Gustav Wied

Die Bosheit-Trilogie


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Ecke hinein, wo die Pumpe stand.

      Thomsen legte die Axt auf den Klotz und ging in den Hintergrund des Schuppens:

      "So, Mortensen," sagte er, – "jetzt kann man endlich herauskommen und sich ein wenig sonnen!"

      Und er trat an das kleine Fenster, das ganz hinten in einer Ecke angebracht war, und hob vorsichtig etwas mit beiden Händen auf und trug es zur Tür hinaus. Es war ein Hahn. Der älteste Hahn, der je in der Christenheit gelebt hatte.

      Knochenmager, zerzaust und jammervoll! Die Flügel ließ er schlapp an den Seiten herabhängen, und sein Schwanz bestand nur aus zwei struppigen Federn. Die Beine erschienen unnatürlich lang. Aber sie waren hinten mit mächtigen Sporen versehen, die sich rückwärts kreuzten wie ein Paar Schwertklingen.

      Ohne einen Ton von sich zu geben, ließ er sich über den Hofplatz und in die Ecke tragen, wo die Sonne schien.

      "Hier kann Mortensen warm und gut stehen," sagte Thomsen und stellte das Tier, unter Beobachtung aller Vorsichtsmaßregeln, auf das Steinpflaster, "hier hat man Sommer!"

      Mortensen schwankte wie bei Seegang, ehe er festen Fuß faßte. Aber schließlich stand er da. Der Hals hing schlaff und beinahe kahl herab. Die Augen waren geschlossen. Er konnte den Kopf nicht in die Höhe heben: und der runzelige, bräunlich gelbe Kamm fiel matt zur Seite herab. Aber an den stricknadeldünnen Beinen saßen die martialischen Sporen.

      Er glich einem Schwadronchef von neunzig Jahren.

      "Es geht einem wohl schlecht?" sagte Thomsen mit unendlicher Teilnahme in der Stimme und strich dem Hahn vorsichtig über den zerzausten Rücken. "Man ist ein Schneider geworden – –"

      Das Tier wackelte bei der Berührung seiner Hand. Die Augenlider öffneten und schlossen sich, und der Kopf nickte.

      Emanuel hatte die Hände in die Hosentaschen gesteckt und stand eine Weile in tiefe Gedanken versunken da, wobei er seinen Freund anstarrte. Dann machte er resolut links kehrt und ging wieder an seine Arbeit.

      ###

      "Knors" und "Mortensen" waren draußen auf dem Mühlenhof geboren, kurz bevor der alte Thomsen starb. Und als das Gehöft ein paar Monate später auf einer Auktion verkauft war und Karen mit ihrem Sohn in die Stadt zog, hatte Manuel die Tiere mitgenommen. Knors hatte von Geburt an Knors geheißen, und Mortensen hatte seinen Namen von einem alten Müllerknecht bekommen, der noch da draußen lebte.

      Manuel hatte geweint, als würde er gepeitscht, als der Wagen mit ihm aus dem Heim seiner Kindheit rollte. Und Mutter Karen hatte bleich und still an seiner Seite gesessen und ihn beschwichtigt und ihm zugeredet. Knors hatte er auf dem Arm gehabt und Mortensen hatte in einem Deckelkorb zu seinen Füßen gesessen.

      Das war nun fast fünfzehn Jahre her. Und er war damals neunzehn und war nie zwei Tage hintereinander von seinem väterlichen Hof entfernt gewesen. –

      Natürlich wurde er in dem Städtchen zum allgemeinen Gespött, dieser kleine, untersetzte Bauernjunge mit dem Vollmondgesicht und den kleinen, rotgeränderten Schweinsaugen. Und dann hing ja außerdem seine eine Schulter noch ein wenig, so daß der rechte Arm, wenn er über die Straße ging, bedeutend länger erschien als der linke.

      "Er läuft von der Seite", sagte man von ihm. "Er hat nur eine Niere, so wie die Hunde!"

      Zu Anfang lief nun Manuel gerade nicht sonderlich viel. Er hielt sich eingeschüchtert und ängstlich zu Hause. Und seine Gedanken umkreisten unablässig das Gehöft da draußen, die Mühle und den Garten und alles, was er und die Mutter hatten verlassen müssen.

      Aber dann, eines Nachts, etwa ein Jahr nach dem Umzug, hatte er einen Traum gehabt. Das heißt, er selber nannte es eine "Offenbarung": Der Vater war ihm erschienen und hatte zu ihm gesagt, daß der neue Besitzer Bankrott machen würde und nach ihm noch zwei Besitzer, und dann würde Emanuel die ganze Herrlichkeit wiederbekommen!

      In dem Traum war auch etwas verwoben, daß er nicht in Erfüllung gehen würde, falls Knors und Mortensen stürben, ehe sie den Boden ihres Geburtsorts wieder betreten hatten.

      Am Morgen war Emanuel mit einem großen Entschluß im Herzen erwacht. Er wollte Geld verdienen! Auf jede Art Geld verdienen; und sollte er mit den Latrinenwagen durch die Straßen der Stadt fahren! Die Uhr war erst fünf, und es war noch ganz dunkel. Aber er hatte sein Licht angezündet, sich angekleidet und war zu Mutter Karen hineingegangen, die noch im schönsten Schlummer lag. Sie hatten jeder eine kleine Dachkammer als Schlafzimmer.

      Madam Thomsen war in ihrem Bett in die Höhe gefahren und hatte den Sohn ganz verwirrt angestarrt:

      "Herr du meine Güte, Manuel – –!"

      Manuel aber hatte sich ruhig auf den Stuhl vor ihr Bett gesetzt, das Licht in der Hand – –

      "Man hat eine Offenbarung gehabt!" sagte er.

      Mutter Karen fing an zu weinen.

      "Herr Gott, daß es so weit mit dir gekommen ist!"

      Und dann fing der Sohn still und beherrscht an, von seinem Traumgesicht zu erzählen, und was der Vater von dem Hof gesagt habe, von den neuen Besitzern und von Knors und Mortensen.

      Die Alte saß noch immer aufrecht im Bett und lauschte seiner Rede:

      "Wir Menschen träumen ja so vielerlei, Manuel!"

      "Ja, – aber man hat Vater leibhaftig vor Augen gesehen, Mutter Karen! Er stand unten am Fußende des Bettes. Und man hörte ihn die Tür schließen, als er ging!"

      Madam Thomsen schüttelte den Kopf:

      "Ja, aber das Geld, das Geld!" sagte sie. – "Woher soll denn das kommen?"

      "Man wird es erfahren!" nickte der Sohn feierlich, "wenn Vater wiederkommt!"

      "Tut er das denn, Manuel?"

      "Das hat er gesagt!"

      "Und du glaubst, daß es möglich ist?"

      "Man hat ihn ja gesehen!" sagte Manuel mit fanatisch blitzenden Augen. – "Man hat ihn ja gesehen, so deutlich, wie man dich sieht!"

      Die Alte schwieg. Sie wagte nicht mehr, dem Jungen zu widersprechen. Er sah so sonderbar wirr aus, fand sie, in dieser nächtlichen Dunkelheit.

      Am selben Tage sollte im Saal des Hotels Auktion abgehalten werden. Die Thomsenschen Möbel standen dort zwischen einem Haufen anderer Sachen. Und sie glänzten förmlich zwischen all dem anderen alten Gerümpel, denn es waren gute, solide Mahagonimöbel. Man hatte Madam Thomsen geraten, sie mit in die Stadt zu nehmen, da man dort voraussichtlich mehr dafür bekommen würde als von den Bauern auf dem Lande. Aber ein Jahr hatten sie in dem kleinen Hause gestanden und alle Ecken und Winkel gefüllt. Sie konnte es nicht übers Herz bringen, sich davon zu trennen. Aber nun heute um zehn Uhr sollten sie verkauft werden.

      Aber sobald es hell wurde, ging Emanuel nach dem Auktionslokal und holte die Möbel wieder zurück. Man habe sich besonnen, sagte er, sie müssen bis zu einem anderen Mal warten.

      Die Stadt lachte, war belustigt und wütend zugleich. Und bei dieser Gelegenheit hatte Emanuel den Beinamen "Thummelumsen" erhalten.

      Aber ein paar Stunden später waren die Möbel wieder nach Hause gefahren und auf dem Boden und in dem Schuppen auf dem Hof verstaut, so gut es gehen wollte.

      Madam Thomsen schüttelte ihren weißen Kopf wieder und wieder. Aber sie empfand eine mystische Angst vor der Nacht. Und dann war ja Manuel doch schließlich ein Mann, und sie war nun einmal daran gewöhnt, die Männer als die Klügsten zu betrachten.

      Dann wurde der Laden eingerichtet.

      "Vater hat es gesagt", äußerte Emanuel, und da wagte Karen nicht,