die Tochter schmerzlich zusammenzuckte. »Diesen Fixfax, diesen Bettelmatz –!« Sie schien keine weiteren Worte der Verleumdung zu finden. Mußte erst verschnaufen, ehe sie weiter schalt.
»Dieser Luftikus! Und du, meine Burga, mein schönstes und stolzestes Kind, für das ich meine Hand ins Feuer gelegt hätte, fällst auf diesen Kerl herein! Na, Gott sei Dank, daß man diese geschmacklose Verirrung noch im Keime ersticken kann. Mein Gott, mein Gott, was habe ich bloß verbrochen, daß ich solche Kinder haben muß.«
»Mama, ist es denn so schlimm, daß ich den Achim liebe?« fragte Burga bang. »Er ist doch aus guter Familie, und ganz arm ist er auch nicht. Wenn wir das Gut bekommen, dann sitzen wir doch gleich im warmen Nest.«
Diese Erwähnung ließ Frau Fränze auffahren, als habe sie durch und durch ein Stich getroffen.
»Natürlich, damit es diesem Hungerleider ja recht bequem gemacht wird –!« schrie sie krebsrot vor Wut. »Sich ins warme Nest setzen, mit einer Ragnitztochter, das könnte ihm so passen. Und das zu erreichen, hat er dir wohl blauen Dunst vorgemacht –?!«
»Mama, nicht so –!« flehte das Mädchen verzweifelt. »Bitte, liebe Mama nicht so –!«
Aber sie hörte nicht die Herzensnot ihres Kindes, war taub und blind.
»Ich will dir mal was sagen, Burga: Ehe ich zugebe, daß du diesen Garzer heiratest, eher werfe ich dich eigenhändig ins Meer –!«
»Mama, ich muß ihn doch heiraten ich muß –!« schrie sie in Qual und Not und da sauste ihr auch schon die Hand der Mutter ins Gesicht. Wie Wahnsinn flackerte es in den Augen der tiefgereizten Frau.
»Ich werde dich lehren, was du mußt! Hinaus – und tritt mir nicht mehr unter die Augen – nie mehr! Oder, bei Gott, ich schlage dich tot –«, brüllte sie in höchster Not.
Und da stürzte das von Grauen geschüttelte Mädchen hinaus.
Vollkommen erledigt fiel Frau Fränze in den nächsten Sessel. Stierte mit glasigen Augen vor sich hin.
Und ging fünf Minuten später mit verbissenem Eifer an die Arbeit.
Zum Abendessen saß sie dann allein mit dem Gatten an dem langen Tisch, wo einst soviel lachendes Leben mit Appetit geschmaust hatte. Es war so unheimlich still, daß der Mann nervös wurde.
»Wo ist Burga?« fragte er gereizt.
»Die bockt, weil ich ihr eine gelangt habe.«
»Nanu, kommt das bei unserm ehrbaren Fräulein auch mal vor?« spottete er gutmütig.
»Ehrbar, von wegen –«, lachte sie verärgert. »Solche Kinder haben andere Leute. Wir haben nur solche, über die wir uns grün und blau ärgern müssen.«
»Nanu, hat sie die Suppe anbrennen lassen, Milch zuwenig angeschrieben oder einen Teller vom Staatsgeschirr zerschlagen –?«
»Höhne nur, es wird dir schon vergehen, wenn du hören wirst, daß sich ausgerechnet Burga in den Garzer vergafft hat. Man kann sich tatsächlich die Galle ins Blut ärgern.«
Der Hausherr sah überrascht auf.
»Was du nicht sagst«, schmunzelte er. »Schau dir einmal unsere Burga an. Ausgerechnet den flotten Garzer sucht sie sich aus. Na ja, Gegensätze ziehen sich bekanntlich an. Sind sie denn schon einig?«
»Einig? Meine Tochter Burga hinter meinem Rücken mit einem Mann einig?« fragte sie aufgebracht. »Daran ist zu sehen, wie wenig du das Mädchen kennst. Sie faselte wohl, daß sie heiraten muß, aber die Ohrfeige wird ihr schon beibringen, wer hier zu müssen hat.«
Herr Julius ließ Messer und Gabel sinken und sah der Gattin in das verärgerte Gesicht.
»Wo ist sie?« fragte er kurz.
»Weiß ich’s? Wahrscheinlich in ihrem Zimmer.« Er stand auf, ging hinaus.
Kam schon einige Minuten später wieder – schleppenden Schrittes, wie gebrochen. Das Gesicht war aschfahl, die Augen flackerten wie im Fieber
»Lies –«, würgte er hervor, ihr einen kleinen Zettel hinhaltend. »Weib – lies, lies laut und dann brülle deine Schandtat hinaus –!«
Nun bekam Frau Fränze doch Angst vor dem merkwürdigen Gatten. Zitternd ergriff sie das weiße Blatt.
»Ich weiß nicht mehr ein noch aus. Ich weiß nur, daß Mama mich totschlägt, wenn sie erst alles weiß. Ich bin auch so sehr müde – die See wird barmherzig sein – Burga.«
Er hörte nicht ihr jammerndes Schreien, stürzte hinaus und kam nach Stunden wieder, einen Schal Burgas in der Hand. – »Weib, du bringst mir meine Kinder um – Stück für Stück –«, lallte er wie ein Trunkener und stierte auf die Frau, die voll zitternder Angst bis in die äußerste Ecke zurückwich. Er ging ihr nach taumelnd – schwankend – mit blutunterlaufenen Augen – die Fäuste nach ihr geballt.
»Hilfe –!« schrie sie gellend auf. Da brach er mit einem dumpfen Stöhnen zusammen.
*
Vom Schicksal bleibt dir nichts
geschenkt,
es legt einem jeden sein
Schuldbuch vor.
Und wenn du glaubtest,
du bliebest verschont,
dann bist du
ein eitler, verblendeter Tor.
Entsetzt starrten die Menschen, die in Uhlen beim Frühstück saßen, auf den Mann, der taumelnd das Zimmer betrat. Mit einem ächzenden Laut sank er auf den nächsten Stuhl, stierte seine Kinder der Reihe nach an: »Eins – zwei – drei vier –«, zählte er dumpf. »Vier von sieben. Ihr kennt doch wohl den Vers:
Es ist eine alte Geschichte,
und ist doch ewig neu.
Und wem sie just passieret,
dem bricht das Herz entzwei –?
So eine alte neue Geschichte will ich euch jetzt erzählen –«
Und zwischen zusammengebissenen Zähnen stieß er sein gestriges Erlebnis hervor.
»Ja, so war es«, sprach er dann mit unendlich müder Stimme weiter. »Und als ich heute zum Garzer ging, um ihn windelweich zu prügeln, sank meine Faust herab, als ich sein verständnisloses Gesicht sah. Was ich denn von ihm wolle? Er könnte doch wirklich nichts dafür, daß Burga die Nerven verloren hätte. Als er hörte, daß ihr unerlaubter Verkehr nicht ohne Folgen geblieben sei, habe er Burga anheimgestellt, die Sache mit ihren Eltern zu regeln, wonach er sie heiraten würde. Mehr könne man nicht von ihm verlangen, zumal Burga ihm nachgelaufen sei und keine Ruhe gab. Schon in Kalmucken wäre sie zu ihm ins Zimmer gekommen. Bis hierher sei er verfolgt worden…
Das alles sagte er mir in seiner freimütigen Art – und was sollte ich darauf antworten? Die Sache würde normal verlaufen sein, hätte Burga bei ihrer Mutter Verständnis gefunden – nicht Drohung und Ohrfeigen. Diese Ehe wäre nicht schlechter geworden als viele andere. Und nun – nun ist alles aus –«
Er barg sein vergrämtes Antlitz in den Händen.
Laut schluchzend umringten ihn seine Kinder, und auch Frau Fröse, Fräulein Gluck, Sölve und Jührich liefen die Tränen übers Gesicht.
Der Vater weinte bitterlich um sein verirrtes Kind. Ricarda sank vor ihm in die Knie und umfaßte ihn mit beiden Armen. Ihr Körper zitterte und bebte vor Schluchzen.
»Warum müssen die andern sterben die Gundel – der Roderich – und nun auch die Burga –?« klagte sie jammervoll. »Und ich bin doch auch so müde – ich möchte auch so gerne sterben.«
Das riß den Vater endlich aus seiner Verzweiflung. Er umfaßte sein Kind in heißer Herzensangst.
»Wir beide reisen irgendwohin, mein Kind. Wir beide ganz allein. Hörst du?«
So