Else Ury

Die beliebtesten Jungmädelgeschichten von Else Ury


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und dann war sie nicht gleich da, sondern stand statt im Obstgarten auf frischem Weideland. Meckernde Ziegen sprangen hier durcheinander.

      Mitten in dem betrübten Mä–ä–äh–mä–ä–ä–äh, das so gar nicht zu den ausgelassenen Sprüngen paßte, jauchzte plötzlich ein Kinderstimmchen hell auf.

      »Bübchen!« – das war der Kleine. Annemarie ging dem Jauchzen nach.

      Am Waldrand saß Elli mit einer Handarbeit beschäftigt. Vor ihr versuchte Bübchen mit seinen kurzen, dicken Beinchen die gelenkigen Sprünge der Vierfüßler täppisch nachzuahmen. Elli hielt sich die Seiten vor Lachen. Und der Kleine jauchzte mit, weil die Mutter lachte. Da mischte sich glockenhelles Backfischlachen mit dem der zwei.

      »Na, Annemie, hast du tatsächlich aus den Federn gefunden?« empfing sie die Cousine lustig. »So’n Kindermädel kann ich brauchen, das erst um zehn Uhr aufsteht.«

      »Ach, Elli, ist es denn wirklich schon so spät?«

      »Ja, warst du am Ende gar mit Vater heute früh auf dem Felde und bist schon wieder zurück?« Elli machte ein scheinheiliges Gesicht.

      »Freilich, einen Weizenschlag habe ich bereits geschnitten,« ging Annemarie auf den Scherz ein.

      »Nur schade, daß wir jetzt gerade bei der Roggenernte sind.« lachte sie Elli aus. »Wärst du eher gekommen, hätte ich der Mutter beim Safteinkochen helfen können.«

      »Ich werde es statt deiner tun,« versprach Annemarie großartig. »Tante Käthchen muß doch wissen, daß ich überhaupt schon aufgestanden bin.« Schnell noch das jauchzende Bübchen ein paarmal auf dem grünen Samtteppich herumgekugelt, dann trabte Annemarie der Wirtschaftsküche zu. Im respektvollen Bogen um das Weideland; denn so viele durcheinanderspringende Ziegenbeine sind nicht gerade vertrauenerweckend.

      An dem Riesenherd, der die Mitte der im Kellergeschoß gelegenen Küche einnahm, stand Tante Käthchen mit erhitztem Gesicht, das nicht weniger rot war, als der rote Saft, den sie im kupfernen Kessel rührte. Mamsell war mit Durchpressen der »Bären« beschäftigt.

      »Morgen, Tante Käthchen. Kann ich helfen?«

      »Freilich, mein Mädel, bist du auch ausgeschlafen?«

      »Ach, Tante Käthchen, morgen werde ich euch schon beweisen, daß nur meine stehengebliebene Uhr an meinem späten Aufstehen schuld war.«

      Annemarie kam geschäftig Tante Käthchens Weisung, das Seihtuch über ein breites, niedriges Holzfaß zu breiten, nach.

      »Halte fest, Annemie, ganz fest halten!« Tante Käthchen und Mamsell ergriffen Schöpfkellen und begannen den purpurnen Beerensaft durch das Tuch durchlaufen zu lassen.

      Das Tuch wurde heiß. Es wurde schwer und klebrig. Annemarie begannen die Arme zu erlahmen. Und noch war der Riesenkessel über die Hälfte voll. Immer mehr – immer mehr – endlos, ohne Pause rann der heiße, rote Saft durch das ausgebreitete Tuch. Annemarie ertappte sich bei der Überlegung, daß Virgil übersetzen noch lange nicht das schlimmste im Leben sei. Dabei wurden einem doch nur die Gedanken lahm und nicht die Arme.

      Durch das offene Küchenfenster surrte eine große, schwarze Hummel herein. Mit lautem, tiefem Brummen umkreiste sie die neue Köchin; die hatte sie hier doch noch nie gesehen. Oder lockte sie etwa der süße, rote Saft an? Jedenfalls wurden die Kreise um Annemaries Blondkopf immer kleiner – »ein Ungetüm – ein schwarzes Ungetüm –« Annemarie ließ Saft Saft sein und fuhr mit der Hand gegen die rosige Wange, auf welche das schwarze Ungetüm gerade heimtückisch seinen Angriff unternommen.

      Plumps – da lagen Tuch, Saft, Beeren und Kerne im trauten Beieinander im Faß.

      »Aber Mädel, du solltest doch ganz fest halten. Nun ist die ganze Arbeit umsonst.« Tante Käthchen unterdrückte mit Mühe ihren Unmut.

      »Schimpfe bloß nicht, Tante Käthchen, aber das schwarze Biest wollte mich bestimmt stechen.« Eigentlich war Annemarie ganz froh, daß sie auf diese Weise von der ermüdenden Arbeit loskam. Denn jetzt war es zum Glück zu spät, um noch mal von vorn zu beginnen. Vom Dorf her läutete es bereits Mittag. Es wurde in Arnsdorf pünktlich um zwölf Uhr gespeist.

      In dem kühlen Eßzimmer mit den schweren Humpen rings an den Wänden auf dunkelgetäfeltem Holzgesims fanden sich die Familienmitglieder wieder zusammen.

      Vater und Sohn brachten rechtschaffenen Hunger vom Felde mit heim.

      »Guten Morgen, Annemie – na, ist dir der nächtliche Überfall der Polen gut bekommen?« erkundigte sich Peter mit besonderer Freundlichkeit

      Ehe Annemarie noch den Hieb mit einer schlagfertigen Antwort parieren konnte, hatte der Hausherr wütend mit der Faust auf den Tisch geschlagen, daß der volle Suppenteller auf die Wachstuchdecke überschwippte.

      »Bei den Mahlzeiten will ich wenigstens meine Ruhe haben. Den ganzen Vormittag muß man sich mit den polnischen Arbeitern herumärgern – tun jetzt schon, als ob sie die Herren hier auf dem Gut wären und verweigern allenthalben den Gehorsam – und kaum ißt man den ersten Löffel Suppe, geht’s wieder mit den Polen los.« Annemarie hätte niemals gedacht, daß der nette Onkel Heinrich so böse werden könnte!

      »Es war ja nur ein Scherz, Onkel Heinrich. Der Peter wollte mich doch nur necken,« nahm sie sich des Vetters an, trotzdem der das eigentlich nicht um sie verdient hatte.

      Onkel Heinrichs helle Blauaugen blickten wieder freundlich auf den jungen Gast. Es kam ihm wohl erst jetzt zum Bewußtsein, daß er sich zu sehr durch unliebsame Gerüchte, die wieder im Dorfe über das Anrücken polnischer Truppen im Umlauf waren, hatte fortreißen lassen.

      »Ja, siehst du, Kleines, wenn du mich mit der Ernte im Stich läßt, bin ich auf die Polacken angewiesen,« lenkte er ein.

      »Ich kann ja vielleicht heute nachmittag zur Erntearbeit antreten,« schlug Annemarie vor. »Da bin ich wenigstens ganz sicher, daß ich nicht verschlafe.«

      »Wer weiß auch,« äußerte Herbert seine Bedenken. »Hinten im Garten zwischen den Fichten ist die Hängematte angebracht, da kann man sehr schön bis zum Abend durchschlafen.«

      »Ich will dir den Platz nicht streitig machen,« gab Annemarie lustig zurück.

      Punkt drei Uhr stand Doktors Nesthäkchen, wie verabredet, am Hoftor, um den Onkel, der sein Mittagsschläfchen gemacht, zu erwarten. Auch Peter und Waldmann stellten sich ein.

      »Hättest dir was auf den Kopf setzen sollen, Mädel, die Sonne meint es noch gut,« gab Onkel Heinrich zu bedenken.

      »Hole dir doch einen Sonnenschirm herunter statt der Sense. Das wäre doch mal was Neues bei der Ernte.« Eigentlich wäre es netter gewesen, wenn Peter nicht mitgekommen wäre. Am Ende blamiert sie sich vor ihm.

      »Ich möchte gern doll braun brennen. Wir haben alle sechs im Kränzchen gewettet, wer nach den Ferien am knusperigsten sein wird. Die an der See haben’s ja leichter. Ich glaube, Margot Thielen, die zu Hause bleiben mußte, reibt sich jeden Tag das Gesicht mit Salzwasser ein und setzt sich dann auf den Balkon in die Prallsonne, um nicht zurückzustehen.«

      Ein Karrenweg, blendend weiß in der grellen Mittagssonne, zog sich durch insektendurchsummte Wiesen. Purpurne Steinnelken, Glockenblumen, leuchtend blau, weiße Margueriten und goldener Löwenzahn blühten und glühten im Sonnenglanz. Das Stadtkind brachte es nicht über sich, daran vorüberzugehen. Es begann hier und da zu pflücken und die Blumen zum Strauß zu ordnen.

      »Nennst du das vielleicht Erntearbeit? Die Heumahd ist schon vorbei,« zog sie der Vetter auf.

      »Annemie, wenn wir in diesem Schneckentempo weiterkriechen,« Onkel wandte sich zu der Zurückbleibenden um, »sind wir morgen bestimmt an Ort und Stelle.« Da steckte Annemie schnell den bunten Strauß an ihr Mieder und eilte den beiden nach.

      An der Fohlenkoppel vorüber, an üppigem, von kleinen Bächlein umrieseltem Weideland vorbei. Eine Herde Kühe lag hier faul und wiederkäuend im Grünen. Ihre Glocken klangen melodisch durcheinander. Unweit vom Wege stand ein prächtiges buntscheckiges