mein Schwager, wenn meine arme Schwester auch nichts davon zu spüren bekommen hat. Daher hat sie auch früh ins Grab müssen. Aber zeigen Sie doch mal, was haben Sie da für eine elegante Decke?« zeigte sie auf die zartgrüne Decke aus Seidenflausch, die über Sölve gebreitet war. »Hat die nicht meiner Schwester gehört? Ich will doch nicht annehmen, Fräulein, daß Sie sich dieses elegante Stück angeeignet haben?«
Bei dieser impertinenten Frage wich jeder Blutstropfen aus dem Antlitz des Mädchens. Ihre Augen hasteten hilflos umher und blieben dann an der Tür haften, in der Frau Fröse sichtbar wurde.
Da sank sie aufatmend in die Kissen zurück. In dem todblassen Gesicht zuckte und arbeitete es, der Körper flatterte und bebte.
»Mein Gott, Sölve –!« stieß Frau Fröse angstvoll hervor. »Kind, so erregen Sie sich doch nicht so –!«
Sie reichte ihr die Tropfen, die bei solchen Fällen immer wirkten. Und schon Sekunden später wurde Sölve tatsächlich ruhiger.
»Ja, was hat sie denn?« fragte Frau Fränze recht verblüfft, und die Hausdame sah sie kalt an.
»Wenn Sie das nicht wissen, tun Sie mir leid«
»Etwa wegen der Decke da?« dämmerte es bei ihr. »Mein Himmel, ich habe doch wohl das Recht, danach zu fragen, wie die Decke meiner Schwester hierher kommt.«
»Der Ton macht die Musik, gnädige Frau –«
»Ach was, ich kann mir doch diesem Fräulein zuliebe keinen anderen Ton angewöhnen. Meine Familie ist mit dem sehr zufrieden, und ich auch. Ich möchte die Decke mitnehmen. Denn Sie wissen, daß mir mein Schwager den gesamten Nachlaß meiner Schwester abgetreten hat.«
»Die Decke gehörte nicht Ihrer verstorbenen Schwester – sondern der Baroneß Konstanze.«
»Aber, meine liebe Frau Fröse, Sie wollen mir doch nicht weismachen –«
Ihr Redestrom versiegte, als ihr die Dame die Decke entgegenhielt, in deren Ecke ein Monogramm prangte.
»K. G. – Konstanze Götterun –«, entzifferte sie recht mühelos. »Tatsächlich! Aber meine Schwester hat doch genauso eine Decke gehabt.«
»Die der Frau Baronin war rosa –«
»Ach ja – nun besinne ich mich –«, war sie nun doch verlegen. »Ich habe die Sachen gleich zu Walburgas Aussteuer gepackt und daher nicht alles so genau in Erinnerung.
Aber, wie kommt es, daß mein Schwager duldet, daß dieses Fräulein die Sachen seiner vergötterten Schwester benutzt? Meine Schwester hat oft von den Sachen haben wollen, die ja nur vermotten und verkommen, aber er hat es ihr immer wieder abgeschlagen. Ist ihm denn dieses Fräulein etwa mehr als seine Frau ihm war –?«
»Was steht denn hier zur Debatte –?« kam es von der Tür her, durch die der Baron schritt. Einen Blick auf die verstörte Sölve –
»Was ist vorgefallen, Frau Fröse –?«
Sie wich seinen Blicken aus – und langsam ließ er die seinen von einem zum andern wandern.
»Ich irre wohl nicht, Fränze, wenn ich annehme, daß du wieder einmal eine deiner Taktlosigkeiten begangen
hast –?« fragte er drohend.
»Na, erlaube mal –!« wollte sie auffahren.
»Schweige –!« Das Wort durchschnitt wie ein Peitschenhieb das Zimmer, so daß selbst die Hunde erschrocken zusammenfuhren. »Gehen wir.«
Wortlos folgte ihm Frau Fränze, was bei ihr schon allerlei zu bedeuten hatte. Aber dieser Jobst hatte auch manchmal eine Art, die einem das Blut gefrieren machen konnte.
»Du bist mir wohl eine Erklärung schuldig?« fragte er, als sie sein Zimmer erreicht hatten.
»Mein Himmel, wie theatralisch –?« lachte sie gezwungen. »Ich wollte dich sprechen, fand dich unten nicht vor und ging nach oben, wo ich Frau Fröse zu finden hoffte, weil sie ja ständig bei dieser Sölve sitzt. Zuerst hatte ich das übliche Theater mit den Kötern, dann sprach ich das Fräulein und glaubte in einer Decke die Bettinas zu erkennen –«
»Und hast dem Mädchen auf den Kopf gesagt, daß es die Decke gestohlen hat –«, unterbrach er sie hart.
»Für was für einen Banausen hältst du mich denn überhaupt –«, begehrte sie empört auf. »Es ist lächerlich, aus dieser harmlosen Angelegenheit einen Staatsakt zu machen, nur weil so ein dummes Mädchen überempfindlich ist. Ich sage meinen Töchtern noch ganz was anderes.«
»Was du mit deinen Töchtern machst, geht mich nichts an«, erklärte er scharf. »Aber für dieses Mädchen bin ich verantwortlich und kann daher nicht dulden, daß es an seiner Gesundheit Schaden nimmt.«
»Ach, herrjeh, was ist das denn für eine Prinzeß, daß man nicht wie mit Gewöhnlichen zu ihr sprechen darf –?« lief sie rot vor Ärger an. »Die scheint ja hier das ganze Haus zu beherrschen. Wenn du ihr sogar die Sachen deiner Schwester Konstanze gibst, die du bisher wie ein Heiligtum gehütet hast –«
»Das dürfte doch wohl allein meine Angelegenheit sein –«
»Ja, natürlich. Aber meine Schwester, die dich oft genug um die Sachen angebettelt hat, der hast du sie stets versagt. Du hast ihr überhaupt jeden Wunsch abgeschlagen –«
»Schweig jetzt, Fränze!«
Aber sie tat es nicht. Sie war heute wie blind und taub.
»Du hast Bettina immer lieblos behandelt, so daß ihr das Herz darüber brach und sie ins frühe Grab mußte –«, beschuldigte sie ihn weiter, hörte dann aber auf, als sie sein Gesicht sah, in dem die Wangenmuskeln spielten und die Augen wie grünliches Eis glitzerten. Da wollte sie ihre beleidigenden Worte abschwächen, aber er winkte ab.
»Beenden wir die Unterredung –«, sagte er in einem Ton, der ihr eine Gänsehaut über den Rücken jagte. Tiefgekränkt entfernte sie sich und stieg draußen in den altersschwachen Wagen. Das war wieder einmal ganz Jobst. Machte ein Trara mit diesem verkümmerten Mädchen, so daß sich dieses leisten konnte, das ganze Haus mit seiner Krankheit zu tyrannisieren. Ihr waren kranke Menschen ein Greuel. Wer nicht gesund werden konnte, der sollte eben sterben. Dann war er am besten aufgehoben und fiel seinen Mitmenschen nicht auf die Nerven.
Sie wäre auch kaum erschüttert gewesen, wenn sie gesehen haben würde, was sie mit ihren unbedachten Worten angerichtet hatte.
Sölve, von Natur schon äußerst sensibel veranlagt, war durch ihre Krankheit und die Demütigungen der letzten Jahre noch empfindlicher geworden. Sie bildete sich ein, jedem eine Last zu sein, die er gern abschütteln wollte, und zergrübelte und zerquälte sich ihren armen kranken Kopf mit Hirngespinsten.
Die Unbedachtsamkeit Frau Fränzes hatte ihr nun den Rest gegeben. Alles, was sie bisher ängstlich in sich verschlossen hatte, schrie sie nun in wahnsinniger Erregung hinaus.
Frau Fröse und Götterun vernahmen mit Entsetzen, was das arme Kind sich alles zusammengesponnen hatte.
»Ich muß fort –!« jammerte sie. »Ich darf ja nicht hier bleiben, wenn Onkel Jobst fort ist. Seine Verwandten neiden mir hier den Platz – und sie haben recht. Sie werden mich hinausjagen, wenn er nicht hier ist. Da will ich lieber freiwillig gehen, will hier nicht länger das Gnadenbrot essen und allen mit meiner Krankheit zur Last fallen –!«
Ehe es Frau Fröse verhindern konnte, war sie von dem Diwan geglitten, tat einige Schritte – und sank dann zusammen.
Es gelang Götterun noch rasch, hinzuzuspringen und sie in seinen Armen aufzufangen. Er legte sie auf den Diwan zurück und sah voll tiefster Sorge in das kalkweiße Gesicht, in dem die Augenlider und Lippen blau anliefen. Jetzt wurde gar ein Röcheln hörbar.
»Großer Gott – sie stirbt –!« schrie Frau Fröse entsetzt auf.
»Sekt –!« stieß der Baron zwischen den Zähnen hervor, und so schnell war die Frau wohl noch nie gelaufen, wie in den Minuten heißer