Else Ury

Die beliebtesten Jungmädelgeschichten von Else Ury


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recht, es ist wirklich besser, wenn du dir für das Geld Butter kaufst: alte Leute dürfen nicht unterernährt sein, sonst gehen sie ein, hat Vater neulich gesagt.« Da hatte Nesthäkchens glückliches Temperament die kleine Enttäuschung wegen Großmamas ausbleibenden Geschenkes bereits überwunden.

      Großmama lachte, daß sie Tränen in den Augen hatte. Auch die andern stimmten ein. »Na, dann werde ich nur all mein Geld in Butter anlegen, um nicht einzugehen, eine Arzttochter muß das ja wissen.«

      Man ging zu Tisch. Als Annemarie ihre Serviette aufhob, lag darunter ein kleines, längliches Kästchen.

      »Nanu?« Sie wurde vor Erregung rot und sah jeden der Reihe nach an.

      Aber ihr forschender Blick begegnete lauter harmlosen Gesichtern. Keiner schien mit dem Kästchen irgendwas zu tun zu haben.

      »Mach’ doch auf,« drängte Klaus, der selbst neugierig war.

      Behutsam öffnete Annemarie.

      »Ein Uhrenarmband – eine süße kleine Tularuhr! Das ist Großmuttchen gewesen, und wenn sie’s auch nicht zugeben will.«

      Großmamas Suppenteller geriet in Gefahr. Die Nudeln in der Bouillon vollführten einen wilden Wirbel, so ungestüm war Annemaries Umarmung.

      »Kind – Herzchen, du bringst mich ja in Verlegenheit. Wir waren doch eben einig geworden, daß ich dir diesmal nichts schenke,« erwehrte sich die alte Dame der lebhaften Dankesbezeigungen.

      »Jawoll.« – Doktors Nesthäkchen machte keiner so leicht dumm. »Ach, Großmuttchen, wunderschön ist sie.« Ein liebevoller Blick streichelte das neue Uhrenarmband. »Wieviel Butter hättest du dir dafür kaufen können!«

      5. Kapitel

       Nesthäkchens sechzehnter Geburtstag

       Inhaltsverzeichnis

      Am Nachmittag füllte sich der Geburtstagstisch noch erheblich. Jede der Kränzchenschwestern wollte Annemarie eine Freude machen. Vera, die Intima, hatte ihr sogar eine Handarbeit verehrt, ein wunderhübsches Sofakissen für ihr Zimmer.

      »Ich wünschen dirr Glück für deine ganze Leben, und wenn du liegen auf meine Kissen, du sollst denken, ich kissen dirr.«

      »Küssen heißt es aber,« verbesserte Margot gewissenhaft. Margot Thielen stand in ständigem Wettbewerb mit Vera, Annemaries beste Freundin zu sein. Diesmal stach sie dieselbe aber aus. Margot hatte mit großer Handgeschicklichkeit und peinlicher Sauberkeit ein Büchlein in mattrosa Seide mit weißen Lederecken selbst eingebunden und auf den Deckel in weißer Seide gestickt: »Meine Lieblingsgedichte.« Drinnen auf die erste Seite hatte sie mit ihrer schönen, akkuraten Schrift folgenden selbstverfaßten Vers eingeschrieben:

      »Was die Dichter einst ersonnen,

       Was erfüllet mich mit Wonnen,

       Was mir lieb in all den Jahren,

       Dieses Büchlein soll’s bewahren.«

      »Margot, ist das rührend von dir! Das hast du alles ganz allein gemacht?« Annemarie wußte nicht, was sie zuerst daran bewundern sollte, die hübsche Idee oder die mühselige, gelungene Ausführung. »Seht bloß mal, Kinder – wie geschickt! Du hast mir eine Riesenfreude gemacht, Margotchen!« Ein Riesenkuß besiegelte die Riesenfreude.

      »Margotchen« strahlte. Frau Doktor aber zupfte ihr Töchterchen am Ohr: »Nimm dir nur ein Beispiel, Lotte, an diesem Fleiß, dieser peinlichen Sauberkeit und Ausdauer. Kannst du so etwas machen?«

      »Nee,« gab Annemarie ehrlich zurück. »Wenigstens würde der weiße Seidendeckel bei mir sicher eine schwarze Farbe bekommen haben, so lange hätte ich daran rumgemurkst. Dafür ist Margot ja auch unser Tugendschäfchen.«

      Marlene und Ilse, die Unzertrennlichen, waren auch in ihrer Gabe unzertrennlich. Sie hatten Annemarie zusammen einen Band Storm gebracht.

      »Wir haben uns vorgenommen, dir jedes Jahr einen Band dazu zu schenken, bis du den Storm vollständig hast,« erklärte Marlene.

      »Wie alt muß ich dazu werden?« erkundigte sich Annemarie vorsichtig.

      »Es ist die Ausgabe in vier Bänden. Zu deinem neunzehnten Geburtstag sind wir fertig.«

      »Na, das werde ich ja hoffentlich erleben, tausend Dank,« lachte das Geburtstagskind.

      »Wenn wir nicht vorher miteinander schuß sind,« meinte Ilse nachdenklich.

      »Du scheinst ja nette Absichten zu haben!« – »Ilse beurteilt uns nach sich, weil sie solch kleiner Zankdeibel ist.« – »Ach wo, Ilse ist gar nicht unverträglich, wir zanken uns nie.« Das war natürlich Marlene, die sich ihres zweiten Ichs annahm.

      »Wo bleibt denn Marianne? Der Kaffee wird kalt – ach, fangen wir doch ruhig ohne sie an.« Verlangende Mädchenaugen überflogen die einladende Tafel mit den leckeren Kuchenschüsseln.

      »Es klingelt« – »das ist sie« – »wenn es Kuchen gibt, kommt unser Mariannchen sicher nicht zu spät,« so schwirrte es lustig durcheinander.

      Es war aber nicht die Erwartete, sondern Tante Albertinchen mit den weißen Pudellöckchen. Die war noch viel älter als Großmama und wackelte beim Sprechen schon mit dem Kopf. Und alle die weißen Löckchen wackelten mit. Annemarie war ihr ganz besonderer Liebling. Auch diesmal hatte sie die fleißigen Finger wieder für sie geregt und ihr einen allerliebsten weißen Mullpompadour mit Valenciennespitzen gearbeitet. »Für die weißen Sommerkleider, wenn ihr Sonntags ins Freie fahrt, Annemiechen,« erklärte sie.

      »Ja, und für die Tanzstunde im Winter! Ach, Tante Albertinchen, ist der Pompadour süß. Kein bißchen altmodisch.« Annemarie zerquetschte die zierliche kleine Tante in ihrer Begeisterung.

      »Warum sollte er denn altmodisch sein?« verwunderte sich Tante Albertinchen und zupfte ihr in Unordnung geratenes Spitzentuch wieder zurecht.

      »Na, weil du doch selbst so – – –« Annemarie stockte plötzlich und wurde rot. »Weil du selbst doch schon alt bist,« vollendete sie dann erleichtert. Da hätte sie doch bei einem Haar gesagt, »weil du selbst so altmodisch bist«. Aber das wäre ein schlechter Dank für Tante Albertinchens liebevolles Geschenk gewesen.

      Der große Napfkuchen war beinahe aufgefuttert, und auch die Streuseltorte näherte sich ihrem Ende! Und immer noch fehlte Mariannes rundes Gesicht mit dem braunen Zopfkranz im Kreise der Freundinnen.

      »Ich werde mal bei ihr anläuten, was los ist!« Das Geburtstagskind lief zum Telephon. Aber bevor sie noch Anschluß hatte, was mal wieder eine kleine Ewigkeit dauerte, erschien Marianne Davis in höchsteigener Person. Ein wenig abgehetzt, ein wenig verlegen und ein wenig verweint.

      »Was hat’s denn gegeben« – »warum kommst du denn so spät« – »au weh, da scheint es was gesetzt zu haben« – »war es wegen der Zensur?« so bestürmte man die Nachzüglerin.

      Aber Marianne schüttelte auf alle Fragen verlegen den Kopf.

      »Ich habe mich nur verspätet,« stotterte sie.

      »Das haben wir gemerkt. Aber weshalb denn, hast du was ausgefressen?« Annemarie war ziemlich neugierig.

      »Laß doch die Marianne in Ruhe, die hat viel nachzuholen,« legte sich Frau Doktor Braun ins Mittel. »Komm, setz’ dich hierher, Kind. Lotte, du sorgst für sie.«

      Das ließ sich Marianne nicht zweimal sagen. Sie stürzte sich auf Kaffee und Kuchen, als ob sie all ihren Schmerz darin versenken wollte. Annemarie legte ihr immer von neuem auf, als könnte sie dadurch ihre taktlose Frage von vorhin wieder gut machen. Allmählich bei der erheiternden Beschäftigung des Kuchenessens hob sich Mariannes gesunkener Lebensmut etwas. Als die Schokoladentorte ihr entgegenlachte, da lachte auch sie wieder.

      »Annemie, ich habe ja ganz vergessen, dir dein Geschenk zu überreichen – da – ich glaube, damit macht man einem jetzt