Else Ury

Die beliebtesten Jungmädelgeschichten von Else Ury


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der Treppe her: »Mutti – Muttichen« – ein seliger Aufschrei – Nesthäkchen flog in Mutters Arm und küßte und streichelte sie unter Tränen, als ob sie aus Amerika zurückkehrte.

      Aber in solchen ollen, ekligen Fahrstuhl ging Doktors Nesthäkchen nie wieder hinein – nee, in ihrem ganzen Leben nicht!

      Am nächsten Morgen war Annemarie noch recht müde, denn man mußte zeitig heraus, um das Schiff zu erreichen.

      War das ein Gewühl auf St. Pauli Landungsbrücken, Annemarie hielt sich fest an Muttis Arm.

      Lieber Gott – ihr süßes neues Reiseköfferchen! Den lud ein fremder Mann mit vielem anderen Gepäck auf die Schulter und verschwand damit in der Menge. Wie sollte sie ihren Koffer, auf den sie so stolz war, jemals wiederkriegen!

      Mutti schien das gar keine Sorge zu machen. Die blickte voll Interesse auf die fremdländisch aussehenden Menschen und machte Annemarie auf mehrere Chinesen mit steifen, schwarzen Zöpfen in blau und gelbseidenen Röcken aufmerksam.

      Aber als sie nun an den Hafen herunter kamen und das kleine Mädchen zum erstenmal in ihrem Leben die gewaltigen Riesenschiffe mit ihren hohen Masten und großen Schornsteinen erblickte, die in die fremden Erdteile segelten, da vergaß sie alles andere, selbst ihren Reisekoffer. Mutter zog ihre ganz versunkene Lotte mit sich fort über eine unter dem Tritt der vielen Füße auf und niederschwankende Schiffsbrücke.

      Das war ja eine herrliche Wippe! Nesthäkchen hätte für ihr Leben gern darauf noch ein bißchen auf und nieder geschaukelt, aber die hinter ihr Kommenden hatten leider gar kein Verständnis für solche Wünsche. Die drängten und hasteten, um einen guten Platz zu erwischen.

      Sie stiegen die eiserne Treppe, die zum Deck führte, empor.

      »So, meine Lotte, nun bist du zum erstenmal auf einem Schiff,« sagte Mutti, sie neben sich auf einen Sitz ziehend.

      »Och, ich bin doch schon oft mit dem Spreedampfer nach Treptow gefahren« – ein durchdringendes, durch Mark und Bein gehendes Tuten durchschrillte da plötzlich die Luft. Entsetzt griff Nesthäkchen nach Mutters Arm. Puppe Gerda aber, die sie in ihrem Schreck losließ, fiel vor Schreck auf den Rücken.

      Mutti lachte von Herzen über die beiden, und auch die übrigen Herrschaften, die in der Nähe saßen, amüsierten sich.

      »Dat is man bloß die Sirene, dat Schiffssignal, dat es nu losgeihen tut, lütt Fräulein,« meinte ein in der Nähe stehender Matrose freundlich zu dem hübschen kleinen Mädchen und hob ihm die Puppe auf.

      Annemarie flüsterte ihrer Mutter kichernd zu: »Sieh bloß mal, Muttichen, das ist doch schon ein richtiger Mann und dabei trägt er noch einen Jungsanzug wie Klaus.«

      Aber von diesem Augenblick an war Doktors Nesthäkchen mit dem Matrosen aufs innigste befreundet. Er erzählte ihr, daß er Willem hieß, und daß er dreimal jede Woche mit der »Königin Luise«, dies war der Name des Schiffes, auf dem sie die Reise machten, von Hamburg nach Amrum fuhr.

      »Wird Ihnen denn das gar nicht langweilig, das olle Hin-und Herfahren, immer wieder denselben Weg?« erkundigte sich die Kleine teilnehmend.

      »Ih, man jo nich – jedesmal sieht das Meer wieder anners ut, dat wirst du ok noch merken, wenn du man erst am Strand buddeln tun wirst. Wo geiht denn die Reise hin, lütt Fräulein?« es machte dem Mann Spaß, sich mit dem zutraulichen Mädelchen zu unterhalten.

      »Nach Wittdün auf der Insel Amrum, da soll ich ein ganzes Jahr lang bleiben, weil ich so blaß bin. Ist es da schön?«

      »Na woll! Kiek eins, lütt Fräulein, da wirst du bald so rote Backen hewen (haben) als wie ick«, lachte er.

      Annemarie sah andächtig zu dem indianerrot von der Sonne Gebrannten auf. »Ja, Sie haben sich schon mächtig erholt«, meinte sie dann als richtiges Doktortöchterchen.

      Mutti aber, die ihr Nesthäkchen beobachtete, dachte erleichtert: »Wenn meine Lotte sich hier schon so schnell anschließt und sich kaum nach mir umguckt, wird sie mich in Wittdün unter andern Kindern gewiß nicht entbehren.«

      Da gerade kam Annemarie zur Mutter zurück. »Du Muttichen, der Herr Willem ist so schrecklich nett. Er will mir unser Schiff zeigen, das ganze Schiff, weil ich noch nie eins gesehen habe! Und weil die ›Königin Luise‹ doch ganz neu ist. Ich darf doch, nicht, Muttichen?« bettelte sie.

      Frau Doktor Braun freute sich, daß ihrem Töchterchen von sachverständiger Seite die Einrichtungen eines Schiffes erklärt werden sollten. Sie beteiligte sich ebenfalls voll Interesse an dem Rundgange.

      Annemarie sperrte Mund und Nase auf. Das war doch kein Schiff, das war ja ein richtiges Haus mit vielen Stockwerken, in dem sie jetzt eine mit roten Teppichen belegte Treppe hinabstiegen.

      In den großen Eßsaal führte der Matrose seine Begleiterinnen, da standen viele festlich mit Blumen gedeckte Tischchen mit fest in den Boden geschraubten Drehsesseln. Rote Plüschsofas zogen sich längs den Wänden hin.

      War das fein hier! Nein, so sah es auf den Berliner Spreedampfern doch nicht aus. Und hier sollte sie heute Mittagbrot essen? Famos. Dann betraten sie das Rauchzimmer und den großen Leseraum mit den braunen Ledersesseln.

      »Nu geiht’s in die Küch’«, bemerkte der Matrose und stieg noch eine Treppe tiefer hinab.

      Himmel – solche große Küche hatte das kleine Mädchen noch nie gesehen. Die Mitte nahm ein Riesenherd mit Hunderten von Kupferkasserollen ein, an dem viele Köche und Küchenmädchen schafften.

      »Au, wenn unsere Hanne das ganze Kupfer hier jeden Sonnabend putzen müßte – au – würde die schimpfen!« ganz laut sagte es Doktors Nesthäkchen zum Entzücken sämtlicher Köche und Küchenmädchen.

      »So, dat is hier der Gepäckraum«, der Matrose wies auf ein Durcheinander von aufgestapelten Koffern und Körben.

      »Mein süßes neues Reiseköfferchen, ob das wohl auch dabei ist?« vergeblich spähte das kleine Mädel danach. Aber die Mutter sowohl wie Willem beruhigten sie.

      »Nu kummen wir zu die Maschinens«, ihr Führer beschritt mit ihnen eine schmale mit einem Gitter versehene Galerie, von der man in den gewaltigen Maschinenraum hinabsehen konnte.

      Herrjeh – war das hier ein Radau! Mutter nahm ihre Lotte vorsorglich an die Hand. Ein Höllenlärm ratternder, fauchender, surrender, brausender und schnaufender schwarzer Eisenungetüme erfüllte den Raum. Ein Gewirr von Rädern und Schrauben bewegte sich, gewaltige Eisenhebel gingen hin und her. Dazwischen erblickte man, der furchtbaren Hitze wegen, halb entkleidete Maschinisten, welche die Maschinen ölten, und schwarzrußige Heizer, die Kohlen feuerten.

      »Das sind die großen Dampfmaschinen, die unser Schiff treiben«, erklärte die Mutter ihrem Töchterchen.

      »Dat sull woll so sünd!« bekräftigte Annemaries Freund.

      »Puh – ist das hier eine abscheuliche Luft!« Das junge Fräulein hielt sich das Näschen zu.

      »Dat makt (macht) all dat Öl und die verfluchtigte Hitz – aberst nu will ick dat lütt Fräulein noch dat Overdeck zeigen.« Wieder ging es – trapp – trapp – eine Stiege nach der andern hinauf.

      Frau Doktor Braun hatte genug gesehen. Sie begab sich wieder auf ihren Platz. Annemarie dagegen lief wie ein Hündchen neben dem vierschrötigen Willem her, unaufhörlich schwatzend.

      »So – dat da vorn dat ist uns’ Steuermann, und dat Sprachrohr, wo er hat, bat geiht (geht) zum Herrn Kaptän ruf (rauf).«

      Ein wenig neidisch sah Annemarie aus den Steuermann oder vielmehr auf das große Steuerrad, an dem er hin und wieder hantierte. Für ihr Leben gern hätte sie auch ein bißchen daran gedreht.

      »Und denn ganz tau overst (oberst) uns’ Herr Kaptän, dat ist der Höchste von all.« Willem wies auf die schmale Schiffstreppe, die zum Kapitänsdeck hinaufführte.

      Hast du nicht gesehen, war Doktors Nesthäkchen von seiner Seite und die Treppe zum Kapitänsdeck hinauf. Es sah nicht das unten angebrachte Schild: Betreten