Ludwig Ganghofer

Das Schweigen im Walde


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hat der Herr Kammerdiener sein Stüberl.«

      Der Fürst nickte zerstreut und warf einen flüchtigen Blick in das kleine Zimmer.

      »Und hier is die Gschirrkammer!« Der Förster öffnete die gegenüberliegende Tür; man sah in einen weißgetünchten Raum, der rings um die Wände bestellt war mit Schränken und Geschirrleisten. An der nächsten Tür ging Kluibenschädl vorüber, ohne die Klinke zu berühren. »Da schlaft die Jungfer Köchin. Und nebendran is die Holzleg. Dahinter is der Hausmagd ihr Kammerl. Und die ander Tür da — man merkt's schon am feinen Grücherl — die führt in die Kuchl. Die fürstlichen Zimmer — bitte, Duhrlaucht, sich gefälligst hinaufbemühen zu wollen — die liegen droben im ersten Stock.«

      Sie stiegen über die Treppe hinauf, und der Förster öffnete die zunächstliegende Tür. Das wäre das Gastzimmer, in welchem Graf Sternfeldt drei Wochen gewohnt hätte, um den Betrieb der neuübernommenen Jagd zu ordnen und das Jagdhaus einzurichten. Es war eine freundliche Stube, in ihrer Ausstattung für den Geschmack eines Mannes berechnet, der keine Ansprüche macht.

      Nun ging's zum Speisezimmer. Ein großer dreifenstriger Raum von heller, blinkender Frische. Die weiße Kalkmauer war rings um das Zimmer bis über die halbe Wandhöhe mit rötlichem Zirbenholz getäfelt. Aus dem gleichen Holz waren die Möbel angefertigt. Um zwei Ecken zog sich — die Einrichtung einer Bauernstube nachahmend — eine massive Holzbank, vor der zwei Kreuztische standen, mit rotgestickten Leinwanddecken belegt. Eine runde Bank umzog den weißen Tiroler Ofen, und in einer Wandecke war ein »Herrgottswinkelchen« geschaffen, dessen Kruzifix mit grünen Latschenzweigen und blühenden Alpenrosen geschmückt war. An der Wand, die über der Täfelung frei blieb, hingen zwischen Gemskrickeln und Hirschgeweihen zwölf Aquarelle, die in kräftigen Farben die Jagd des ganzen Jahres von Monat zu Monat schilderten.

      »Wie hübsch und gemütlich!« Die Hände in die Mufftaschen der Jagdbluse vergrabend, ließ sich der Fürst auf die Ofenbank nieder. »Hier muß ich mich behaglich fühlen.« Heiter begann er mit dem Förster zu plaudern, bis ihr Gespräch durch den Lakai unterbrochen wurde, welcher fragen kam, für welche Stunde Durchlaucht das Diner befehle. Der Fürst sah nach der Uhr. »In zwei Stunden, gegen halb acht. Ich will mich noch in der Umgebung des Jagdhauses umsehen. Für jetzt nur eine Tasse Tee!«

      Eine Weile plauderte er noch mit dem Förster, dann ließ er sich hinüberführen in die »Fürstenzimmer«, wie Kluibenschädl mit unterstrichenem Respekt betonte.

      Da gab es für den Fürsten eine Überraschung, die ihm Freude machte. In seinem Stadtpalais befand sich ein kleines Jagdzimmer, in dem er sich mit Vorliebe aufzuhalten pflegte. Die Einrichtung dieses Zimmers fand er fast bis in das kleinste Detail hier nachgebildet, als sollte ihm der schmucke Raum zum Willkommen sagen: Fühle dich hier zu Hause von der ersten Stunde an!

      Das war der gleiche Holzplafond, in hellem und dunklem Braun gehalten, die gleiche Ledertapete mit eingepreßten Tierbildern, der gleiche Waffenschrank — sogar die beiden Jagdstücke von Snyders, die im Stadtpalais den kostbaren Wandschmuck seines Lieblingszimmers bildeten, fand er hier durch zwei treffliche Kopien ersetzt. Auch der gleiche Diwan und die gleichen, mit Seehundsfell bezogenen Lehnstühle. Nur zwei Möbelstücke des Stadtzimmers waren hier durch andere vertreten: statt des Spieltisches ein Schreibtisch, und statt eines Schrankes, der eine Sammlung Ridingerscher Holzschnitte und alter Stiche nach berühmten Jagdbildern enthielt, stand hier eine kleine Bibliothek mit ein paar hundert Bänden.

      Und noch etwas war anders als in der Stadt: die Luft, die würzig hereinströmte durch die zwei offenen Fenster, und der Ausblick, den sie boten. In der Stadt lag vor den Fenstern die graue Häuserwand der von Kohlendunst überschleierten Straße, hier zeigte das eine Fenster das Almfeld mit der Sennhütte und darüber den von blauem Schattenduft umwobenen Felskoloß der »Hochwand«, das andere den grünen Wald und über seinen goldig umleuchteten Wipfeln die Spitzen und Wände sonnbeglänzter Berge.

      An dieses Fenster war der Fürst getreten. Er sah hinaus über Wald und Berge und preßte die Fäuste auf seine Brust, die sich wölbte unter einem trinkenden Atemzug. Lange stand er so, in Sinnen versunken, als vergliche er das Bild, das in sonnigem Frieden vor seinen Augen glänzte, mit dem Wirbel des Lebens und allem Sturm der Leidenschaft, der hinter ihm lag. Er nickte vor sich hin, und ein müdes, bitteres Lächeln zuckte um seinen Mund.

      Geduldig stand der Förster neben der Tür und wartete.

      Lautlose Minuten vergingen, bis ein Geräusch den Fürsten aus seinen Gedanken weckte. Der Lakai hatte die Tür des anstoßenden Raumes geöffnet und sich wieder entfernt; man sah in das große, weiße Schlafzimmer und durch eine zweite Tür in ein kleines Badestübchen, in dem der Lakai bei der Wanne beschäftigt war. Der Fürst hatte sich vom Fenster abgewandt. »Verzeihen Sie, lieber Herr Förster —«

      Kluibenschädl wurde dunkelrot über das ganze Gesicht. »Aber Duhrlaucht, jesses na, ich hab eh schon gmerkt, daß ich überflüssig bin. Gern hätt ich mich stad aussidruckt zur Tür. Aber wie ich Duhrlaucht so sinnieren hab sehen, meiner Seel, da hab ich mich nimmer z'rühren traut.«

      Dieses unbeholfen sich äußernde Zartgefühl schien den Fürsten warm zu berühren. Lächelnd reichte er dem Förster die Hand. »Sie sind ein lieber, guter Mensch! Und ich danke Ihnen für alle Mühe, die ich Ihnen heute schon verursacht habe. Morgen früh, um neun Uhr, bitt ich Sie, mit mir zu frühstücken. Dann machen wir zusammen einen Orientierungsmarsch durch das Geißtal. Ja?«

      »Dank der Ehr, Duhrlaucht! Werde pünktlich zur Stelle sein!«

      Das Gesicht des Fürsten noch mit einem prüfenden Blick überhuschend, schob sich Kluibenschädl zum Zimmer hinaus. Als er draußen stand und die Tür zugezogen hatte, spitzte er gedankenvoll die Lippen. »Psssss, mir scheint, mir scheint! Entweder ich kenn mich net aus, oder den hat a Frauenzimmer in die Klupperln ghabt!« Bedächtig griff er sich an die Nase. »Mannderl, Mannderl, dös laß dir wieder zur Warnung sein!« Auf den Fußspitzen schlich er die Treppe hinunter.

      Draußen im Hof traf er mit dem Praxmaler-Pepperl zusammen, der um die Hausecke geschossen kam, die beiden Arme mit Weinflaschen vollgepackt. »Da schauen S', Herr Förstner! Da hab ich was Kühls für a hitzigs Züngerl. Den Wein trag ich nunter zur Burgi. Da sind die andern schon drunt. Und die Burgi muß mittrinken. Der hängen wir heut a Schwipserl an. Da müssen S' mithelfen!«

      »Dank schön!« erwiderte Kluibenschädl mit Würde. »Machts eure Dummheiten allein! Und beim Weintrinken bin ich Filosoff. Dös heißt auf deutsch: a Freund der stillen Genüsse.« Sprach's, zog dem Praxmaler-Pepperl eine Weinflasche unter dem Arm hervor und ging einer Jägerhütte zu.

      Praxmaler lachte und sprang zur Sennhütte hinunter.

      Eine Weile später trat der Fürst aus der Tür des Jagdhauses. Er hatte sich umgekleidet und trug einen grünen Hausanzug mit verschnürtem Sakko und eine kleine Mütze aus braunem Hirschleder. Langsam schritt er den Fahrweg hinunter und durch den schmalen Waldstreif, der das Almfeld umschloß. Er kam zu einer weiten Blöße, die schon im Schatten lag; nur durch die Lücken, die sich zwischen den Wipfeln in den Waldkamm senkten, warf die Sonne noch lange, schimmernde Goldbänder über das Weideland. Weiße Kühe mit leise bimmelnden Glocken zogen durch das niedere Gesträuch, andere lagen im Gras und wandten träg die Köpfe, wenn der einsame Spaziergänger an ihnen vorüberschritt.

      Ettingen wanderte über die Lichtung, bald mit stillen Augen die klare Schönheit des Abends trinkend, bald wieder versunken in Gedanken, die ihn der Umgebung und des Weges nicht achten ließen. Auf lindem Rasen schreitend, merkte er nicht, daß er den schmalen, wenig ausgetretenen Pfad verlor und aus farbiger Dämmerhelle in tiefen Schatten trat. Als er, aus seinem Brüten erwachend, einmal aufblickte, sah er, daß er mitten im Hochwald stand, der eine Strecke sich eben hinzog und dann sacht zu steigen begann.

      »Wie still dieser Wald! Wie schön in seinem Schweigen!«

      Zwischen den Wurzeln einer mächtigen Fichte ließ sich der Einsame zur Ruhe nieder. So saß er, den Kopf an den Stamm gelehnt, die Hände um das Knie geschlungen. Lächelnd, als wäre die Ruhe und das Nimmerdenken über ihn gekommen, staunte er träumend hinein