Arbeit, dem Mädchen den Sekt einzuflößen. Aber es gelang, und die Wirkung stellte sich ein. Der Sekt belebte das Herz, das schon seine Tätigkeit einstellen wollte, und das Antlitz bekam langsam Farbe.
»Frau Fröse, ich werde versuchen, Doktor Fels herzubekommen«, flüsterte er ihr zu. »Haben Sie gut acht, und flößen Sie ihr, wenn es nötig sein sollte, wieder Sekt ein. Ich bin so schnell wie möglich zurück.«
Er hatte Glück, denn er konnte den vielbeschäftigten Arzt sprechen. Kurze Zeit darauf war er in Uhlen. Und wenn jemand der Kranken noch helfen konnte, so war es dieser Mann, der eine Kapazität auf seinem Gebiet war.
»Tja, mein lieber Baron, was soll ich Ihnen sagen«, meinte er, als er an des Schloßherrn Seite zu seinem Auto schritt. »Steht Ihnen die Kleine nahe?«
»Nahe genug, um ihren Tod zu fürchten.«
»Dann tun Sie mir leid. Das ganze Nervensystem ist in einem schauderhaften Zustand, und das Herz scheint nicht mehr mitmachen zu wollen. Dieses Leben können wir nur noch dem lieben Gott überlassen.«
»Vielleicht wäre es gut, wenn wir sie in Ihre Klinik brächten?«
»Reißen Sie das arme Ding nicht aus seiner gewohnten Umgebung, es könnte das Ende beschleunigen. Ich werde mich aber um die Kleine kümmern, weil mich der Fall interessiert.«
*
Nimm an dein Herze mich,
da ruh ich weich und warm.
Komm, küsse mich,
dann bin ich nicht mehr arm.
Am nächsten Vormittag betrat Götterun das Zimmer Sölves, die, wie immer, angekleidet auf dem Diwan lag. Sie sah ihm aus matten Augen entgegen und ließ es geschehen, daß er ihre Hand nahm.
»Werden der Herr Baron länger bleiben?« erkundigte sich Minchen.
»Ja, Minchen. Sie können ruhig einen kurzen Spaziergang machen.«
Dann saß er bei Sölve, hielt ihre Hände und wußte nicht so recht, was er sagen sollte, was ihm, dem weltgewandten Mann, selten genug geschehen mochte. Es war aber auch schwer, unter diesen großaufgeschlagenen Augen, in denen sich schon ein Licht aus einer andern Welt zu spiegeln schien, zu sprechen. Voll Erbarmen sah er auf sie nieder, sah das leichenblasse, eingefallene Gesicht, die bläulichen Lippen und das farblose Haar, das man auf dem Kopf einzeln zählen konnte.
Ein heißer Wunsch stieg in ihm auf, diesem armen Menschenkind etwas Liebes zu tun, seine letzte Lebenszeit zu verschönen und es in guter, sicherer Hut zurückzulassen. Nach seiner Rückkehr sah er es ja doch nicht mehr.
»Sölve!« begann er behutsam. »Sölve, hörst du mich?«
»Ich schlafe nicht, Onkel Jobst.«
»Sölve, mein kleines Mädchen, möchtest du immer in Uhlen bleiben?«
»O, wie gern –!«
»Dann werde meine Frau!«
Die Wirkung seiner Worte war nicht so, wie er erwarten konnte. Sie erschrak nicht, schrie auch nicht auf – sie sah ihn nur groß an. Vielleicht hatte sie seine Worte gar nicht gehört?
»Du hast mich doch verstanden –?« forschte er unruhig.
»Ich werde doch verstehen und begreifen, was für mich höchste Seligkeit wäre«, flüsterte sie. »Immer in Uhlen bleiben dürfen, von niemandem fortgejagt werden können – auch von Frau Ragnitz nicht – oh, das wäre schön.«
Doch dann richtete sie ihren Blick auf ihn, sah ihn an, als müsse sie ihm auf den Grund seiner Seele schauen.
»Und warum bietest du mir das an, Onkel Jobst? Weil ich krank bin und bald sterben werde –?«
Er zuckte unter ihren Worten zusammen wie unter einem Hieb. Nur jetzt ganz ruhig bleiben – diesen suchenden, forschenden Blicken standhalten.
»Du Närrchen«, sagte er lächelnd. »Seit wann macht man einer Todeskandidatin einen Heiratsantrag? Kannst du dir gar nicht denken, warum ich dich zur Frau haben möchte?«
»Doch nicht etwa – weil du mich liebst?«
Götterun war es, als müsse ihm das Herz stillstehen vor Schreck, als sie nun das aussprach, wovor er sich fürchtete. Sollte er diesem armen Mädchen die Wahrheit sagen? Sollte er sagen, daß diese Werbung nur einen Akt der Barmherzigkeit darstellte? Damit würde er sie ja töten! Er sah das schöne Antlitz Frau Elgas vor sich, sah ihre bettelnden, flehenden Augen, hörte ihre beschwörende Stimme:
»Jobst, sei barmherzig, laß meinem Kinde den Glauben an deine Liebe, mache ihm das Sterben leicht. Es ist doch mein Kind, Jobst – und du hast mich doch einmal geliebt. Mache es nur für ein paar armselige Tage glücklich – scheue diese barmherzige Lüge nicht!«
Da schloß er Sölve fest in seine Arme. Ganz leise fuhr sie über sein Antlitz, in dem es nun zuckte und bebte. Die Lippen streiften seine Hand.
»Onkel Jobst, ich danke dir«, seufzte sie wie befreit auf. »Jetzt will ich auch noch einmal gesund werden. Ich wollte ja nur sterben, weil ich so verlassen war weil ich niemanden hatte, der mich brauchte. Aber jetzt will ich gesund werden, für dich – und schön – so schön, wie meine Mutti war.«
»So gefällst du mir, Sölvelein«, lobte er mit einer Stimme, die nicht ganz klar klang. »Und jetzt werde ich in die Stadt fahren und unsere Hochzeit in die Wege leiten. Denn du sollst ja noch mein Frauchen werden, bevor ich abreise. Willst du das?«
»Alles, was du willst, Onkel Jobst.«
»Nun, den Onkel wollen wir ja nun streichen, meine kleine Braut. Jobst allein ist ja auch viel schöner.
Und nun auf Wiedersehen! Versuche zu schlafen, und träume etwas Schönes, bis ich wieder bei dir bin.«
Er drückte einen Kuß auf ihren Mund ganz behutsam und leise – und da warf sie die Arme um seinen Hals.
»Ach, Jobst – ist es auch wahr, daß du mich liebst? Oder liebst du in mir nur meine Mutti?«
»Nein, du mißtrauisches kleines Wesen«, log er tapfer. »Das fällt mir gar nicht ein.«
»Weißt du, ich habe dich geliebt vom ersten Augenblick an, da ich dich sah. Aber nie habe ich zu hoffen gewagt, daß du mich wiederlieben könntest.«
Schmeichelnd kuschelte sie ihr Gesicht in seine Hand.
»Jetzt möchte ich schlafen – glücklich sein macht so müde.«
Wenige Minuten später schlief sie fest.
*
Nimm mir die Myrte vom Kleide,
sieh in mein qualvolles Gesicht,
die Braut im Leide begehrt sie nicht.
Einige Tage später fand in Uhlen eine Hochzeit statt, wie diese jahrhundertealte Schloßkapelle nie eine geschaut hatte.
Die marmorblasse Braut und der tiefernste Mann an ihrer Seite sahen gewiß nicht wie Hochzeiter aus. Und die Menschen, die den Altar umstanden, glichen eher Leidtragenden einer Begräbnisfeier. Selbst das gedämpfte Orgelspiel, die Worte des Pfarrers – alles klang so unsagbar traurig, so daß die kleine Gundel, die auf Geheiß der Mutter Blumen streute, entfernt werden mußte, weil sie aus Angst vor etwas Unbegreiflichem zu schreien begann. Und als der Pfarrer die Worte sprach: »Bis daß der Tod euch scheide«, da zuckten alle schmerzlich zusammen.
Beim Ringwechsel setzte von der Empore eine Stimme ein, die allen die Tränen in die Augen trieb. Weich und süß klang die Stimme der jungen Ricarda. Niemand hatte gewußt, daß sie so singen konnte, sie selbst wohl auch nicht. Es war auch keines der üblichen Trauungslieder, das sie sang, aber es paßte zu dieser Stunde wie kein zweites Lied.
Als die Trauung beendet war und sich das junge Paar zum Gehen wandte, trat die kleine Elwira vor, heute ganz besonders liebreizend anzuschauen in ihrem Festkleidchen. Auch sie hatte Blumen streuen dürfen wie das Schwesterchen