Leni Behrendt

Leni Behrendt Staffel 5 – Liebesroman


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auch alle Veranlassung«, schmunzelte er. »Unser Sorgenkind ist nämlich rabiat geworden. Ein Zeichen langsamer Genesung.«

      »Sie beschuldigte mich, daß ich sie zuweil fünf und dann gar sieben Stunden allein gelassen hätte«, lachte die Pflegerin. »In Wirklichkeit waren es kaum zwei Minuten.«

      »Merkmal, daß die Lethargie der Kranken schwindet und sie sich für ihre Umgebung zu interessieren beginnt«, fuhr der Professor fort. »Bisher hätten wir ruhig eine Strohpuppe zur Betreuung ins Zimmer setzen können, sie hätte es gar nicht bemerkt.«

      »Meinen Sie, daß es nun langsam bergauf geht?« fragte Frau Anne zaghaft, und er zuckte die Achsel.

      »Ich will es hoffen. Aber solche Kranken sind ja unberechenbar.«

      Damit hatte der erfahrene Mann ein wahres Wort gesprochen; denn die nächsten Wochen brachten ein ständiges Auf und Ab. Stumpfe Teilnahmslosigkeit, müdes Resignieren, trotziges Aufbegehren und verzweifelte Schmerzausbrüche.

      Immer war der Professor da, um der bedauernswerten Frau beizustehen. Ganz sachte und lind lichtete er das Dornengestrüpp, in dem sie noch immer verfangen war.

      *

      Langsam brachte der Professor Mechthild mit anderen Patienten zusammen. Sollte sie ruhig erkennen lernen, daß sie nicht als einziger Mensch in dem weiten Sanatorium schweres Leid trug. Daß fast alle, die darin weilten, das Schicksal so arg gezaust, daß der Schmerz ihnen die Sinne verwirrt hatte. Gemeinsamer Schmerz gab Linderung dem kranken Gemüt, schuf Bande der Zugehörigkeit.

      Ja, solche Menschen mochte Mechthild schon, die ebenso wie sie blutendes Herzweh quälte. Doch die andern, die Glücklichen, die waren ihr zuwider.

      Nur ganz allmählich näherte sie sich ihren Leidensgenossinnen – mißtrauisch, lauernd und voller Vorurteile. Blieb unempfindlich gegen ihre Herzensnöte, glaubte, ihr Leid wäre das untragbarste. Das meiste Vertrauen flößte ihr eine nicht mehr junge Frau ein, die wie Mechthild von der Schwester wußte, bei einem Autounfall den Gatten und beide Kinder zugleich verloren hatte. Sie selbst, auch schwer verletzt, genas und schleppte nun ihr Leben wie eine Bürde dahin. Professor Arles hatte sich ihrer angenommen und half ihr durch das düstere Dorngestrüpp den Weg zur ebenen Straße finden.

      Da wollte das Schicksal, daß ihre Schwester ihrem Mann mit einem anderen davonlief und ihr Kind rücksichtslos aufgab, mit dem der verbitterte Vater nichts anzufangen wußte. Arles wagte nur ein kühles Experiment, indem er mit seiner Patientin über die Notlage des Schwagers sprach – und siehe da, es gelang. Sofort erklärte sie sich bereit, zu dem Verlassenen zu gehen, mit dem sie sich sehr gut verstand, ihm den Haushalt zu führen und sein Kind an ihr Herz zu nehmen.

      Damit hatte ihr Leben wieder einen Inhalt bekommen. Herzlich verabschiedete sie sich von Mechthild, die ihr mit traurigen Augen nachsah. Der Professor, der das bemerkte, pirschte sich an sie heran.

      »Nun, kleine Frau, der Abschied geht Ihnen nahe, was? Aber seien wir nicht egoistisch, freuen wir uns mit ihr, daß sie wieder zum Leben zurückgefunden hat.«

      Ohne eine Antwort zu geben, ging Mechthild davon, und Arles sah ihr versonnen nach. Am andern Tag, als Frau Hadebrandt kam, um sich nach dem Ergehen der Kranken zu erkundigen, überraschte er sie mit der Bitte, morgen ihre ältere Enkeltochter mitzubringen. »Was soll denn das Kind hier?« fragte sie verständnislos, worauf er lächelnd erwiderte: »Mit Ihnen zusammen Frau Mechthild besuchen.«

      »Ich bitte Sie, lieber Freund, das würde die Arme doch entsetzlich aufregen.«

      »Das wollen wir eben feststellen«, erklärte er gelassen, worüber sie sich ärgerte.

      »Wenn ich Sie nicht ganz genau kennen würde, würde ich Sie für herzlos halten.

      Was bezwecken Sie damit? Wollen Sie mir das wenigstens sagen?«

      »Nein«, gestand er freundlich. »Über Experimente pflege ich immer erst zu sprechen, wenn sie geglückt sind.«

      Damit mußte Frau Anne sich bescheiden. So machte sie sich am andern Tage mit Brigit auf den Weg. Sie hatte Angst vor dem Wiedersehen mit Mechthild. Wie würde sie ihr begegnen?

      Ihr Herz klopfte bang, als sie an der Seite des Professors das Zimmer betrat. Das Kind hatten sie zwischen sich, das mit ängstlichen Augen umherschaute.

      »Guten Tag, Frau Mechthild«, grüßte er froh. »Sehen Sie mal, was ich hier bringe. Höchste Zeit, daß auch Sie einmal Besuch bekommen.«

      Mechthild saß in ihrem Lehnstuhl und sah den Eingetretenen abweisend entgegen. Frau Anne zog sich vor Erbarmen das Herz zusammen.

      »Alte, liebe Bekannte wollen Ihnen guten Tag sagen, kleine Frau. Schauen Sie mal, das herzige Dirnlein hat Ihnen sogar Blumen mitgebracht. Geh, mein Kind, gib sie der lieben Tante, die sich gewiß darüber freuen wird.«

      Brigit umklammerte so fest seine Hand, daß er gezwungen war, mit ihr zu der regungslosen Frau zu treten, die keine Miene machte, nach dem dargebotenen Strauß zu greifen.

      »Leg der Tante die Blumen in den Schoß, mein Kleines. Sie ist nämlich sehr müde und möchte sich daher nicht rühren. Siehst du, das ist lieb. Nun wollten wir gehen. Morgen kommst du wieder.«

      Mechthild saß noch immer regungslos. Mit starren Augen sah sie den Davongehenden nach.

      »Was haben Sie nun davon?« fragte Frau Anne draußen erregt. »Sie hat von unserem Kommen überhaupt nicht Notiz genommen.«

      »Ich bin zufrieden«, war die gelassene Antwort. »Erscheinen Sie jeden Tag immer um dieselbe Zeit. Das Kind bringen Sie jedesmal mit.«

      »Wenn Sie nur nicht so ernstlich zugeknöpft wären«, seufzte Anne Hadebrandt.

      »Ich halte es mit denen, die da sagen: Reden ist Silber, Schweigen ist Gold.«

      »Merke ich.« Sie mußte nun auch lachen. »Aber manchmal kann einem das Schweigen mehr auf die Nerven gehen als der größte Wortschwall.«

      Fortan fand sich Frau Anne mit der kleinen Brigit jeden Tag um dieselbe Stunde bei Mechthild ein. Das Kind brachte Blumen, kleine Geschenke, die es der Frau, die es gar nicht betrachtete, in den Schoß legte. Still stand die Kleine dann vor Mechthild und sah sie mit den großen Kinderaugen ernsthaft an.

      Zuerst war sie sehr schüchtern, dann wurde sie allmählich zutraulicher. Einmal legte sie sogar ihr Händchen auf das Knie der regungslosen Frau – und Frau Anne sowie der Professor hielten vor Spannung den Atem an, was wohl geschehen würde.

      Nichts geschah, Mechthild schien das gar nicht zu bemerken. Sie starrte wie gewöhnlich vor sich hin.

      »Wie waren Sie mit ihr zufrieden, lieber Freund?« fragte Frau Anne, als sie an seiner Seite den langen Korridor entlangschritt. »War es ein gutes Zeichen, daß sie das Kind nicht von sich wies?«

      »Das schon«, entgegnete er nachdenklich. »Es geht mir aber zu langsam vorwärts. Wenn wir so fortfahren, erreichen wir nicht das, was ich erhoffte. Man müßte – hm – passen Sie mal auf, liebste Freundin…«

      Zuerst wollte sie auf das, was er ihr sagte, nicht eingehen. Doch schließlich gab sie seufzend nach.

      »Na schön, ich beuge mich Ihrer besseren Erfahrung.«

      So erschien denn am nächsten Tage Brigit an des Professors Hand allein bei Mechthild. Legte ihr die üblichen Blumen in den Schoß und sah sie erwartungsvoll an. Zuerst blickte die Kranke in gewohnter Gleichgültigkeit vor sich hin – doch dann schweiften ihre Blicke suchend im Zimmer umher. Kein Zweifel, sie vermißte Frau Anne.

      Immer unruhiger wurde sie, so daß der Arzt das Kind an die Hand nahm und von Mechthild fortzog.

      »Komm, Brigit, die Tante mag dich wohl nicht.«

      Und als ob es dem Kinde eingelernt wäre, sagte es traurig: »Ich mag die Tante aber – habe sie sogar sehr lieb.«

      Blitzte es da nicht wie ein zages Lächeln in den Augen der Kranken auf? Nun, der Professor konnte sich auch getäuscht