die hundertjährigen Bäume zum Himmel auf, jeder ein König in seiner sturmerprobten Kraft. Alle kleinen, niederen Gewächse waren verkümmert und gestorben im Schatten dieser Großen; sie allein bestanden, und bescheidenes Moos nur webte zwischen ihren weitgespannten Wurzeln seinen grünen Samt über Grund und Steine. Sogar vom eigenen Leibe hatten die Riesen alle niedrigstehenden Äste abgestoßen und gesundes, saftiges Leben nur den strebenden Zweigen bewahrt, die sich aufwärtsstreckten bis zur Höhe des Lichtes. Das flutete goldleuchtend um die Wipfel her, ließ selten einen verlorenen Schimmer niedergleiten in den Schatten, der zwischen den braunen Stämmen lag, und dort nur, wo der Grund zu steigen anfing, brach es, einer Lichtung folgend, mit breiter, brennender Welle quer durch den Wald.
»Wer das so könnte wie der Wald: alles Schwächliche und Niedrige von sich abstoßen, nur bestehen lassen, was stark ist und gesund! So stolz und aufrecht hinaussteigen über den Schatten der Tiefe und die Helle suchen, die hohen, reinen Lüfte! Wer das so könnte!«
Langsam glitt der Blick des einsamen Träumers über einen der Stämme empor zum grünen Wipfel, der sich in der Sonne badete. Da huschte pfeilschnell ein kleiner Schatten durch den Sonnenglanz, in der Höhe schwankte ein Zweig, wiegte sich eine Weile sacht und kam wieder in Ruhe. Ein paarmal ließ sich ein leises Schnalzen vernehmen, und dann schallte ein süßer Vogelruf durch das Schweigen des Waldes. Nach kurzer Stille wiederholte sich der Ruf, und spielend kam der Vogel über die Zweige niedergeflattert, immer tiefer, bis zu den dürren Stümpfen der abgestorbenen Äste — ein grauer Vogel, mit weißem Streif um die Kehle. Es war eine Ringdrossel. Hurtig drehte sie das schlanke Körperchen, guckte mit den kleinen Augen nach allen Seiten und flötete immer wieder ihr schmachtendes Liedchen. Nun streckte sie aufmerksam den Hals. Fast im gleichen Augenblick huschte sie davon und schwang sich schräg hinauf in die sonnigen Wipfel.
Dort, wo der rote Schein den Schatten des Waldes durchschimmerte, hatte Geröll sich bewegt, wie unter dem Tritt eines Tieres.
Was kam da? Hochwild, das bei sinkendem Abend auf Äsung zog?
Spähend neigte der Fürst das Gesicht, um zwischen den Stämmen einen Ausblick zu finden. Und da sah er kommen, was er in dieser verlorenen Waldeinsamkeit am wenigsten erwartet hätte — eine Reiterin.
Er lächelte. »Sieh doch! Mein stiller Wald hat auch sein Märchen!«
Eine Reiterin! Und welch eine seltsame! Ein junges Mädchen, nach ländlicher Art gekleidet, saß auf einem Esel, der mit roter Decke gesattelt war. Wohl führte die Reiterin einen Zügel in den Händen, doch sie hielt ihn lässig, versunken in die Betrachtung des Waldes. Und das Grautier ging, wie es wollte, hier ein paar Halme von der Erde zupfend, dort wieder von den Zweigspitzen der Stauden naschend, die mit wirrem Astwerk den Saum der Lichtung verschleierten. Nun trat das Tier unter den letzten Bäumen hervor in die Sonne, und durch eine Gasse zwischen den Stämmen konnte der Fürst die ganze Gestalt der jungen Reiterin gewahren, deren Haupt und Schultern er umschimmert sah vom Feuer des Abendlichtes. Er lächelte. »So könnte ein Märchendichter die Bergfee schildern, wie sie aus den Felsen tritt, umstrahlt von dem Goldglanz, der geheimnisvoll aus den Tiefen des geöffneten Berges hervorglüht.«
Doch das Gewand der »Bergfee« war nicht aus Zindel gewoben, wie's bei den Elfen Mode ist. Ein braunes, schlichtes Röcklein schwankte faltig bis auf die Füße nieder, an deren kleinen, aber ländlich plumpen Schuhen die Nägel blitzten. Ein rot und weiß geblümtes Leibchen, einem Mieder ähnlich, umspannte die Brust; die bauschigen Ärmel des Hemdes, das mit loser Krause den Hals umschloß, verhüllten die Arme bis zu den zarten Handgelenken. Am braunen Ledergürtel hing ein kleiner Strohhut mit weißer Hahnenfeder und daneben — wie das Schulränzlein eines Bauernkindes — eine Tasche aus ungebleichter Leinwand mit roten Säumen.
Die Tochter eines Bauern? Nein! Dem widersprach nicht nur der tadellose Schnitt und die saubere Frische des wohl ländlichen, aber doch von auffälligem Sinn für malerische Wirkung zeugenden Gewandes. Solch einen schlanken, bei jugendlicher Kraft doch zart geformten Körper hat keine Bauerndirne — noch weniger solch eine sichere, selbstbewußte Haltung, um die eine Dame von Welt dieses Mädchen hätte beneiden können. Dazu dieses stolze Köpfchen! Das Gesicht war von der Sonne gebräunt, doch es hatte feingeformte Züge, ein klar und schön geschnittenes Profil. Das braune Haar, das im roten Glanz der Sonne wie blankes Kupfer schimmerte, war in zwei Zöpfe gebändigt, die sich wie ein schwerer Kronreif um die Stirne schlangen.
Ohne sich um das Grautier zu kümmern, sah die Reiterin zu den leuchtenden Wipfeln auf, und für nichts anderes schien sie Augen zu haben als für das brennende Farbenspiel der abendlichen Lüfte. Aus diesem Schauen erwachte sie erst, als das Tier, talabwärts schreitend, wieder in den Schatten des Waldes trat. Mit ruhiger Hand lenkte sie den Grauen zwischen den bemoosten Felsblöcken zu einer breiteren Waldgasse. Dann wieder begann sie das träumende Schauen, mit einem Lächeln, so innerlich und wissend, als vernähme sie aus dem Schweigen des Waldes eine Stimme, die kein anderer hörte und verstand, nur sie allein.
Das Grautier stutzte. Und da gewahrte die Reiterin den Einsamen. Nicht erschrocken, nur verwundert, machte sie mit dem Zügel eine Bewegung, verhielt das Tier und betrachtete den Regungslosen mit einem Blick, der zu fragen schien: Wer bist du? Was hast du in meinem Wald zu schaffen?
Und was für Augen sie hatte! Groß und klar und seetief. Recht die Augen, wie das Märchen sie hat!
Der Blick dieser Augen verwirrte den schauenden Träumer. Halb sich aufrichtend griff er nach der Mütze.
Da nickte die Reiterin einen stummen Dank — unter einem Lächeln, als hätte seine Verwirrung auch ihr sich mitgeteilt — und mit leisem Zuruf brachte sie das Grautier in Gang.
Er sah ihr nach. Wie der schlanke Leib beim Auf- und Niedersteigen des Tieres sich elastisch bewegte, wie sie sich neigte und das Köpfchen bald zur Rechten und bald zur Linken beugte, um den dürren Ästen auszuweichen — wieviel Schönheit lag in dieser Bewegung! Als sie talwärts ritt und zwischen den Stämmen schon zu verschwinden drohte, erhob sich der Fürst, um sie noch einmal zu sehen. Jetzt verschwand sie im Dämmerschatten des tieferen Waldes. Manchmal war noch ein gedämpfter Tritt des Tieres zu hören, immer ferner, immer leiser. Dann wieder Schweigen im Wald.
Die Drossel schlug.
Der Fürst hörte sie nicht. Er stand an die Fichte gelehnt und blickte der Tiefe des Waldes zu, wo es grauer und immer grauer wurde zwischen den Stämmen.
»Wo hab ich nur diese Augen schon gesehen?«
Er sann und forschte. Dann plötzlich fiel es ihm ein: auf einem Bild!
»Seltsam! Wie der phantastische Traum eines Künstlers sich in Wirklichkeit erfüllen kann!«
Aufatmend hob er den Blick zu den Wipfeln, deren Glanz erloschen war.
»Es dunkelt?«
Das klang wie eine erstaunte Frage — als könnte er nicht begreifen, daß jetzt die Nacht beginnen sollte.
Ohne zu wissen, daß er es tat, stieg er durch den grauen Wald bergaufwärts der Richtung zu, aus der die Reiterin gekommen war. Kaum hundert Schritt hinter der Lichtung fand er einen breiten Pfad, der zur Höhe führte — man sah im Dunkel des Waldes die steigenden Serpentinen schimmern.
»Von dort oben kam sie?«
In der Höhe des Waldes meinte er einen Schritt zu hören. Er lauschte. Aber da war's wieder still.
»Ist jemand hier?«
Nur ein dumpfes Echo gab Antwort.
Eine Weile noch stand der Fürst und lauschte. Dann stieg er den Pfad hinunter, der nach kurzer Strecke in den am Ufer des Wildbaches laufenden Talweg einmündete. Hier stand ein Wegweiser, dessen Arm zur Höhe zeigte, von welcher der Fürst gekommen war. Mit einiger Mühe entzifferte er bei der sinkenden Dämmerung die Inschrift: »Zum Steinernen Hüttl.«
Da hörte er eine rufende Stimme: »Durchlaucht!«
»Martin! Hier!«
Der Lakai kam atemlos gerannt. »Gott sei Dank! Ich war schon in Sorge,