Else Ury

Die beliebtesten Jungmädelgeschichten von Else Ury


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die Entchen, sobald die Kleine ihr Frühstücksbrot herauszog, herangeschwommen und luden sich zu Gaste.

      Besonders eine Ente war Annemies Liebling. Die war viel schöner als alle die anderen. Sie hatte ein Federkleid, das war rot, grün und gelb und sah aus, als ob es aus lauter Puppenlappen zusammengesetzt sei. Zuerst hatte Annemie geglaubt, die Ente sei gar nicht lebendig, sondern nur ein Spielzeug. Aber als sie den anderen Entchen die meisten Brocken fortgeschnappt, hatte sie Proben von ihrer Lebendigkeit gegeben. Hanne mußte jetzt immer ein Brötchen mehr zum Frühstück schneiden, damit die Entchen auch satt wurden.

      Auch viele Schiffe konnte Annemie auf dem Kanal bewundern, kleine und größere. Die hatten schrecklich viele Bausteine oder Kohlen in ihren großen Holzleib eingeladen.

      Als Nesthäkchen eines Tages an Fräuleins Hand wieder die Uferpromenade entlangspazierte, sah sie ihre Entchen schon von weitem. Sie bildeten ein großes Federknäuel im Wasser, dicht neben einem Schiff mit Ziegelsteinen.

      Annemie zog ein Brötchen heraus. Aber kein Entchen kam herzugeschwommen, nicht einmal ihre besondere Freundin, die bunte.

      »Quack, quack, quack, quack, quack« – machte Annemie und schnalzte dabei mit der Zunge. Aber auch auf diese Einladung hin kamen die Entlein nicht näher.

      »Entchen, kennt ihr mich denn nicht mehr – ich bin ja die Annemie!« rief das kleine Mädchen ganz betrübt zur Belustigung der Vorübergehenden.

      »Wirf ihnen nur ruhig ein Stückchen Brot ins Wasser, du sollst mal sehen, wie schnell sie da herbeikommen werden«, riet Fräulein.

      Annemie tat, wie ihr geheißen. Aber kein Entchen schwamm herzu. Ob die Kleine auch mit schallender Stimme rief: »Entchen, es ist ja Leberwurst drauf« – nicht einmal die Leberwurst konnte sie locken.

      Inzwischen war Fräulein mit Annemie dem Ziegelsteinschiffe nahe gekommen.

      »Ei, jetzt weiß ich auch, weshalb deine Entchen heute das Frühstück verschmähen,« lachte Fräulein, »ihr Tischlein ist schon wo anders gedeckt. Sieh nur, Annemiechen, drüben auf dem Schiff steht ein kleines Mädchen mit einem großen Musbrot in der Hand, das füttert sie.«

      »Es sind aber meine Enten!« Annemie fing beinahe an zu weinen.

      Das kleine Mädchen auf dem Schiff mußte wohl Annemaries lauten Ausruf vernommen haben. Es hielt plötzlich damit inne, Brotkrümchen ins Wasser zu werfen, und staunte das feine kleine Mädchen am Ufer bewundernd an. Vor lauter Staunen vergaß es sogar, sein Musbrot selbst weiter zu essen.

      Als die Entchen merkten, daß es nichts mehr gab, machte die undankbare Gesellschaft kehrt und schwamm ans Ufer zu Annemie.

      Die hopste vor Freude.

      »Na, da seid ihr ja alle, schämt ihr euch denn gar nicht, mir erst jetzt ›guten Tag‹ zu sagen? Wenn ich nun schon mein Frühstück allein aufgegessen hätte?« So plauderte die Kleine, unbekümmert um die Vorübergehenden.

      Die Entchen antworteten: »Quack – quack – quack« und schnappten sich gegenseitig die besten Bissen fort.

      »Sieh nur, Annemie, wie niedlich das Schiff ist, auf dem das kleine Mädchen dort drüben steht. Wie ein grünes Häuschen sieht die Wohnung aus, und was für saubere Gardinen an den kleinen Fensterchen hängen«, machte Fräulein Nesthäkchen aufmerksam.

      »Ja, und die hübschen Blumen, die in dem großen, grünen Kasten blühen, das ist sicherlich ihr Gärtchen«, meinte die Kleine. »Ach, bitte, liebes Fräulein, wenn wir über die Brücke auf die andere Seite des Wassers gehen, kann ich mir das Schiff ganz in der Nähe angucken.«

      Fräulein tat Annemie den Gefallen.

      Unterwegs, während ihnen die Entchen das Geleit gaben, mußte Fräulein eine Flut von Fragen über sich ergehen lassen.

      »Wieso wohnt das kleine Mädchen auf einem Schiff und nicht in einem richtigen Haus, Fräulein?«

      »Weil sein Vater Schiffer ist«, war die Antwort.

      »Ich wollte, mein Vater wäre auch Schiffer!« sagte Nesthäkchen mit einem tiefen Seufzer.

      »Aber Kind, warum denn bloß?«

      »Dann dürfte ich auf dem Schiff rumklettern, ohne daß du gleich Angst hättest, daß ich ins Wasser falle, und die Entchen würden dann den ganzen Tag um mich herumschwimmen und – und das Allerschönste wäre, daß ich in dem niedlichen kleinen Häuschen wohnen könnte«, zählte Nesthäkchen sehnsüchtig sämtliche Vorzüge des Schiffslebens auf.

      »In deiner Kinderstube ist es sicher viel schöner«, beruhigte sie Fräulein.

      »Hat das kleine Mädchen auch eine Puppenküche?«

      »Ich glaube nicht«, meinte Fräulein.

      »Aber eine Mutti hat sie doch?«

      »Ich denke, ganz sicher«, fiel zu Annemies Erleichterung Fräuleins Antwort aus.

      »Auch eine Großmama?«

      Dies schien Fräulein zweifelhafter.

      »Ob sie wohl so viele Puppen hat wie ich?« fragte das Plappermäulchen schon wieder, bevor Fräulein sich noch von der vorhergehenden Frage verschnaufen konnte.

      »Annemie, du bist ja heute ein lebendiges Fragezeichen auf zwei Beinen! Frage das kleine Mädchen doch selbst danach, wir sind ja jetzt dicht am Schiff angelangt.«

      Aber das brachte das schüchterne, kleine Ding nicht fertig. Trotzdem Fräulein sich in der Nähe auf eine Bank setzte, um Annemie Gelegenheit zur eingehenden Betrachtung des Schiffes und seiner kleinen Bewohnerin zu geben.

      Diese mochte wohl in Annemies Alter sein. Sie hatte ebenfalls zwei festgeflochtene Rattenschwänzchen, aber die waren noch viel flachsblonder als Annemaries Goldhärchen. Ein kurzes, rotes Röckchen trug sie und darüber eine kleine, blaue Küchenschürze.

      »Ganz wie Hanne!« dachte Annemie voll Bewunderung. Aber als sie jetzt ihre Augen von dem sonnenverbrannten, musbeschmierten Gesichtchen der Kleinen weiter wandern ließ bis zu deren Füßen, da hatte Annemies Bewunderung ihren Höhepunkt erreicht.

      Holzpantinen – niedliche kleine Holzpantinen, gerade solche, wie sie Hanne beim Scheuern und bei der Wäsche trug, die stets Nesthäkchens höchstes Entzücken hervorgerufen, hatte das kleine Mädchen über ihren rot und blau geringelten Strümpfchen. Nie hätte Annemie gedacht, daß ein Kind so glücklich sein könnte, Holzpantinen wie Hanne zu besitzen!

      Und während Annemie das kleine Schiffermädel so glühend beneidete, wie ihr das nur bei ihrem guten Herzchen möglich war, hegte dieses ganz ähnliche Gefühle.

      Ach, das feine weiße Stickereikleid, welches die kleine Fremde trug, und der weiße Hut mit den rosa Gänseblümchen! Am schönsten aber fand Lenchen – so hieß das kleine Schiffermädchen – die weißen Stiefelchen und die weißen Wadenstrümpfchen. Sie schämte sich ordentlich ihrer häßlichen Holzpantinen.

      So schauten sich die zwei gegenseitig in stummer Bewunderung an.

      Aber als ihre Augen sich bei dieser Beschäftigung begegneten, mußte Annemie lachen.

      Da nickte ihr Lenchen freundlich zu.

      Nun traute sich Annemie endlich, eine Unterhaltung zu beginnen.

      »Wie heißt du?« fragte sie, legte die Händchen an den Mund und schrie dabei, als ob Lenchen Gott weiß wie weit von ihr fort gewesen wäre. Dabei lag das Schiff dicht am Ufer, und die Kleine war bis an die Schiffsbrüstung herangekommen.

      »Lenchen,« klang es vom Schiff zurück, »und du?«

      »Ich heiße Annemarie, aber Fräulein nennt mich Annemie, und Vater und Mutti sagen Lotte zu mir, wenn ich artig bin!« rief Annemie, etwas weniger brüllend, da sie sah, daß man sich auch leiser verständigen konnte.

      Natürlich, das feine kleine Mädchen hatte drei Namen, das erschien Lenchen nur selbstverständlich. Wenn man so schöne weiße Stiefelchen besaß, konnte man