimmen der Vögel im Wald, damit das Knarren eines Tors, durch das einer zum letztenmal davonschritt sich tiefer in die Welt gräbt, er glättet die Falten im Gesicht einer Toten wegen der Lichter in