Stöhnen kam aus ihm heraus, und sie fühlte ihn schwerer und sanfter auf sich lasten. Als sie in ihr Zimmer gekommen war, schlief sie vor Erschöpfung bis zum Abend. Als sie aufwachte, lag wieder dieses Leben vor ihrer Tür. Sie wollte auch die Nacht verschlafen, aber der Tag danach schien ihr wie etwas unter einem weißgespannten Tuche voll unerträglicher gleichmäßiger Helligkeit. Wenn sie an Demeter dachte, war ihr, als sei etwas Abscheuliches über sie gekrochen und trotzdem sah sie noch fortwährend seine Augen, die sie erregten. Sie wußte nicht, was sie wollte, sie hatte nur den Wunsch, sich in ihrem Zimmer zu verschließen, damit sie an all das nicht denken müsse. Da klopfte Demeter, der in seinen kleinen Pantoffeln, auf denen ein Herz gestickt war, an ihre Tür geschlichen kam … Er setzte sich auf den Rand ihres Bettes und gerade als sie sich von ihm weg und zur Wand drehte, hörte man von der Straße unten herauf eine helle Tenorstimme durch das Haus schallen. «Demeter, Demeter bácsi, wo bist du?» Und Demeter sagte ärgerlich, «duhmer Kärl, ich kohm ja gleich. Wollen wir zusperren, Mähderl, sonst – der taktlose Mensch ist nämlich imstand und geht mich suchen.»
Die Versuchung der stillen Veronika
Cäcilie, die Tochter des Apothekers, heiratete, und ihre Freundin Veronika, die Tochter des Notars half ihr am Vorabend beim Anprobieren des Brautkleides. Das mit altem Holz getäfelte Zimmer lag fast schon im Dunkeln und in der Ecke, von wo aus der Apotheker behaglich dem Tun der drei Frauen zusah, schwamm es überhaupt nur mehr von Schwarz als die Apothekerin immer noch kniete zu Füßen Cäciliens, die steif und hoch aufgerichtet vor dem einzigen, breiten Fenster stand, und spente ab und zu noch etwas mit den kleinen Nadeln fest, die sie aus einer neben ihr am Boden stehenden Schale nahm. Veronika aber stand nebenbei, hielt hier eine Falte, rückte dort etwas zurecht und ging u kam alle Augenblicke um etwas zu bringen, das man gerade notwendig brauchte. Seine Hochwürden, Cäciliens Bruder, war ausgegangen.
Wenn Veronika ging, so hielt sie den Kopf gesenkt, wie unter der Last der im Kranz um ihn gelegten Zöpfe, und den Leib drückte sie ein wenig hervor, aber sie hatte trotzdem eine eigentümliche gleichgültige Sanftmut in der Art zu gehen, denn das Dunkel teilte sich ganz weich und leise vor ihr und schloß sich hinter ihr ganz ohne Bewegung zusammen, wie wenn sie lautlos mit einer … hindurchglitte.
Als sie jetzt wiederkam, war die Apothekerin gerade aufgestanden und hatte den Brautkranz auf Cäciliens Haar gesetzt. Sie wandte sich langsam herum, denn sie war von dem langen Knien etw. steif geworden, und fragte mit einer Stimme, die auf gar keine Antwort wartete, «steht er ihr nicht wunderbar, Vronerl?» – und Veronika lächelte. In der Tat sah Cäcilie, in diesem Augenblick mit den weißen Myrthen im dunkelbraunen Haar sich groß gegen die bleiche Fläche des Fensters abhebend, sehr hübsch aus. Der Apothekerin begannen bei diesem Anblick langsam die Thränen zu kommen. «Morgen um diese Zeit, Cilli – Cilli! – bist du nicht mehr hier!» – und sie konnte vor Weinen nicht weitersprechen, auch Cäcilie rannen dabei die Thränen über die Wangen. «Ja, so ein Tag,» meinte der Apotheker, «reißt alles auseinander, was man in Liebe jahrelang behütet hatte, u. wie wenn man ein Pflanzerl noch so vorsichtig aushebt, gibt es ein Loch in der Erde aber das muß schon so sein» aber man konnte es seiner Stimme anmerken, daß er absichtlich zu philosophieren begann, um die Rührung zu verbergen, die auch ihn übermannt hatte. Und schließlich, um der Stimmung ein Ende zu machen, zwang er sich gar zu scherzen. «Na Vronerl,» meinte er mit ein wenig unsicherer Lustigkeit, «und wann werden denn wir so dastehn?»
Veronika drehte sich bedächtig und wie erstaunt nach ihm um. Sie spürte dabei etwas Heißes auf der Wange und merkte erst jetzt, daß auch sie, von der allgemeinen Rührung ergriffen, feuchte Augen bekommen hatte. Bevor sie aber noch antworten konnte, hatte sich schon die Apothekerin wieder gefaßt und begann zu sprechen und Cäcilie war plötzlich wieder erwacht und half ihr als ob es etwas zu verreden gälte.
Nicht als ob Veronika häßlich gewesen wäre und keinen Anspruch auf ein Gefallen gehabt hätte. Sie war hoch und schlank und mit ihrem großen, etwas wollüstigen Mund, mit den starken Augenbrauen auf der niederen breiten Stirn und den feinen schwarzen über die ganze Länge des Arms verteilten Haaren, hätte sie zwar vielleicht unter den Bewohnern dieser kleinen Provinzstadt keinen Mann gefunden, wohl aber hätte sie gerade dadurch einen verwöhnteren Menschen und Liebhaber nicht gewöhnlicher Reize beunruhigen können, besonders aber noch durch einen Gegensatz, in dem ihr langes, schmales, fast ekstatisches Kinn zu ihrer anderen Erscheinung stand.
Aber es war etwas in ihrem Wesen, etwas Unpersönliches, ein Beiseitestehen, daß man sich gar nicht denken konnte, sie möchte auch einmal Ansprüche an das Leben erheben oder gar so im Mittelpunkte eines Ereignisses stehen, wie Cäcilie gerade jetzt. Es war etwas in ihr, das sie zu einer ausgezeichneten Freundin machte, diese anderen Gedanken gerade deswegen aber fast wie eine Taktlosigkeit empfinden ließ. Und der Apotheker bekam es von seinen zwei Frauen zu hören, als er mit ihnen ausging, um noch schnell einen Abendbesuch zu machen.
Veronika war in der Apotheke zurückgeblieben und hatte sich angeboten, die Sachen zu ordnen und in die Schränke zu räumen, die nach dem eiligen Abbruch der Anprobe noch überall umherlagen. Mit großen, eiligen Schritten ging sie durch die Zimmer und ihre Hände fanden mit einer unbedachten Sicherheit für alles rasch den richtigen Platz. Sie tat Selbstverständliches und nur zuweilen stand sie einen Augenblick still um auf den Schall ihrer Schritte zu horchen, der fremd von den Wänden zurückkam, hastig verstummend, wie wenn jemand heimlich ihre Bewegungen äffte, stets ein wenig zu spät käme und rasch es zu verwischen sich mühte. Veronika war fertig, aber sie ging nicht nach hause, sondern setzte sich auf die Wandbank im Dunkeln neben dem Stuhl des Apothekers und ließ die Hände zwischen den Knien auf dem gespannten Kleide ruhn. Sie schien nachzudenken. Sie war jetzt 28 Jahre alt und Cäcilie die letzte ihrer Jugendfreundinnen, die noch nicht geheiratet hatte. Veronika dachte darüber nach, wie es nun auch ohne dieser letzten sein werde. Sie dachte auch darüber nach, wie es nun Cäcilie ergehen werde. Aber sie dachte nur an diese Dinge daran, an die man bei einem Bekannten denkt, den man auf einer Reise weiß. Sie fühlte dabei nichts Entschiedenes. Weder einen Schmerz über den Verlust noch auch, daß Cäcilie fortab mit einem Manne leben werde, der Gedanke an diese Umwälzung, die sich im Geheimen vollzieht u. von dort aus das ganze Wesen ergreift, schien sie nicht zu beunruhigen, er schien gar nicht da zu sein für sie. – Vielleicht spürte sie sogar ein leises Behagen darüber, daß sie von morgen ab ganz allein sein werde. – Sie wunderte sich selbst über diese Teilnahmslosigkeit, besonders wenn sie der Thränen gedachte und der tiefen Bewegtheit, von der alle diese anderen Menschen bei diesem Ereignis ergriffen wurden. An ihr schien es wie etwas Lebloses vorüberzugleiten.
Es war irgend einmal, daß sie dem Leben näher stand, es deutlicher spürte, wie mit den Händen oder wie am eigenen Leibe, aber sie wußte nicht mehr, wie und wann das war. Vielleicht als Kind, denn sie erinnerte sich, damals zuweilen ein eigentümlich erschrecktes und sie am ganzen Leibe erregendes Staunen der Dinge gefühlt zu haben. Wenn der Kuckuck sein Weibchen im Walde rief, lief sie ihm nach, von Baum zu Baum, in einem atemlosen Verlangen, ihn zu sehen, und stand verdutzt, wenn sie ihn hatte und nichts sah als einen großen bunten Vogel. Ein Hahn mit seinen Hennen konnte sie stundenlang auf einem Platze festhalten, denn sie wartete immer wieder auf den Augenblick, wo er, an allen Federn zitternd, eine Henne zu Boden drückte, während diese ihn dumm und gleichgültig gewähren ließ und gleich wieder weiterzufressen begann, während er noch wie verstört einen Augenblick neben ihr still stand. Wenn die Nachbarskinder geschlagen wurden und sie sie schreien hörte, suchte sie nach einem Fenster, von dem aus sie zusehen konnte oder stellte sich wenigstens alles mit eindringlichster Lebhaftigkeit vor und wünschte, daß sie noch immer heftiger geschlagen würden. Denn obwohl ihr Kinderstolz durch die Züchtigung ihrer Spielgenossen sich entehrt fühlte, war gerade in solchem Geschehnis irgend etwas das in seiner Ungerechtigkeit so stark und eindringlich war, daß die Lust, sich an die harte kantige aus dem Alltäglichen vorspringende Form dieses Geschehens bis zum Wehtun zu pressen und es so scharf als es ging in sich einzugraben, alles andere verdrängte.
Seither hatte sich aber das schwache Alltagsleben eines Mädchens in bürgerlichem Hause einer Kleinstadt über diese Eindrücke gelegt und hatte sie bis zur Unkenntlichkeit verwischt wie ein matter, dauernder Wind Spuren im Sand. Sie verstand sie nicht mehr Sie sah nur etwas Kurioses in ihnen Dieses gleichmäßig ebene Leben hatte Veronika geformt und seine Eintönigkeit