Else Ury

Die beliebtesten Jungmädelgeschichten von Else Ury


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Hering aber konnte sich nicht helfen, sie mußte laut lachen.

      »Nicht wahr, der liebe Gott tauscht mir das olle Zigarrending doch um oder gibt mir wenigstens meinen Groschen wieder?« fragte Klein-Annemarie schluchzend mit rührendem Vertrauen.

      »Der liebe Gott?« verwunderte sich die Lehrerin.

      »Na ja, der liebe Gott kriegt doch das Geld vom Automaten«, belehrte sie ihre kleine, weinende Schülerin.

      »Aber Kind, wie kommst du denn auf solchen Unsinn?«

      »Na, wo bleibt’s denn sonst, man sieht doch niemand, der’s kriegt, und immer, wenn man was nicht sieht, dann ist’s der liebe Gott«, behauptete Klein-Annemarie.

      »Nein, Kind, das Geld bekommen die Menschen, denen der Automat gehört«, mußte Fräulein Hering, so leid es ihr auch tat, die kindlichen Hoffnungen zunichte machen.

      »Ist ja nicht wahr, der liebe Gott hat mir meinen Groschen ja schon wiedergeschenkt!« Unter Tränen hielt Annemarie mit glücklichem Lächeln einen neuen Groschen in der Hand.

      Aber als sie sich umwandte, da standen Vater und Mutter hinter ihr, die hierhergefahren waren, um sich nach ihrem Nesthäkchen umzusehen. Vater hatte seinem Liebling den Groschen ersetzt.

      »Vater – Mutti!« jauchzte die Kleine, und aller Schmerz, alle Enttäuschung waren vergessen. Um so enttäuschter aber war Frau Doktor Braun beim Anblick ihres Töchterchens.

      »Um Himmels willen, das schöne Kleid – und wo hast du denn deinen Hut, Lotte?«

      »Der schwimmt nach Afrika und das Schmetterlingsnetz von Kläuschen dazu«, gab Nesthäkchen etwas zögernd Auskunft. »Aber für meinen neuen Groschen kaufe ich mir in Berlin einen anderen«, setzte sie gleich beruhigend hinzu.

      Doch als man abends singend wieder in Berlin einzog, da war Nesthäkchens letzter Groschen dem Leinenhütchen und dem Schmetterlingsnetz gefolgt. Annemarie hatte ihn auf dem Dampfer verloren.

      Margot dagegen hatte ihren Groschen einem armen Mann mit einem Stelzfuß geschenkt, und der hatte ihr dafür »Gottes Segen« gewünscht.

      Wer von den beiden kleinen Mädchen hatte wohl einen besseren Gebrauch von seinem Gelde gemacht?

      12. Kapitel

       Klinglingling – der Milchjunge kommt

       Inhaltsverzeichnis

      Die Schule war geschlossen. Die großen Sommerferien hatten begonnen. All die fleißigen kleinen Mädchen der zehnten Klasse durften jetzt von morgens bis abends ihre Freiheit in vollen Zügen genießen.

      Die meisten Kinder waren mit ihren Eltern aus dem heißen, staubigen Berlin fortgefahren zu rauschenden Wäldern, an die blaue See oder ins kühle Gebirge.

      Auch Annemarie und Margot, die beiden kleinen Freundinnen, hatten sich Lebewohl sagen müssen.

      Margot Thielen saß am Strand in Ahlbeck und buddelte dort im weißen Sand, während Klein-Annemarie lustig in den Bergen des Herrn Rübezahl herumkletterte.

      Nesthäkchen hatte sich in ein allerliebstes, kleines Bauernmädel verwandelt. Mutti und Fräulein hatten für Annemarie ein niedliches, rotgeblümtes Bauernkleid gearbeitet mit einem grasgrünen Schürzchen dazu. Die Kleine konnte gar nicht erwarten, es anzuziehen, am liebsten wäre sie damit noch in die Schule gegangen und hätte es allen Kindern gezeigt.

      Das Schönste aber war, daß ihr Liebling, Puppe Gerda, sie eines Morgens in demselben Gewand begrüßte. Dasselbe rote Blümchenkleid, dieselbe grüne Schürze. Bis in die Nacht hinein hatte das gute Fräulein genäht und gestichelt, um Annemarie diese Überraschung zu bereiten. Aber die jubelnde Freude der Kleinen beim Anblick ihrer Gerda war für Fräulein der beste Lohn. Nein, doch nicht, der allerbeste war, daß Nesthäkchen sich jetzt in rührender Weise bemühte, auch ihrem Fräulein nur Freude zu machen.

      Den einzigen Wunsch, den Annemarie noch auf dem Herzen hatte, erfüllte die liebe Großmama ihr. Das war ein kleiner Rucksack. Nesthäkchen wollte ja mit Hans und Klaus auf die Schneekoppe, den höchsten Berg des Riesengebirges, steigen. Natürlich bekam Gerda von Großmama ebenfalls einen Rucksack, einen kleinen Puppenrucksack. Süß war der, und etwas Süßes war auch für das kleine Naschmäulchen Annemarie darin.

      Ins böhmische Riesengebirge ging’s, nach Johannisbad. Hans wunderte sich kolossal, daß die Schaffner auf der Bahn, nachdem man die Grenze hinter sich hatte, plötzlich ganz anders aussahen als in Deutschland. Klaus konnte sich gar nicht über die Uniform der dortigen Soldaten beruhigen, die alle hohe Mützen trugen. Auf Nesthäkchen aber machten die zitronengelben Briefkästen den größten Eindruck, da sie daheim doch blitzblau waren.

      In einer wunderhübschen Villa wohnten sie in Johannisbad. Der Garten ging gleich in den Wald hinauf. Dichter Bergwald mit dunklen Blaubeeren, purpurnen Erdbeeren und verlockenden Himbeersträuchern.

      In dem Zimmer mit der großen Glasveranda wohnten Vater und Mutti, in dem danebenliegenden Fräulein, Annemarie und Puppe Gerda. Hans und Klaus aber wurden eine Treppe höher einquartiert. Das war den Eltern eigentlich gar nicht recht, sie fürchteten, daß Klaus ohne Aufsicht Dummheiten machen könnte.

      Als Annemarie den Namen ihrer Wirtin zum ersten Male hörte, mußte sie laut auflachen. Die freundliche Frau, die sie so treuherzig bewillkommnete, hieß Frau Meergans. Dann gab’s noch eine alte Frau Meergans im Hause, das war die Großmutter. Außerdem aber noch fünf niedliche, kleine Meergänschen. Drei Mädel und zwei Buben mit strohgelben Haaren. Die Kleinen wurden von allen Hausbewohnern nie anders als »Meergänschen« gerufen, keiner nannte sie bei ihrem Vornamen.

      Annemarie war bald mit allen fünf Meergänschen aufs innigste befreundet. Sie spielten zusammen auf der großen grünen Wiese, die zum Garten gehörte. Klein-Annemarie zog wie die Meergänschen Schuh und Strümpfchen aus und sprang mit ihnen barfuß über die großen, nassen Wäschestücke, die dort auf der Bleiche lagen. Bis Mutter Meergans die ausgelassenen Krabben von ihrer blütenweißen Wäsche verjagte.

      Lag Nesthäkchen im Walde mit Gerda in der Hängematte, so standen sicher alle kleinen Meergänschen um sie herum und schaukelten sie. Dabei warfen sie sich die Annemarie gegenseitig wie einen Fangeball zu. Juchhe – war das ein Jauchzen und Kreischen.

      Aber Annemarie wollte nicht mehr in die Hängematte hinein und Gerda auch nicht. Und das kam so:

      Klaus, der in Johannisbad seine rüpelhaften Streiche durchaus nicht verlernte, hatte sich eines Tages heimlich hinter den Baum, an dem Annemaries Hängematte gebunden war, geschlichen. Ehe Nesthäkchen wußte, was mit ihr geschah, lag sie nicht mehr in ihrem maschigen Netz, sondern unten im weichen Moos.

      Der Bengel hatte die Schlinge gelöst, zum Glück am Fußende, daß Annemarie mit dem bloßen Schreck und Gerda mit einem blauen Fleck am Knie davonkam. Vater hielt dem Bengel eine tüchtige Standpauke und machte ihm klar, was für ein Unglück hätte passieren können, wenn das Schwesterchen eine Verletzung am Kopf davongetragen hätte. Das sah Klaus auch ein und versprach, keine feindlichen Absichten mehr gegen die Hängematte zu hegen. Aber Annemarie sowohl wie Puppe Gerda kannten ihr Kläuschen und trauten dem Frieden nicht. Zehn Pferde brachten sie nicht mehr in die Hängematte hinein.

      Eines Morgens, beim ersten Frühstück, das oben am Waldesrand eingenommen wurde, fehlte Klaus. Keiner hatte den Jungen gesehen, weder die alte Meergans, die immer in der Sonne auf dem Hausbänkchen saß, noch die kleinen Meergänschen.

      Nachdem die beiden anderen, Hans und Annemarie, ihre Tassen leer hatten, ging es auf die Suche. Die Meergänschen rufend, johlend und quiekend hinterdrein.

      Zuerst durch den Garten. Jedes Versteck wurde aufgestöbert. Die Geißblattlaube, die wilden Rosenhecken und vor allem die Kirschbäume. Aber soviel sie auch spähten, kein braungebranntes, zerschundenes Jungenbein wollte sich da oben zeigen.

      Die Mutter begann, trotzdem dem Jungen eigentlich hier nichts passieren