Else Ury

Die beliebtesten Jungmädelgeschichten von Else Ury


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noch weniger, und nun noch gar Riesen-Riesenbitten. Nee, dafür war Kläuschen ganz und gar nicht zu haben.

      »Dann du, Hänschen, nicht wahr, du tust mir den Gefallen?« Die kleine Schmeichelkatze begann zärtlich mit ihren Tintenfingerchen das Gesicht des Tertianers zu streicheln.

      »Erst muß ich wissen, was es ist.«

      »Deine Botanisiertrommel – nicht wahr, du leihst sie mir morgen. Glaubst du wohl, daß zehn Stullen hineingehen, Hänschen?«

      »Du sogar noch dazu, Kleines«, lachte der gute Bruder, langte die große, grüne Trommel vom Nagel und hängte sie Klein-Annemarie um die Schulter. Tatsächlich, sie war nicht viel kleiner als Nesthäkchen selbst.

      »Du bist mein aller – allerbestes Hänschen.« Annemarie war ganz und gar von Dankbarkeit erfüllt.

      Aber Klaus schämte sich jetzt seiner unfreundlichen Abweisung, als er das gute Beispiel seines Bruders sah.

      »Wenn du mein Schmetterlingsnetz zu der Landpartie haben willst, meinetwegen«, sagte er zögernd, indem er seinem Herzen einen Stoß gab.

      Nun hatte Annemarie eigentlich bisher gar nicht daran gedacht, das Schmetterlingsnetz von Klaus mitzunehmen. Aber was einem geboten wird, muß man ergreifen. Allzu oft kamen solche Liebenswürdigkeiten bei Kläuschen nicht vor.

      »Wenn es nun aber morgen regnet?« fragte Klaus plötzlich.

      »Dann hört es wieder auf!« schrie Nesthäkchen wütend. Der dumme Klaus hatte immer so abscheuliche Ideen.

      »Was meinen Sie, Hanne,« fragte Annemarie zweifelnd ihre gute Freundin Hanne, »ob es morgen wohl regnen wird?«

      »Is schon möglich,« war die nicht sehr verheißungsvolle Antwort, »in meiner großen Zehe muckert es wieder.«

      Aber trotzdem es in Hannes großer Zehe muckerte, schaute am nächsten Morgen die goldene Sonne auf das schlafende Nesthäkchen herab. Denn artige Kinder sieht die liebe Sonne gern, da versteckt sie sich nicht hinter Wolken. Und wenn Annemarie schlief, war sie immer artig.

      Hurra – jubelnd ließ sich die Kleine fertigmachen. Mit hellblauem Waschkleidchen und blauem Leinenhut angetan, stolzierte Annemarie, in der einen Hand das Regenschirmchen, in der andern das Schmetterlingsnetz von Klaus, durch alle Zimmer.

      »Lotte, versprichst du mir auch, artig und nicht zu wild zu sein und keine Dummheiten zu machen?« Wohl schon zum dritten Male fragte es die Mutter.

      Nesthäkchen versprach alles. Es war ja so unmenschlich glücklich, daß es mitdurfte.

      Hanne brachte die Botanisiertrommel mit Butterbroten. Aber trotzdem dieselben reichlich bemessen waren, blieb noch viel Platz darin.

      »Ob ich« – überlegte Annemarie, und kaum war dieser Gedanke in ihrem Köpfchen aufgetaucht, da hatte sie ihn auch schon ausgeführt.

      Gerda, ihr Liebling, die ihr den ganzen Morgen schon leid getan hatte, weil ihre blauen Glasaugen gar so sehnsüchtig die Vorbereitungen zur Landpartie verfolgten, Gerda saß plötzlich in der grünen Botanisiertrommel. Neben sämtlichen Stullen, sie ging gerade noch rein. Dagegen konnte Fräulein Hering nichts haben, Puppe Gerda nahm doch keinem einen Platz weg.

      Nachdem Klein-Annemarie von Vater noch zehn Pfennige und von Mutti ebenfalls einen Groschen geschenkt bekommen hatte, mit der Weisung, das Geld aber nicht zu vernaschen, sondern einen guten Gebrauch davon zu machen, konnte es endlich losgehen. Die Mark wollte Fräulein, die Annemarie zum Dampferanlegeplatz brachte, lieber selbst der Lehrerin übergeben, sonst verlor Annemarie sie unterwegs noch.

      »Viel Vergnügen – sei artig – trinke nicht, wenn du erhitzt bist!« so klang es noch hinter dem selig mit Botanisiertrommel und Schmetterlingsnetz abziehenden Nesthäkchen her. Aus der Nebentür wurde Freundin Margot mit ähnlichen Mahnungen entlassen.

      Es war ein hübsches Bild an dem Dampferplatz der Spree. Lauter kleine Mädelchen mit rosigen Gesichtern und erwartungsvoll glänzenden Augen. Zuerst wurde der Lehrerin die Mark Zehrgeld abgeliefert. Nun zählte Fräulein Hering die ihr anvertrauten Schützlinge, ob alle beisammen wären, dann endlich durften die ungeduldigen Kleinen auf den Dampfer hinauf.

      Mit der Wasserfahrt, die den Kleinen am verlockendsten an dem ganzen Ausflug erschienen war, erging es ihnen, wie es einem oft im Leben ergeht. Als sie anfing, als die Wellen so lustig um den Dampfer tanzten und der weiße Schaum so übermütig sprudelte, war es herrlich. Und als sie zu Ende war, da war es noch viel herrlicher. Den quecksilberigen Kleinen wurde das Stillsitzen zu lang, denn Fräulein Hering erlaubte nicht, daß auf dem Dampfer herumgelaufen wurde.

      Annemarie und Margot, die beiden kleinen Freundinnen, saßen natürlich zusammen. Sie schauten beide einträchtig in die schwarze Wassertiefe, in der es so lustig von kleinen Dampferwellen sprudelte.

      »Annemarie, lege dich nicht so weit über das Geländer hinüber!« rief Fräulein Hering warnend.

      Aber Annemarie hörte nicht. Sie mußte sehen, wo die niedliche, kleine Welle hinsprang.

      Da griff der Wind aus Ärger über das ungehorsame Kind plötzlich nach Annemaries Leinenhütchen.

      Hui – riß er es ihr von den Locken, hui – wirbelte er es mittenhinein in die tanzenden Wellen.

      »Mein Hut – halt – mein Hut!« schrie die Kleine erschreckt, »ach, lieber Herr Kapitän, halten Sie doch bloß einen Augenblick an, daß ich mir mein Hütchen wiederangeln kann.« Sie versuchte mit dem Schmetterlingsnetz vergebens, den Ausreißer zu erwischen. Da – o Pech – entglitt der Stock den kleinen Händen – Kläuschens Schmetterlingsnetz segelte hinter dem blauen Leinenhütchen her, nach Berlin zurück.

      Die Kinder waren sämtlich in begreiflicher Aufregung, während Annemarie den Ausflug, auf den sie sich so unbändig gefreut, gleich mit Tränen einweihte.

      »Mutti wird schimpfen und Fräulein auch, daß ich so unachtsam gewesen bin«, jammerte sie. »Ach, und was wird Kläuschen zu seinem Schmetterlingsnetz sagen?«

      Fräulein Hering hatte einen Schiffsjungen veranlaßt, mit einer langen Stange Jagd auf Annemaries Hut zu machen. Aber die Strömung war zu stark, pfeilschnell schwammen Hut und Netz davon, auf Nimmerwiedersehen.

      »Wo reist mein Hütchen jetzt hin?« erkundigte Klein-Annemarie sich bei der sie freundlich tröstenden Lehrerin.

      »Erst die Spree entlang und dann in die Havel, denn dort hinein mündet die Spree«, belehrte sie Fräulein Hering.

      »Und dann?«

      »Dann geht’s in die Elbe und von dort in das Meer.«

      »Ach« – Nesthäkchen riß die Blauaugen kugelrund vor Verwunderung auf. Solch eine große Reise machte ihr Hut, am Ende gar bis nach Afrika! Fast tat es der Kleinen leid, daß sie nicht selbst ins Wasser gefallen war und die weite Seereise mitmachen konnte.

      »Ich habe von meinem Papa einen Groschen geschenkt bekommen, vielleicht kannst du dir dafür einen neuen Hut kaufen.« Die gute kleine Margot wischte mit ihrem Tüchlein Annemaries nasses Gesichtchen ab.

      »Danke schön, Margotchen, aber ich habe auch Geld bekommen, zwei Groschen sogar.« Ganz gerührt war Nesthäkchen von der Uneigennützigkeit ihrer Freundin.

      Zum Dank öffnete sie ihre Botanisiertrommel, freilich nur einen Spalt breit, und ließ Margot hineinschauen.

      »Haach!« machte die, als sie die eingeschmuggelte Puppe erblickte, aber Annemarie hielt ihr schnell den Mund zu.

      »Nicht verraten!« flüsterte sie dabei.

      Nun hatten die beiden kleinen Freundinnen ihr erstes Geheimnis miteinander.

      Endlich war man am Ziel. Am grünen Strand der Spree. Paarweise ging es durch den rauschenden Wald in das Forsthaus, in dem das Frühstück eingenommen werden sollte. Hell erschallte es von fünfzig Kinderkehlen: »Das Wandern ist des Müllers Lust.«

      Auf weichem Moosteppich standen lange Holztische. Die nette Frau Försterin