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Die Bosheit-Trilogie
Gustav Wied
Inhalt:
Gustav Wied – Biografie und Bibliografie
Die Karlsbader Reise der leibhaftigen Bosheit
Der leibhaftigen Bosheit Opus III
Die Bosheit-Trilogie, Gustav Wied
Jazzybee Verlag Jürgen Beck
Loschberg 9
86450 Altenmünster
ISBN: 9783849639853
www.jazzybee-verlag.de
Gustav Wied – Biografie und Bibliografie
Dänischer Schriftsteller, geboren am 6. März 1858 in Holmegaerd, Nakskov, verstorben am 24. Oktober 1914 in Roskilde. Wied war der Sohn eines wohlhabenden Gutsbesitzers, der sich in den verschiedensten Berufen versuchte, bis er sich 1890 als freischaffender Schriftsteller niederließ. Seine Erzählungen sind von skurrilem Humor aber auch ätzender Satire geprägt, mit denen er die Menschen seiner Heimat schilderte. Wied thematisierte in seinem Werk sein kritisches Verhältnis zur Gesellschaft, welches von einem tiefen Pessimismus begleitet wird. Am 24. Oktober 1914 tötete sich Gustav Johannes Wied in Roskilde.
Wichtige Werke:
Dansemus (1905)
Knagsted (1902)
Livsens ondskab (1899)
Slægten (1898)
Der Text der Biografie ist unter der Lizenz „Creative Commons Attribution/Share Alike“ verfügbar; zusätzliche Bedingungen können anwendbar sein, und ist im Einzelnen zu finden unter http://de.wikipedia.org/wiki/Gustav_Wied
Die leibhaftige Bosheit
Die Stadt liegt am Fjord. Und von den Spazierwegen, die um die Hintergärten herumlaufen, hat man über das Wasser hinweg eine Aussicht auf ferne Hügel, Wälder und Gehöfte.
Es ist eine alte Stadt und eine liebe Stadt mit vielen kleinen, wundervollen Häusern, sonderbaren Straßennamen und winkligen Gassen und Straßen.
Und mitten in der Stadt auf einem Hügel liegt die Kirche, groß und weiß, mit bunten Fensterscheiben und zackigen Giebeln.
Sie heißt "die Kirche der Weißen Schwestern". Und ihren Namen hat sie aus der Zeit, als die Stadt katholisch war und hinter ihren kiesbedeckten Wällen Klöster und Stiftungen und fromme Schulen barg, wo die Söhne und Töchter der Bürger unter Psalmengesang und Weihrauch lernten, daß das Leben hienieden nur eine Wanderung in Gebet und Entsagung sein soll; eine Reise durch Waldesdickicht, an drohenden Abgründen entlang, wo bei jedem Schritt, den man tut, Tausende von Gefahren auf einen lauern. Und wo man das Ziel nur dann mit heiler Haut und ohne zu straucheln erreicht, wenn man von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang, ja selbst in der Nacht, seinen Blick und seine Gedanken und all sein Sehnen nicht auf die Welt und auf das, was von der Welt ist, richtet, sondern auf das Eine, Unsagbare und Unfaßliche: daß das Leben hienieden nur ein ewiger Tod, der Tod selber aber die Schwelle des ewigen Lebens ist.
Ja, so lebte und lehrte man dazumal. Jetzt war es anders geworden.
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Es ist dies nicht so zu verstehen, als wenn die Stadt besonders "gottlos" geworden wäre. Keineswegs! An Sonn- und Feiertagen saß man noch immer in den alten geschnitzten Eichenstühlen in der Kirche der weißen Schwestern und lauschte andachtsvoll den Worten des Geistlichen und den Tönen der Orgel. Man bezahlte ohne Murren seine Steuern und seinen Zehnten an die weltliche und an die geistliche, von Gott eingesetzte Obrigkeit. Man gab den Armen einen Kupferdreier und ein Paar Scheiben Schmalzbrot, wenn sie der Hilfe würdig waren. Und zur Weihnachtszeit strickte die alte Stadt wollene Jacken und warme Unterhosen für die zerlumpten Kinder auf der Straße. –
Aber – und darin liege der Unterschied zwischen einst und jetzt, sagten die Moralisten – man tat dies alles: das Kirchengehen, das Schmalzbrotverteilen an die Armen, das Bezahlen der Steuern und des Zehnten, das Stricken von Hosen und Jacken, nicht, weil man es mußte, von einem inneren, unwiderstehlichen Drang getrieben. – Man tat es, weil die Nachbaren es taten.
Denn die Stadt war klein. Die Straßen eng und schmal. Man sah einander in die Stuben, roch gegenseitig das Mittagessen.
Und es lag ja kein erdenklicher Grund vor, weshalb Frau Lassen nicht am Dienstag mit Rückenbraten und roter Grütze traktieren sollte, wenn sich Frau Heilbunth schon am Sonnabend mit diesen Leckereien wichtig gemacht hatte!
Es war Sonnabend, Scheuer- und Putztag. Die Uhr am Kirchturm schlug sieben, und der Straßenlärm hatte noch nicht begonnen.
Aber durch die ganze Stadt lief ein unaufhörliches Schwatzen und Kichern von Dienstmägden, die in ihren flatternden baumwollenen Kleidern dastanden und sich mit der einen Hand am Fensterpfosten festhielten, während sie mit der andern die feuchten Branntweinlappen über die Fensterscheiben hin und her bewegten, um sie blitzblank zu machen.
"Wo bleibt denn nur der kleine ›Thumsen‹?" rief die lange Engeline, die auf Konsul Mörchs Wohnstubenfenster im ersten Stockwerk losfiedelte, so daß es klang wie Vogelgezwitscher.
"Er muß wohl erst trocken angezogen werden!" brummte Telephondirektors fette Rikke von einem andern Fenster herab. Sie hatte eine Stimme, als spreche sie durch ein Drainagerohr.
Engeline kreischte vor Lachen und mußte sich mit beiden Händen an den Fensterpfosten festklammern, um nicht herabzustürzen.
"Was sagt Rikke? Was sagt sie? Macht Rikke Witze?" erscholl es ringsumher.
"Sie sagt, ›Thummelumsen‹ kriegt erst frische Windeln an!"
"Hi, hi, hi!" kicherte es im Chor, und die baumwollenen Kleider schwänzelten und wogten in Lachzuckungen.
"Ihr Grienliesen!" schalt die alte Dorthe auf der Mansarde und schlug zwei von Fräulein Reiersens Nackenpummeln zusammen;