der bald in den Gläsern dampfte.
»Trink, Ricarda, damit du warm wirst«, redete sie gütlich zu. »Du bist doch sicherlich durch die klirrende Kälte gelaufen, ohne genügend bekleidet zu sein?«
»Ja – das bin ich. Zum Ankleiden war keine Zeit. Dann hätte mich meine Mutter vielleicht totgeschlagen«, kam es verbissen von den zuckenden Lippen.
Sie kamen zu keiner Antwort, denn der Fernsprecher schlug an.
Sölve nahm das Gespräch entgegen.
»Ja, Julius, sie ist hier –«, hörte man sie sagen. »Natürlich kann sie hier bleiben. Du kommst her? Gut, ich erwarte dich.«
Damit hängte sie ab und ging zu ihrem Platz zurück. »Dein Vater kommt her, Ricarda. War er dabei, als dich deine Mutter schlug?«
»Nein, sonst wäre es nicht zu dieser Brutalität gekommen. Es ist ja nicht das erste Mal, daß sie mich schlug, sofern sie mein heimliches Fortgehen nach hier entdeckte. Aber heute hatte sie einen Kochlöffel in der Hand –«
Die Lippen preßten sich wieder in Trotz und Grimm zusammen. Man fragte nicht weiter, ließ sie gewähren, die regungslos in ihrem Sessel saß und verbissen vor sich hinstarrte. Schneller als erwartet erschien dann Herr von Ragnitz. Von seiner Hand löste sich Elwira.
»Sölve, ich bleibe bei dir!« erzählte sie aufgeregt, die junge Frau stürmisch umhalsend.
»Wenn Sölve dich haben will«, setzte der Vater hinzu. Dann ging sein Blick zu Ricarda hin.
»Siehst ja lieblich aus«, brummte er. »Von Rechts wegen müßte ich dir auch noch eine herunterhauen, du freches Gör. Du mußt dich ja nett betragen haben, daß die Mama so außer sich geraten konnte. Was du dir so eigentlich denkst, das möchte ich gern wissen. Läufst einfach von der Arbeit fort –«
»Das ist nicht wahr!« unterbrach Ricarda mit trotzfunkelnden Augen. »Ich hatte, bevor ich fortging, meine Arbeiten alle erledigt, die reichlich genug bemessen waren.«
»Na schön, da hilft alles Reden nichts, die Sache ist sowieso verfahren. Aber daß du die Hand gegen Mama erhoben hast –«
»Das ist gelogen!« fuhr sie nun auf. Doch eine gebieterische Handbewegung des Vaters ließ sie schweigen.
»Hüte deine Zunge, Ricarda, und mach die vertrackte Geschichte nicht noch schlimmer, als sie ohnehin ist. Jedenfalls darfst du der Mama nicht mehr unter die Augen treten. Ihr Widerwillen gegen dich ist so groß, daß sie ihn sogar auf Elwira übertragen hat, die ja dein verjüngtes Ebenbild ist.«
»Dann bleibe ich halt hier –«
»Du glaubst wohl, daß Sölve ein Asyl für ungeratene Töchter hat?« brauste der Vater aber nun auf. »Nein, mein Kind, ich werde dich in eine Pension stecken!«
»Nein!« schrie Ricarda auf. Ihre abwehrende Rechte stieß an die mißhandelte Nase, aus der das Blut zu rinnen begann.
Jührich sprang auf, eilte in sein Zimmer und kam sehr bald mit einem blutstillenden Mittel zurück.
Mit behutsamen Händen löste er das Taschentuch, das Ricarda gegen die Nase hielt, und behandelte das geschundene Ohr mit seinen geübten Arzthänden. Und Ricarda, die die Mißhandlung durch die Mutter, die Flucht durch den eiskalten Winterabend, die Vorwürfe des Vaters ohne Tränen hingenommen hatte, brach bei der zärtlichen Berührung des Mannes in bitterliches Weinen aus. Das zerschundene Gesichtchen auf seine Hände pressend, schluchzte sie so jammervoll, daß die andern davon ergriffen wurden.
Und ihnen kam eine Ahnung, warum das junge Kind jede Stunde abgestohlen hatte, um hier sein zu können. Warum es Vorwürfe, Schelte und gar Schläge von Mutterhand auf sich genommen hatte wie eine kleine Heldin.
Nur der, den es anging, schien nichts zu merken. Wie es ja in den meisten Fällen so ist. Er war jetzt ganz Arzt. Legte das Köpfchen rückwärts auf die Sessellehne, damit das fließende Blut zum Stillstand käme und hielt einen beruhigenden Trank an die Lippen.
Sölve jedoch trat herbei und beugte sich voll Erbarmen über das Mädchen, das ihr ans Herz gewachsen war.
»Weine nicht, Ricalein«, beruhigte sie. »Ich behalte beide hier, die große und die kleine Rosenrot, da mag der Papa noch so viel reden.«
Da ging ein Auftatmen durch den jungen Körper. Das Schluchzen ließ nach, und ein dankbarer Blick traf die liebste Freundin.
»Na ja, ich sehe schon, da kann ich nichts mehr machen«, polterte der Vater, um seine Rührung zu verbergen. »Halst dir was Gutes auf, Sölve.«
»Wenn ich die beiden lieben Menschen hier behalte?« lachte sie froh. »Damit tue ich mir den größten Gefallen.«
Nun begann für die beiden Schwestern, die sich so sehr ähnlich waren, eine wonnevolle Zeit. Von herzlicher Liebe umhegt, konnten sie ihre Zeit herumbringen, wie sie immer ersehnt hatten. Elwira jubelte wie eine kleine Lerche durch das Haus. Am liebsten war sie bei der kleinen Heike und war glückselig, wenn das Kind ihr lachend die Ärmchen entgegenstreckte.
Allein Ricarda blieb still und bedrückt. Sie schien das Lachen verlernt zu haben. Nur wenn sie mit Sölve musizierte, dann wurde sie froher. Süß und klar klang ihre Stimme auf und schlug die Zuhörer in ihren Bann.
»Ich weiß nicht, welche schöner ist«, sprach Jörn von Jührich eines Tages zu Frau Fröse, mit der er sich dem musikalischen Genuß hingab. »Die bezaubernde Bernsteinhexe oder die süße Rosenrot. Beide sind so wunderbare Rassegeschöpfe. Man weiß wirklich nicht, welcher man den Vorzug geben soll.«
Da klang die volle Stimme Sölves auf. Sie sang selten, ließ lieber die Freundin singen, deren Stimme sie so gern hörte.
»Sie war doch sonst ein wildes Blut, jetzt geht sie tief in Sinnen«, klang es herzbetörend auf. »Hält in der Hand den Sommerhut und duldet still der Sonne Glut und weiß nicht, was beginnen –«
Frau Fröse sah besorgt auf den Mann, der selbstvergessen auf die Sängerin schaute.
Armer Freund – dachte sie traurig. Und arme Rosenrot. Muß es erst immer Kämpfe geben, bevor alles wird, wie es gut ist?
Sie sah auch, wie Ricarda das Köpfchen senkte und still das Zimmer verließ.
Der Mann bemerkte es nicht. Er schrak erst aus seinen schmerzlichen Sinnen auf, als Sölve den Gesang abbrach und Ricarda nachging. Diese hatte sich über das Bett geworfen und weinte, als müsse sie sich das Herz aus dem Leibe schluchzen.
»Rosenrot, was ist das für ein Unsinn, einfach davonzulaufen und hier zu weinen!« schalt Sölve zärtlich.
Da richtete sich das Mädchen auf und warf in leidenschaftlicher Heftigkeit ihre Arme um die junge Frau.
»Sölve, du liebst ihn ja nicht – Sölve, nimm ihn mir doch nicht fort!« jammerte und flehte sie, nicht mehr aus noch ein wissend in ihrer Not. »Dir ist er nicht mehr als ein Freund – und ich – ich liebe ihn doch so sehr!«
»Ricarda, nun höre mal auf zu weinen«, gebot Sölve energisch. »Das sind doch alles nur Hirngespinste, mit denen du dir das Leben schwer machst.«
»Er liebt dich doch«, wehrte Ricarda verzweifelt.
»Wer sagt dir das? Unser Jörn ist viel zu klug, um nicht zu wissen, daß er mir nur ein guter Freund sein kann. Und nun trockne die Tränen, die dich nur häßlich machen. Und du willst ihn doch mit deiner Schönheit bezaubern.«
»Sölve, du lachst – und mir will – Herz brechen –«
»So leicht bricht kein Herz, du süßes Schaf! Und nun komm! Bezaubere ihn mit deinem Sirenengesang, dem er so gern lauscht. Der liebt dich schon mehr, als er ahnt. Du mußt nur Geduld haben.«
*
Wenn du auf etwas fest gehofft,
und es wird dir zerschlagen,
dann hast du Grund zu klagen.
Im April hatte Frau