Theodor Rohmer

Deutschlands Beruf in der Gegenwart und Zukunft


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Besten huldigen, nichts desto weniger aber sehr wohl wissen oder sehr vernehmlich fühlen, daß das Höchste noch nicht erreicht, das lebendige Evangelium, dessen die Zeit bedarf, noch nicht erschienen ist. Auf gutes Glück aber muß er es geben, weil er sich verhindert sah, auf eine logische Diskussion darüber einzugehen und demohngeachtet genöthigt war, seine Meinung unumwunden auszusprechen.

      Eben so wenig war es ihm vergönnt, die ganze Geschichte, alte und neue, in seinen Kreis zu ziehen, um daraus mit doppeltem Gewicht die Nothwendigkeit dessen, wovon er durchdrungen ist, zu erhärten. Er konnte blos Seitenblicke werfen; und bemerkt überdies insbesondere, daß alles, was in historischer Beziehung vorkömmt, nur Betrachtung über Geschichte, keineswegs Geschichte sein soll — zwei ungemein verschiedene Dinge. Ueberhaupt wollte er zunächst nicht schildern, wessen die Zeit bedarf, sondern was für Deutschland vonnöthen ist; jenes berührt den Menschen im Allgemeinen, dieses den Deutschen; auf letzteres mußte er sich in dem, was über Geschichte und Christenthum gesagt ist, beschränken.

      Da der Verfasser nicht im Sinne irgend einer Partei, sondern in deutschem Sinne zu schreiben bemüht war: so bietet er sie auch den deutschen Staatsmännern. Er kann dieß unbefangen thun, weil, obwohl er die Politik der heutigen Zeiten meist tadelnd, selten lobend besprochen hat, er sich dennoch bewußt ist, weniger Menschen und Maßregeln, als die Zeit getadelt und beklagt zu haben, deren Sklaven wir alle sind und deren nothwendige Endentwicklung er darzustellen gesucht hat. Da nun die Zeit als ein historisch Gegebenes vor ihm lag, so mußte er freilich mit derselben Offenheit sprechen, als man von früheren Epochen spricht; aber sein Ziel war eben deßhalb in allen Stücken nicht der Kampf, sondern die Versöhnung, die in einer größern Zukunft liegt. Vielleicht wundert man sich, mit welchem Rechte er dem Staatsmann eine Theilnahme an politischen Ideen zumuthet, deren Verwirklichung in der unmittelbaren Gegenwart gar nicht, in einer nähern Zukunft nur theilweise, theilweise erst in Jahrhunderten, ja wie Viele meinen werden, niemals gedenkbar sei. Allein fürs erste glaubt er, daß ein Deutscher, der die politische Stellung zu zeichnen versucht, die nach Natur und Geschichte seinem Vaterlande in Europa gehört, ohne weiteres berechtigt, ja verpflichtet sei, sich an diejenigen zu wenden, in deren Hand es liegt, die Wirklichkeit dem Ideale wenigstens mehr und mehr anzunähern. Sodann ist er überzeugt, daß das Bedürfniß einer Vermittlung der Gegensätze, und einer höhern, als bis jetzt vorhanden ist, sich Allen unabweislich geltend macht, welche in den Gang der Dinge einzugreifen berufen sind. Ferner, und nicht weniger, daß die Nothwendigkeit einer organischen, auf natürlichen Grundlagen beruhenden äußeren Politik, im Gegensatze der zögernden und momentan beschwichtigenden, tagtäglich einleuchtender und dringender gefühlt wird. Was endlich den Einfluß der Psychologie auf den Staat betrifft, so weiß jeder Staatsmann, daß die erste Kunst des Regierens darin besteht, für jede Stelle das rechte Talent, für jedes Geschäft den rechten Charakter zu finden, mit Einem Worte jeder Individualität den richtigen Platz anzuweisen; und wie weit er sich dieses auch ausführbar denke, in allen Fällen muß ihm doch ein geistiger Hebel für diese Kunst als das höchste Ziel der Staatswissenschaft erscheinen.

      Es bleibt noch übrig, einiges Einzelne zu bemerken. Was über die Organisation der Völkerstämme auf der Erde, sodann diesen entsprechend in Europa, gesagt ist, hat der Verfasser nicht in dem Sinne hingestellt, als sei damit eine neue Eintheilung der Raçen gefunden, welche er für untrüglich hielte. Was er gesagt hat, ist ihm allerdings, so weit er bis jetzt zu sehen vermocht hat, Wahrheit; seine Absicht aber war hauptsächlich die, mit Bestimmtheit zu zeigen, daß eine ursprüngliche Harmonie der Völkerordnung existire, daß diese gefunden werden, und daß die Politik auf eine solche Grundlage fußen müsse. Diese Ueberzeugung ist es, die er dem Leser einzuflößen gesucht hat; ob diejenige Harmonie, die er aufstellt, gerade die richtige sei, mag der Einzelne für sich nach Gutdünken entscheiden.

      Was im 3ten Kapitel des zweiten Theiles, Seite 73, von den französischen Prätensionen gesagt ist, bezieht sich, wie sich im Grunde von selbst versteht, nur auf die Meinung, welche die Franzosen von ihrem Berufe im Allgemeinen haben, nicht aber auf ihre Eroberungsprätensionen. Diese letztern sind zu lächerlich, das ganze französische Treiben, soweit es sich hierauf bezieht, zu verächtlich, um es in einem Buche von so ernstem Inhalt zu erwähnen.

      Der Verfasser sagt es hier ausdrücklich: er war nicht gewillt, die eigenen Gedanken und die eigenen Heilmittel den Zeitgenossen vorzutragen. Er hat sich nur berufen gefühlt, mit allem, was an ihm ist, auf ein Kommendes hinzuweisen, vor dem er sich beugt. Wohl weiß er, daß der Glaube an einen Messias zu denjenigen Dingen gehört, welche schon an sich ein übles Vorurtheil erwecken, weil nur zu leicht jugendliche Thorheit sich damit verschwistert. Indessen getröstet er sich, daß manche bedeutende Männer diesen Glauben getheilt, und Einer der größten (Lessing) ihn in einer eignen Schrift dem deutschen Volke hinterlassen hat. Er hat also gegen die, welche dergleichen von vornherein als Unsinn betrachten, einen glänzenden Schild; und die Andern mögen aus dem Inhalte des Buches selbst urtheilen.

      Vielleicht wird es Manche geben, welche mit dem, was über die politische Stellung Deutschlands gesagt ist, übereinstimmen, ohne einen innern Vorgang von der geschilderten Art für nöthig zu halten; und wieder Andere, welche mit ihm die letztere Hoffnung theilen, ohne der politischen Ansicht beizupflichten. Die ersteren wünscht der Verfasser wenigstens überzeugen zu können, daß er durch Hinweisung auf ein geistiges Ziel die praktische und reelle Tüchtigkeit, welche endlich anfängt in der Nation um sich zu greifen, nicht verkleinern, die alte Träumerei in keiner Art wieder erwecken, sondern im Gegentheil den äußeren Bestrebungen höhere, (weil innerlichere) Bedeutung hat geben wollen. Die Andern aber, daß, wie man auch von Hegemonie, von Gleichgewicht und von politischer Zukunft denken möge, — jetzt die Zeit gekommen sei, um das deutsche Volk zu einer Stufe zu erheben, die seiner würdig ist, und daß zu diesem Zweck sich ohne Zaudern alle Kräfte vereinigen sollen, die das Vaterland besitzt.

      Wenn er also die Zukunft von Deutschland an ein geistiges Ereigniß knüpft, welches zunächst nicht durch des Volkes Bemühung hervorgebracht werden kann, so glaubt er sie nichtsdestoweniger in vollem Maße abhängig von dem Verhalten der Nation. Er sieht eine göttliche Fügung hereinbrechen über das deutsche Volk, und im Bewußtsein, daß die Zeit erfüllet ist, ermahnt er es, ihr würdig entgegen zu kommen.

      So legt er das Buch dem Vaterlande vor. Seine Stimme ist gleichsam die eines Predigers:

      „Bereitet dem Herrn den Weg und machet richtig seine Steige.

      In diesem Sinne wünscht er fromm, daß sie nicht verhallen möge.

      Heidelberg am 25. August 1841.

       Der Verfasser.

      Anmerkung des literarischen Comptoir’s.

      Das literarische Comptoir bittet folgende sinnstörende Druckfehler zu verbessern:

      Seite 23, letzte Zeile, statt „inneren Kraft“ „inneren Kraft seines Vorgängers“ Seite 31, Zeile 9, statt „Gewalt bemühte“ „Gewalt; bemühte“ Seite 112, in der Anmerkung statt „liegt“ „trägt

       Das deutsche Bewußtsein.

       Inhaltsverzeichnis

      In einer Zeit, wie die unsrige ist, so bewegt nach innen, so inhaltsschwanger nach außen, schaut das Auge jedes denkenden Menschen in die Zukunft, und wer irgend fähig ist durch Geist oder Bildung, hineinzublicken in das Treiben der Geschichte, sucht durch Anschauung dessen, was ist, durch Vergleichung dessen, was war, in das verworrene Räthsel dessen, was da kommt, einzudringen. Die Deutschen, wie sie große Politiker sind und in unbefangener gründlicher Kenntniß des Auswärtigen jedem andern Volk überlegen, verfolgen jede Krise auf’s Genaueste, und was in der Levante, wie in China, in Rußland, wie in Nordamerika vorgeht, wenn es irgend