Else Ury

Die beliebtesten Jungmädelgeschichten von Else Ury


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      Zuerst ging auch alles tadellos. Wenn nur der liebe Gott keine Kühe erschaffen hätte. Die hatten mit einemmal die Unverfrorenheit, von der Weide heimkehrend, sich mitten auf der Dorfstraße aufzupflanzen. Aus ihren großen Glotzaugen sahen sie verächtlich auf das kutschierende Stadtdämchen.

      »Zügel fester fassen – durch!« kommandierte Peter.

      Was – mitten durch die Kuhherde sollte sie fahren? Nee, das konnte kein Mensch von ihr verlangen. Die Kühe kannten sie noch nicht, wie leicht konnte eine mit den großen Hörnern ihr in die Beine pieken.

      Die Gäule fühlten die Unsicherheit des neuen Kutschers. Auch sie wurden unruhig, begannen sich zu bäumen und vor der Herde zu scheuen.

      Die Kühe brüllten vor Schreck: lauter aber noch brüllte Doktors Nesthäkchen. »Onkel Heinrich – die Kühe fressen unsere Pferde auf!« Da hatte Peter schon in die Zügel gegriffen und mit Fachkenntnis die Braunen zum Stehen gebracht.

      »Dämelsack – wie kann man bloß vor Kühen Angst haben!« Der galante Vetter sah noch verächtlicher drein als die Kühe.

      Hinter ihnen aber erschallte dröhnendes Gelächter. »Bist ja ein Mordsmädel, daß du vor ’ner Kuhherde umwirfst.« Und mit Onkel Heinrich lachte der Herr Pastor, daß sein schwarzes Samtkäppchen in dem offenen Fenster des Predigerhauses auf und nieder wippte. Da lachten und tuschelten die Mädel, die an der Dorflinde die Köpfe zusammensteckten. Die Hühner gackerten und lachten. Das goldene Kreuz auf dem Kirchturm blitzte und lachte im Abendschein. Und sie selbst, die Abendsonne, grinste über das ganze breite Strahlengesicht und übergoß Annemarie mit Purpurröte.

      So hielt Doktors Nesthäkchen seinen Einzug in Arnsdorf.

      Als Tante Käthchen, Mutters Schwester, dann ihren jungen Gast so herzlich in die Arme schloß, und Annemarie feststellen konnte, daß sie nicht mehr kleiner war als die Tante, ward das kleine Mißgeschick schnell vergessen. Da stand Cousine Elli, und ihr allerliebstes Bübchen streckte Annemarie zum Willkomm die Ärmchen entgegen. Da war Herbert, der zwanzigjährige Vetter, der das kleine Cousinchen früher immer geneckt hatte.

      »Junge, du hast ja inzwischen einen Schnurrbart gekriegt!«

      »Deiner wächst auch noch, Annemie, wenn du nur erst Student bist.« Gleich zog er sie mit ihrer Gelehrsamkeit auf.

      Da reichte ihr der alte August, der schon zu Lebzeiten von Onkel Heinrichs Vater auf dem Hofe gewesen, treuherzig die schwielige Hand, da klapperte Mine immer noch mit buntgeringelten Strümpfen in ihren Holzpantinen herum. Pluto war da, der große Neufundländer, vor dem Nesthäkchen einst den größten Respekt gehabt. Und Waldmann, Onkels Dackel, watschelnd und krummbeinig, von dessen Klugheit man Wunderdinge berichtete. Alles vertraut, und doch wieder neu und verwandelt.

      Der Abendbrottisch auf der mit Kletterrosen umsponnenen Veranda erregte des Großstadtkindes helle Begeisterung.

      »Haach – saure Milch! Die ist in Berlin während des Krieges ganz unmodern geworden. Und Schinken! Den kenne ich nur noch vom Erzählen her, wie aus einem Märchen. Soviel Schnitten könnt ihr essen? Kommt ihr denn da mit eurer Brotration aus?« Annemarie erregte die größte Heiterkeit mit ihren Fragen.

      »Na, wie eine verhungerte Berlinerin siehst du nicht aus, Mädel.« Onkel Heinrich kniff sie in die rosigen Wangen.

      »Weil ihr für uns und Großmama immer so feine Futterpakete schickt,« gab Annemarie lachend zurück.

      »Damit wird es bald geschnappt haben, wenn wir erst polnisch sind,« warf Peter gemütlich kauend ein.

      »Was – hier in Oberschlesien werdet ihr auch polnisch? Na, ich habe die Polen sehr gern. Die Mutter meiner besten Freundin war auch eine Polin. Veras Vater ist in der Karpathenschlacht gefallen und ihren Bruder hat sie seit Jahren nicht gesehen, der ist bei polnischen Verwandten.« Annemaries Mündchen schwabberte lustig drauf los, so daß sie gar nicht merkte, wie des Hausherrn blonde Augenbrauen sich zornig zu einem kleinen Borstenwald zusammengezogen. Daß Tante Käthchen dem unentwegt kauenden Peter vorwurfsvoll zuwinkte, und daß Elli und Herbert verlegene Gesichter machten.

      Die Familienmitglieder vermieden es, von der bevorstehenden möglichen Besetzung des an der Grenze gelegenen Landstriches durch die Polen zu sprechen. Geriet der Vater doch jedesmal in helle Wut, daß deutsches Land in polnische Hände geraten sollte.

      Annemarie in ihrer glücklichen Unbefangenheit merkte die schwüle Pause nicht, die eingetreten war.

      »Beinahe hätte ich nicht kommen können,« plauderte sie munter. »Vorgestern wußte man noch nicht, ob die Eisenbahner nicht mehr streiken würden. Margot Thielen, das ist auch meine beste Freundin, war schon selig, daß ich zu Hause bleiben mußte. Ja, Kuchen! Jetzt sitze ich hier unter Ochsen und Gänsen – – –«

      »Sehr schmeichelhaft, in welcher Gesellschaft du dich hier befindest.« Da war die Wolke von Onkel Heinrichs Stirn vor Annemaries unbefangener Fröhlichkeit zerstoben.

      »Wir wollen dich hier schon rausfuttern, mein Mädchen. Unterernährt seid ihr alle in der Großstadt.« Tante Käthchen hatte ihre helle Freude an dem munteren Ding.

      »Dazu bin ich nicht hergekommen, Tante Käthchen,« versicherte Annemarie. »Ich soll doch bei der Ernte helfen.«

      »Hahaha.« Die Vettern lachten wie aus einem Munde.

      »Da kommt so was aus Berlin, kann Virgil und Cicero übersetzen, aber nicht Gerste von Weizen unterscheiden, und will bei der Ernte helfen. Na, die muß gut werden!«

      »Du brauchst dich gar nicht so aufzuspielen, Herbert.« Zwanzigjährige junge Herren imponierten dem Backfisch noch lange nicht. »Wollen es erst mal abwarten, wer mehr hilft, du oder ich.«

      »Na, dazu gehört nicht viel, den Herbert auszustechen,« belustigte sich Elli an dem Wortstreit. Denn der Älteste, der jetzt nur auf Ferien zu Hause eine Gastrolle gab, war ein mächtiges Faultier und zeigte wenig Interesse für die Landwirtschaft. Darum wollte er auch später das Gut nicht übernehmen, sondern studierte Maschinenbaufach.

      »Nimm dich nur vor Kühen in acht, wenn du bei der Ernte helfen willst, Annemie.« Peter kniff in infamer Weise das linke Auge zu. »Die sollen manchmal wild werden und stoßen.«

      Vorläufig stieß Annemarie, und zwar knuffte sie heimlich unter dem Tisch den abscheulichen Vetter, ganz, als wenn sie es mit Klaus zu tun gehabt hätte.

      Das Glas Milch, das Tante Käthchen ihr schon zum zweitenmal gefüllt, flog von der Erschütterung um.

      O weh – war Tante Käthchen sehr böse? Sie drohte nur lächelnd: »Gut, daß wir eine Wachstuchdecke haben und kein Tischzeug.«

      »Na, Hanne würde anders schimpfen, wenn ich die schöne Milch umgieße. Soviel kriegen wir alle zusammen nur jeden Übertag.« Annemie sah bedauernd auf den weißen See. Wenn sie den doch im Brief hätte nach Hause schicken können!

      »Ich habe Annemarie zur Erntearbeit herbeordert,« ließ sich Onkel Heinrich, große Rauchwolken aus seiner Pfeife herausstoßend, vernehmen. »Morgen früh um vier geht’s aufs Feld, verstanden?«

      »Um vier schon?« Entsetzte Blauaugen starrten Onkel Heinrich an. »Da lohnt’s ja gar nicht erst ins Bett zu gehen.«

      »Du denkst wohl, hier wird dem gnädigen Fräulein die Schokolade um neun Uhr ans Bett gebracht?« zog sie Peter auf.

      »Nee, das ist in Berlin auch nicht der Fall. Da muß ich um acht schon im Gymnasium sein. Und überhaupt, ich bin erst neulich um halb fünf aufgestanden, wie wir auf Hamsterfahrt gingen,« verteidigte sich das Backfischchen.

      »Laßt mir das Kind in Ruhe, das soll sich hier erholen,« nahm sich Tante Käthchen ihres Nichtchens an. »Schlaf dich ruhig aus, Annemie, und wenn du später mir im Garten, beim Geflügel und in der Milchkammer helfen willst, werde ich mich freuen.«

      »Ja, hilf nur im Haushalt, daß du kein Blaustrumpf wirst.« Der Peter war beinahe noch ekliger als der Klaus.

      »Ein Kindermädel