Ende nach jedem und packt es wie ein Sinn die Worte oder Linien, wie eine Melodie die Töne – Vroni! wenn Sie mich verstehen: allein taugt der Mensch nichts! Das ist unfruchtbare Hoffart! Er gehört in die Welt, wie ein Glied in eine Harmonie. Man darf sie nicht durch seinen besonderen Willen entstellen, man muß sich Seinem Sinn hingeben, muß sich in ihn geben. Den Atem seiner Lust fühlen – Dann erst – ja glauben Sie es, dann fühlt man alles so fest und sicher als hielte Er einen an den Haaren auf dem richtigen Platze fest und ich ging zwischen den Dingen wie ein Bruder und wußte daß ich nicht das Kleinste unnütz tat, denn ich fühlte Seinen Sinn in mir, in jeder Gebärde, die ich tat, wie den Wind in den Segeln …»
Veronika schauderte. Sie hatte diese Worte vorausgefühlt, sie kannte sie, es war eine List von ihr, den Priester zum Reden zu bringen. Es war ihr eigentümliches Spiel, durch das Dunkel und unverfängliche Gegenreden gedeckt, seine Worte wie zahnige Pflugscharen in ihrer Seele zu fühlen. Denn er selbst blieb ihr dabei ganz unpersönlich, sie hatte nie neben ihm das Gefühl wie ein Weib zum Manne aber von seiner Sachlichkeit, von dem Inhalt seiner Seele ging eine Kraft aus, die sie unterwühlte. Diese Gespräche gingen in ihren dunklen Kleidern dahin mit der Sicherheit von Fremden aus einem mächtigen wohlgeordneten Staate. Und diese Sicherheit begriff sie. Sie begriff, daß da ein Leben vor ihr stand, das ganz rund und in sich geschlossen ruhte und von sich selbst gesättigt war, ein Leben das nicht voll Abwehr in sich zusammengekauert war, sondern dem sich von allen Dingen geschwisterliche Hände entgegenstreckten. Sie suchte sich das vorzustellen. Es mußte aus einem herausströmen und die Dinge ergreifen wie eine Welle Blutes – und wie eine Welle eigenen Blutes mußte es manchmal langsam, langsam von den Dingen wieder zurückströmen, und manchmal mußte es sein, wie wenn einer die ganze Welt einatmen und in seinem Leibe tragen und von innen spüren könnte und dann ausatmen und so zärtlich sacht und vorsichtig gespannt vor sich hinstellen könnte, wie ein Künstler, der mit tausend fliegenden Reifen arbeitet – Und es kam eine quälende Unruhe in ihr Dasein –
Sie konnte sich das aber so nur vorstellen, wenn sie an ihn dachte. Wenn sie auf sich selbst blickte, verließ sie die Stimmung. Und trotzdem begriff sie zum erstenmale, daß auch diese dunklen Kräfte in ihr danach verlangten sie in die Weite ruhig u schlank wie eine Brücke zu wölben und spannen. Es kam in ihr Dasein eine geheimnisvolle Unruhe, die sich bis zu quälender Ungeduld steigerte. Ihr war, es würde sich etwas in ihr heben und heben und dumpf bewegen wie ein Kind im Leibe der Mutter und konnte doch nicht ans Licht, denn wenn es weg war konnte sie nichts in sich finden. Sie durchsuchte sich eindringlicher als sonst. Es blieb ihr aber nichts als eine dunkle Erinnerung wie an eine wichtige vergessene Sache. Statt der trägen Sicherheit, die sie besessen, befiel sie jetzt die Unsicherheit des Suchens. Sie fühlte, daß sie suchte und noch nicht hatte. Schließlich bildete sich in ihr die Vorstellung, daß es diese unaufgefundene vergessene Sache sei, die wie ein Schleier darüber liege. – Sie hatte einmal von einem Mädchenzimmer gehört, das ganz weiß war, und es verknüpfte sich ihr damit die unklare Ahnung eines Lebens von ganz besonders zart und vorsichtig gegliederter Schönheit. Nun dachte sie, wenn sich eines Tages der Schleier von ihrem Leben heben werde, wird es sein, wie wenn junge Mädchen in weißen Kleidern über eine Landschaft gehen, die voll glitzerndem, weißem Schnee und blühender Kirschen ist.
Und Veronika wartete, sie wartete
Eines Tages geschah dann das, was in ihr Leben jene sonderbare Wendung brachte Der Priester mußte abreisen. Cäcilie war längst schon fort, die Frau des Bauern war in den Wochen gestorben und sie gingen den Weg zum Fuchsengut. –
Veronika staunte. Sie versuchte alle möglichen Gedanken, um den zu finden, der ein Hinausschieben der Abreise ermöglichen könnte. Sie hatte die gewagtesten Vorschläge bis zu den albernsten Einfällen, die sie nicht losließen und beinahe zur Aussprache gedrängt hätten. Sie müdete sich an ihnen ab und schließlich blieb nur die Verwunderung. Denn sie fühlte in sich ein Strömen und Ziehen, durch die ganze lange Reihe der vergangenen Jahre her bis in die unsicheren Gefühle ihrer Kindheit hinein, und hier erstarrte es, hier brach eine Vollendung, die sie in diesem Augenblick von weither kommen fühlte, mit einem jähen Stillstehen und sich nicht mehr rühren Können ab, sie spürte diesen Augenblick wie ein plötzliches Blinken aus allen anderen herausspringen und dann wie einen Schnitt und sie sah ganz deutlich etwas das man gar nicht sehen kann, wie die Beziehung ihrer Seele zu dieser andern Seele in ihrer augenblicklichen Lage, ein Durchgangsding, ein Ausholen und Übergang plötzlich zu etwas Letztem, Unverrückbarem, zu etwas wurde, das wie ein Aststumpf in die leere Ewigkeit ragte. Sie sah – wie nach rückwärts gewandt sah sie ihr Leben und dieses andere Leben so nebeneinander als ob aus ihnen beiden etwas Drittes bestanden hätte, ein Mehr, etwas, das es nicht gab und doch so gab wie einen Ruf in zwei Tönen oder wie zwei hölzerne Balken zum Schweigen eines Kreuzes werden. Aber sie sah es nur mehr am Auseinandergefallensein
Und sie erfaßt diese Gestaltqualität als ein Sonderbares – Sie fühlt Dinge, die das Leben mit einem vorhat – Und als ob sie durch all dies nur hätte aufgelockert werden sollen, steigt die Erinnerung in ihr herauf – Und dieses déjà connue verstärkt erst recht das zu etwas da sein – Und diese abstrakten, kaum glaubwürdigen Dinge gewinnen das Relief der Wirklichkeit – Und wie davon beleuchtet sieht sie auch ihre Beziehung zu dem Priester mit diesem Relief – Sie spürt ihn plötzlich als einen Widerstand vor dem, was er ihr hätte werden sollen, sie fühlt Feindseligkeit u. die Bedrängnis des Weibchens – und halb schon wieder unter dem Schleier, wie ein Zurücksinken kommt die Schneckensehnsucht, die mystische Vereinigung u ein wehrlos weiches Entsetzen, weil doch nicht mehr wird was werden soll u es trotzdem schön und betörend ist. –
Es war irgend etwas da – ein Erlebnis – das ihr Widerwillen gegen das Gattungsmäßige eingeflößt hatte – mit dem Priester war nun etwas, das anderer Art war, deswegen hier die Intensitätssteigerung – und gleich die Fortsetzung in den drei Träumen wie im Durchbrechen dieser zweiten Wirkung des Gattungsmäßigen.
Drei Frauen
Grigia
Es gibt im Leben eine Zeit, wo es sich auffallend verlangsamt, als zögerte es weiterzugehn oder wollte seine Richtung ändern. Es mag sein, daß einem in dieser Zeit leichter ein Unglück zustößt.
Homo besaß einen kranken kleinen Sohn; das zog durch ein Jahr, ohne besser zu werden und ohne gefährlich zu sein, der Arzt verlangte einen langen Kuraufenthalt, und Homo konnte sich nicht entschließen, mitzureisen. Es kam ihm vor, als würde er dadurch zu lange von sich getrennt, von seinen Büchern, Plänen und seinem Leben. Er empfand seinen Widerstand als eine große Selbstsucht, es war aber vielleicht eher eine Selbstauflösung, denn er war zuvor nie auch nur einen Tag lang von seiner Frau geschieden gewesen; er hatte sie sehr geliebt und liebte sie noch sehr, aber diese Liebe war durch das Kind trennbar geworden, wie ein Stein, in den Wasser gesickert ist, das ihn immer weiter auseinander treibt. Homo staunte sehr über diese neue Eigenschaft der Trennbarkeit, ohne daß mit seinem Wissen und Willen je etwas von seiner Liebe abhanden gekommen wäre, und so lang die Zeit der vorbereitenden Beschäftigung mit der Abreise war, wollte ihm nicht einfallen, wie er allein den kommenden Sommer verbringen werde. Er empfand bloß einen heftigen Widerwillen gegen Bade-und Gebirgsorte. Er blieb allein zurück und am zweiten Tag erhielt er einen Brief, der ihn einlud, sich an einer Gesellschaft zu beteiligen, welche die alten venezianischen Goldbergwerke im Fersenatal wieder aufschließen wollte. Der Brief war von einem Herrn Mozart Amadeo Hoffingott, den er vor einigen Jahren auf einer Reise kennen gelernt und während weniger Tage zum Freund gehabt hatte.
Trotzdem entstand in ihm nicht der leiseste Zweifel, daß es sich um eine ernste, redliche Sache handle. Er gab zwei Telegramme auf; in dem einen teilte er seiner Frau mit, daß er schon jetzt abreise und ihr seinen Aufenthalt melden werde, mit dem zweiten nahm er das Angebot an, sich als Geologe und vielleicht auch mit einem größeren Betrag Geldes an den Aufschließungsarbeiten zu beteiligen.
In P., das ein Maulbeer und Wein bauendes, verschlossen reiches italienisches Städtchen ist, traf er mit Hoffingott, einem großen, schönen schwarzen Mann seines eigenen Alters, zusammen, der immer in Bewegung war. Die Gesellschaft verfügte, wie er erfuhr, über gewaltige amerikanische Mittel, und die Arbeit sollte großen Stil haben. Einstweilen ging zur Vorbereitung eine Expedition talein, die aus ihnen beiden