du heiliger Bimbam! Dann brauchst du mir nichts zu sagen. Jetzt hilf mir hier retten, was noch zu retten ist!«
Die beiden Ärzte, Frau Fröse und Minchen – diese vier Menschen kämpften um dieses entfliehende Leben mit allem, was ihnen nur zu Gebote stand.
Jührich war überhaupt noch nicht in seine Wohnung gekommen und hatte sich im Uhlener Schloß einquartiert. Die Kranke war ihm in den Wochen der Angst und Sorge so recht ans Herz gewachsen, und auch Doktor Fels kam nicht nur deshalb, weil ihn der Krankheitsfall interessierte.
Götterun wußte nicht, was sich in Uhlen abspielte; denn es bestand ein Übereinkommen, ihm nichts davon mitzuteilen. Er wäre dann sofort nach Hause zurückgekehrt – und das wollte man vermeiden.
Als man nach einem halben Jahr die Kranke nach unendlicher Mühe soweit hatte, daß auf Gesundung zu hoffen war, da kam eine Mitteilung vom Konsulat, daß man den Baron von Götterun, der sich bereits auf der Heimreise befunden habe, ermordet aufgefunden hätte. Das Motiv zur Tat wäre unbekannt. Um einen Raubmord könnte es sich nicht handeln, da die Wertsachen und die Brieftasche mit Geld, die man bei dem Toten gefunden habe, unangetastet seien.
*
Oh, wähne dich nicht, du
Menschenkind,
gefeit vor des Schicksals Macht.
Der Schlag, den es dir zugedacht,
kommt über Nacht.
Der Mensch wird schnell vergessen. Das ist der Lauf der Welt. So erging es auch Jobst von Götterun, dessen tragischer Tod zuerst so viel Teilnahme erweckt hatte.
»Nun höre doch endlich damit auf, Julius! Es ist ja traurig, daß Jobst tot ist, aber zu ändern gibt es doch daran nichts mehr. Dem ist wohl, der möchte nicht mit uns tauschen. Zu wünschen wäre, daß Heike ihm bald folgt, dann wäre das verkrüppelte Würmchen gut aufgehoben. Denn von der Stiefmutter hat es ja nichts zu erwarten, die hat ja selber kaum das Leben. Auch für die wäre ein schneller, friedlicher Tod die beste Lösung. Wie lange hält sie schon mit dem Auf und Nieder dieser unheilbaren Krankheit ihre Umgebung in Atem. Und was kostet die Behandlung der Ärzte. Ja, wenn es nicht hinausgeworfenes Geld wäre –«
»Das mir verloren geht –«, schaltete sich der Sohn mißmutig ein. »Was könnte man dafür in Uhlen alles verbessern! Der Onkel Jobst hätte auch mehr an mich denken können und nicht diese Sölve heiraten sollen«, schloß er mit einer Gehässigkeit, die selbst die verblendete Mutter betroffen aufhorchen ließ. Den Vater packte jedoch eine derartige Wut, daß er dem hoffnungsvollen Früchtchen rechts und links eine Ohrfeige versetzte.
Nun wandte sich Herr Julius der Gattin zu.
»Sieh dir nur gründlich das Produkt deiner Erziehung an«, höhnte er.
»Aber Julius, wie kannst du den Jungen nur so unerhört behandeln?« fand Frau Fränze nun endlich die Sprache. »Er hat uns bisher doch immer nur Freude bereitet. Was er da sagte, geschah nur aus seinem kindlichen Unverstand heraus.«
»Ach, sieh mal an, mit einem Male ist es kindlicher Unverstand«, lachte er voll Hohn. »Aber sonst verlangst du für deinen Wunderknaben eine ehrfürchtige Behandlung wie für einen Übermenschen. Siehst ruhig mit an, wie er das ganze Haus tyrannisiert, seine Geschwister unterjocht, sich in Uhlen Herrenrechte anmaßt, die zum Himmel schreien.
Aber vorläufig stehen noch Sölve und Heike zwischen eurer Begierde, die so weit geht, den armen Menschenkindern den Tod zu wünschen. Freut euch nicht zu früh. Noch steht die Testamentseröffnung aus – und eine solche hat schon manchem Menschen Überraschungen gebracht.«
»Davor habe ich gar keine Angst«, winkte sie geringschätzig ab. »Wer soll Uhlen denn erben? Sölve etwa, die Jobst nur aus Erbarmen geheiratet hat? Oder Heike, die, wenn sie auch aufwachsen sollte, immer nur ein armer Krüppel bleiben wird? Wenn jemand dazu berufen ist, Uhlen gut bewirtschaften zu können, dann ist es unser
Sohn –«, schloß sie großartig.
»Natürlich, setze diesem anmaßenden Burschen nur immer weiter Raupen in den Kopf«, grollte der Gatte, den der Grimm fast erstickte. »Du wirst die Quittung für deine Affenliebe eines Tages schon erhalten.
Und sprich nur immer weiter so über das Kind deiner Schwester und über ein so bedauernswertes Menschenkind wie Sölve. Es gibt eine Nemesis, meine liebe Fränze, die jeder Mensch achten sollte.«
Einige Wochen später mußte Frau Fränze die Erfahrung machen, daß Menschenwille sehr klein ist gegen des Schicksals Gewalt. Sie glaubte, ihr Leben auf festen Grund aufgebaut zu haben, glaubte es gegen Unglück gefeit. Aber ungeahnt schnell drang es in ihr festgefügtes Reich ein und holte sich als Tribut die kleine Gundel.
Von heute auf morgen war sie tot – einfach tot. Gestern noch vergnügt und guter Dinge, klagte sie am Abend über Halsschmerzen, die niemand so recht beachtete – und nach einer noch nicht einmal unruhigen Nacht war sie morgens tot.
Man stand vor einem Rätsel und konnte nicht fassen, daß dieses kleine blühende Leben dahin sein sollte, als wäre es nie gewesen.
Frau Fränze benahm sich wie die meisten Menschen, die das erste wirkliche Leid erfahren. Sie klagte Gott an, daß er ihr blühendes Kind geholt hatte und nicht das Krüppelchen Heike.
Drei Tage tobte sie, drei Tage jammerte sie – und ging dann langsam zur Tagesordnung über
*
Wach auf, Frau Sölve,
es ruft nach dir
eine heilige Pflicht,
Raffe dich auf und verträume
dein Leben nicht.
Nach langer Zeit lag Sölve wieder einmal in dem kleinen Teezimmer im Schaukelstuhl. Das Feuer prasselte im Kamin, und zuckend huschte der Flammen Schein durch die Dämmerung. Es war so still, so traulich in dem kleinen Gemach, und diese Ruhe legte sich wie Balsam auf das immer noch wunde Gemüt der jungen Frau.
Träumerisch glitt ihr Blick über den Ring an ihrer Linken, in dessen Steinen sich der zuckende Flammenschein brach. Wie Feuergarben sprühte es auf, so daß sie vor dem funkelnden Glanz die müden Augen schloß.
Dieser Ring und der glatte Reif an ihrer rechten Hand waren das einzige Andenken an Jobst – der sie aus Erbarmen geheiratet hatte.
Frau Fröse kam ins Zimmer. »Frau Fränze und ihr Sohn eignen sich immer wieder Dinge an, die Uhlen gehören«, sagte sie empört.
»Mögen sie doch – was geht mich das an?« winkte Sölve unendlich müde ab.
»Aber Kind, sei doch nicht so gleichgültig«, bemerkte sie vorwurfsvoll. »Hier geht es doch nicht um dich allein, sondern auch um deine kleine Tochter, um das Vermächtnis deines Gatten!«
»Kleine Tochter – Vermächtnis meines Gatten –«, wiederholte sie, als horche sie in sich hinein. »Wer ist das?«
»Sölve, was hast du?« fragte Frau Fröse erschrocken und fühlte den Puls der jungen Frau. – »Redest du etwa irre?«
Sie streichelte zärtlich das Gesicht der besorgten Frau.
»Keine Angst, Tante Marga, ich bin ganz gesund. Ich weiß wirklich nicht, wer meine kleine Tochter ist.«
Kopfschüttelnd rückte Frau Fröse einen Sessel an den Schaukelstuhl.
»Hast du denn noch nie den Namen Heike gehört?« forschte sie mißtrauisch.
»Heike? Ja. Aber du weißt ja, daß mich alles nicht interessiert.«
»So hat dir dein Gatte bei seiner Werbung nichts von seiner Vergangenheit erzählt?«
Sölve stöhnte leise auf und bedeckte die Augen mit der Hand.
»Kind, ich will dir nicht wehe tun, denn du weißt, wie sehr du mir ans Herz gewachsen bist. Und man tut nicht wissentlich weh«, begann sie behutsam, fest entschlossen, heute zur Sprache zu bringen, was längst hätte geschehen