Ludwig Ganghofer

Das Schweigen im Walde


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die Feder. Er lehnte sich in den Stuhl zurück und blickte nach dem offenen Fenster, in dessen Rahmen sich der schwarzgezahnte Wipfelkamm des nahen Waldsaumes und darüber ein Stück des stahlblauen Himmels mit zwei funkelnden Sternen zeigte.

      So saß er eine Weile. Dann schüttelte er unter leisem Lächeln den Kopf — und begann wieder zu schreiben:

      »Die schöne Ruhe, die ich draußen gefunden habe, überkommt mich wieder! Ein Trost für die Nacht — ich glaube, daß ich schlafen werde.

      Nun Gott befohlen, lieber Goni! Wüßt' ich nicht, daß Du in der Stadt bleibst, um als Freund für mich zu handeln, so würd' ich Dir schreiben: komm, und laß uns die Schönheit teilen, die mich hier umgibt! Aber ich hoffe doch, daß dieser unbehagliche Freundschaftsdienst Dich nicht allzulange zurückhalten wird und daß ich Dich bald bei mir begrüßen kann. Mit diesem Herzenswunsche bin ich Dein

      dankbar getreuer Heinz.«

      Der Fürst schloß den Brief und schrieb die Adresse: »Graf Egon von Sternfeldt — Wien.« Er wollte dem Diener läuten, doch lächelnd nahm er den Brief noch einmal aus dem Kuvert.

      »Als Nachschrift eine Bitte. Ein Zufall hat mich heut an Arnold Böcklins Bild ›Das Schweigen im Walde‹ erinnert. Du kennst das Bild: auf dem Einhorn reitet die weiße Waldfee unter den Bäumen, mit großen Märchenaugen, und lauschend, als hätte das Waldschweigen redende Stimmen, die kein Menschenohr vernimmt, nur sie allein. Schon vor drei Jahren, als ich das Bild in einer Ausstellung sah, hätt' ich es gerne gekauft. Es hatte schon seinen glücklichen Besitzer.

      Wie schade! Nun sind Erinnerung und Wunsch in mir wieder wach geworden. Aber wer einen solchen Schatz besitzt, überläßt ihn keinem anderen. Ich werde mich mit einer Reproduktion begnügen müssen. Willst Du mir die besorgen? Einen Stich oder eine Radierung. Willst Du? Ja? Meinen Dank im voraus.

      Heinz.«

      Der Fürst siegelte den Brief und läutete dem Diener, dann trat er ans offene Fenster.

      Drunten in der Sennhütte ging es lustig zu. Der Wein schien in den Köpfen der Jäger seine Wirkung zu üben, ihre fröhliche Stimmung hatte sich in wirres Kreischen und Lachen aufgelöst. Das schwieg zuweilen. Dann klang's wieder auf. Und der Übermut dieser konfusen Stimmen hörte sich seltsam an in der schwarzen, schweigenden Einsamkeit der Bergnacht.

      Der Lakai trat in das Zimmer. »Durchlaucht befehlen?«

      »Dort liegt ein Brief. Hast du dich schon erkundigt, wie die Post besorgt wird?«

      »Die Leutascher Jäger sind noch hier. Einer von ihnen wird den Brief zur Besorgung übernehmen. Von morgen an wird ein regelmäßiger Postdienst eingerichtet.«

      Der Fürst nickte und ging zur Tür des Schlafzimmers; als ihm der Lakai folgen wollte, sagte er: »Danke, Martin, geh nur, ich brauche dich nicht mehr.«

      Von der Sennhütte klang eine Lachsalve herauf, so toll und lärmend, daß der Fürst aufblickte.

      Martin runzelte die Stirn. »Ich werde die Leute sofort zur Ruhe verweisen.«

      »Nein! Laß sie nur! Sie sollen sich amüsieren, solang es ihnen Freude macht. Ich werde deshalb nicht schlechter schlafen. Morgen früh sieben Uhr das Bad. Für neun Uhr hab' ich den Förster zum Frühstück gebeten. Gute Nacht!« Der Fürst trat in das Schlafzimmer und zog hinter sich die Tür zu.

      Martin schloß die beiden Fenster; dann glitt er lautlos auf den Schreibtisch zu. Er nahm den Brief, las die Adresse und lächelte. Vorsichtig, um das Siegel nicht zu verletzen, drückte er den Brief an den Kanten zusammen, so daß sich die Klappe des Kuverts ein wenig ausbauchte. Da konnte er ein paar Worte lesen: »— heut an Arnold Böcklins Bild ›Das Schweigen im Walde‹ erinnert. Du kennst das Bild; auf dem Einhorn reitet —«

      Beruhigt schob Martin den Brief in die Brusttasche und blies auf dem Schreibtisch die Lampe aus.

       Inhaltsverzeichnis

      In der Sennhütte schien die weinfröhliche Stimmung in bedenkliche Wärme zu geraten. Man hörte zwei streitende Stimmen, neben einem rauhen Baß den kräftigen Tenor des Praxmaler-Pepperl. Aber die beiden Gegner schienen ihre Fehde nicht sonderlich ernst zu nehmen. Ihr Zankduett löste sich bald wieder in Gelächter auf, die Gläser klapperten, und ein übermütiger Jauchzer tönte in die stille Nacht hinaus.

      Förster Kluibenschädl, der in einem der Jägerhäuschen noch lesend bei einer trüb brennenden Petroleumlampe saß, tat beim Hall dieses Jauchzers einen tiefen Zug aus der Pfeife, ohne zu merken, daß sie schon erloschen war, und las mit erregter Spannung weiter. Sein rundes Gesicht glühte, obwohl die Sommernacht nicht allzu schwül und der eiserne Sparherd, auf dem er sich zum Nachtmahl den gewohnten Schmarren bereitet hatte, schon längst erkaltet war. Förster Kluibenschädl war ein Freund literarischer Genüsse, hatte eine unglückselige Leidenschaft für »schöne Bücheln«, dazu eine leicht zu rührende Seele, und obwohl er in der Praxis des Lebens dem schönen Geschlechte nicht sonderlich freund war, bevorzugte er in der Kunst gerade jene »Büchlein«, die von treuer Liebe handelten. Die aufregende Geschichte, die er just verschlang, heizte seinem in Spannung zitternden Herzen so schrecklich ein, daß ihm die innerliche Glut den Schweiß auf die Stirne trieb.

      Die Erregung des Lesers war aber auch begründet. Man denke nur: in dem dreibändigen »frei nach dem Englischen bearbeiteten« Roman »Das Geheimnis von Woodcastle« hielt er soeben bei der wichtigen Szene, in welcher Lord Fitzgerald, der enterbte, von Unglück und Feinden verfolgte Held, die heimliche Botschaft seiner Geliebten empfängt und in mitternächtiger Stunde sich aufmacht zur heißersehnten Unterredung mit Lady Maud, der holdseligen, von Haß und Eifersucht bewachten Herrin von Woodcastle. Die Nacht ist rabenschwarz, eine Eule wimmert um die zerfallenen Zinnen, unheimlich murmelt der Fluß, und geheimnisvoll flüstern die alten Rüstern des Parkes. Wohl ahnt der Lord die Gefahr, die ihn umlauert; doch keine Macht der Welt kann ihn zurückhalten, in die Arme der Geliebten zu eilen, und so schreitet er furchtlos durch die finstere Nacht, nur begleitet von seinem treuen Neufundländer, der gleich dem Schatten eines Löwen an seiner Seite wandelt. Rosige Träume von Glück und Liebe erfüllen die große, stolze Seele »unseres Helden«, und so ganz versunken ist er in die Gedanken an seine holde Maud, daß er die zischelnde Stimme überhört, die sich plötzlich im schwarzen Schatten der alten Mauer hören läßt: »Das ist er!« Doch Lion, der treue zottige Freund, hat blitzschnell die Gefahr erkannt, die seinen Herrn bedroht; seine Haare sträuben sich, er stößt ein drohendes Knurren aus, aber im gleichen Augenblick —

      »Mar' und Joseph!« stotterte Kluibenschädl, dessen Augen sich erweiterten. »Jetzt gschieht ihm ebbes!« Wütend schlug er die Faust auf den Tisch. »Aber gleich hab ich mir's denkt, und grad heut muß er sein Revolver daheimlassen! So a verliebts Rindviech, so an unvorsichtigs!« Schnaubend legte er sich mit beiden Ellbogen über den Tisch und beugte die glühende Nase auf das Heft.

      — Im gleichen Augenblick stürzen vier vermummte Gestalten aus der Mauernische hervor. Wohl springt der treue Hund dem ersten der Banditen heulend an die Kehle, doch ein wohlgezielter Dolchstoß streckt das mächtige Tier zu Boden.

      »Ah, da hört sich aber doch alles auf!« Dem Förster traten vor Erbarmen um das schöne Tier die Tränen in die Augen. »Jetzt bringen s' mir den Hund um, der mir der liebste von alle gwesen is!« Nur mit Mühe konnte er durch den Schleier seiner tropfenden Zähren weiterlesen.

      Schon ist Lord Fitzgerald an Händen und Füßen gefesselt, ein Knebel erstickt seine Stimme, und während die Schurken ihn zu dem »in der Nähe bereitstehenden, dichtverschlossenen Wagen« schleppen, verblutet der arme Lion verlassen und hilflos im Staube. Noch einmal richtet er sich mit letzten Kräften auf, versucht der Spur seines geliebten Herrn zu folgen, doch die Füße tragen ihn nicht mehr; mit einem matten Winseln, welches »fast dem Todeslaut einer schmerzgebrochenen Menschenseele« gleicht, bricht er zu Boden und haucht auf den Fußtapfen seines Herrn